30.05.2015
Nichts
ist erledigt", ließ Klaus Staeck schon im vergangenen Jahr in großen Lettern
auf einem Transparent an der Glasfront seiner Akademie der Künste am Pariser
Platz verkünden - gut sichtbar für Touristen, Banker, Journalisten,
Botschaftsangehörige oder sonstige Dauergäste am Brandenburger Tor. Seit
2006 hatte der provokante Plakatkünstler den Vorsitz der mehr als 300 Jahre
alten Institution inne, nach drei Amtszeiten darf der 77-Jährige nun nicht
mehr antreten. Der aufrührerische Fassadenspruch, er war nur nebenbei
programmatisch für die Agenda der Akademie, die Schauspieler (und Mitglied)
Ulrich Matthes mal als "Schnarchklub" geschmäht hatte, eigentlich hieß so
die große Retrospektive, mit der Staeck durch die Museen der Republik
tourte.
Am Samstag, 30.05.15, wählte das 14-köpfige Senatorengremium erstmals eine
Frau in den Vorsitz, was einer Revolution gleichkommt. Staeck selbst hatte
sich in seinen letzten Interviews als Amtsinhaber eine weibliche
Nachfolgerin gewünscht, zumindest das dürfte nun als erledigt gelten. Was
die Filmemacherin Jeanine Meerapfel, 71 (links), bewegen wird, bleibt abzuwarten.
Die deutsch-argentinische Künstlerin gehört immerhin zu den aktiveren
der aktuell 404 Akademie-Mitglieder und meldet sich in letzter Zeit gern zu
Wort, wenn es um die Internationalität Berlins geht, ein Thema, das auch den
amtierenden Kultursenator Tim Renner und die Lokalpresse brennend
interessiert, schließlich gilt es, sich ständig mit anderen Weltmetropolen
abzugleichen, wer hipper, moderner, mondäner ist. Eine historisch
komplexbeladene Angelegenheit, zu der man den Standpunkt der Akademie dank
Meerapfels Interesse nun künftig vernehmlicher hören könnte. Vielleicht
sogar mit unbequemen Meinungen, das wäre ganz im Sinne Staecks.
Nur 22
Prozent Frauen
Meerapfel, Tochter deutsch-jüdischer Flüchtlinge, wurde
1942 in Buenos Aires geboren und kam 1964 für ihr Filmstudium nach
Deutschland. 1981 hatte die ehemalige Filmkritikerin mit dem Drama "Malou"
ihr Spielfilmdebüt, es folgten bis 2012 ein gutes Dutzend weitere
Produktionen, darunter Dokumentationen und Fiktionen für Kino und Fernsehen.
1989 gewann sie mit "La Amiga" den Deutschen Filmpreis.
Zu Meerapfels
Stellvertreterin wurde die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla,
43 (rechts), ("Wir schlafen nicht") gewählt. Zu den Mitgliedern der Akademie zählen
auch Schwergewichte wie Ai Weiwei, Bob Dylan, Wim Wenders und Bruce Nauman,
aber von denen hatte augenscheinlich niemand Interesse bekundet, den Vorsitz
zu übernehmen. Gut für das Duo Meerapfel/Röggla, denn nur 22 Prozent der
Akademie-Mitglieder sind Frauen.
Die Akademie der Künste wurde 1696 nach
Pariser Vorbild vom späteren Preußen-König Friedrich I. als "Academie der
Mahler-, Bildhauer- und Architectur-Kunst" ins Leben gerufen. Heute gibt es
sechs Sektionen: Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende
Kunst sowie Film- und Medienkunst. Nach dem Fall der Mauer wurden die
Akademien West und Ost 1993 wiedervereinigt. Frühere Präsidenten waren
Heinrich Mann (Ost), Günter Grass (West) und Walter Jens (West und
vereinigt).
Laut Gesetz hat die Akademie zur Aufgabe, "die Künste zu
fördern und die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten", ein
weites Feld. Die Akademie "berät und unterstützt" die Bundesrepublik
außerdem in allen künstlerischen und kulturellen Angelegenheiten, dafür wird
sie vom Bund mit jährlich 18 Millionen Euro subventioniert.
bor/dpa
29.April 2006
Nach
einer Führungskrise konnte bei der Präsidenten-Neuwahl am 29.April 2006 im zweiten Durchlauf der Jurist und
Grafiker Klaus Staeck die meisten Stimmen auf sich vereinen.
Zunächst hatte er (Jahrgang 1938) sich geweigert zu kandidieren.
Dass ein in schon vor Apo-Zeiten in der SPD politisierter Satiriker - als Künstler Autodidakt - nun der wie bei den Wahlen sich zeigte tief zerstrittenen
Künstler- und Kunstmacher-Sozietät, die sich gleichwohl als "Berater" der
Politik versteht, vorsitzen soll, ist ein Zeichen ganz eigener Art. Seinen
Humor-Vorrat habe er sich erhalten, meinte er in einer ersten Stellungnahme. Als
wichtigste Aufgabe sieht Staeck, der Kultur den "öffentlichen Raum" zu erhalten.
Damit verband er ein entschiedenes Plädoyer für den neuen Behnisch-Bau am
Pariser Platz, in dessen Keller es nun nicht mehr "schimmele".
Mit Nele Hertling, der ehemaligen Hebbel-Theater-Intendantin, hat der in
der Lebkuchenstadt Pulsnitz geborene und in Bitterfeld aufgewachsene, 1956 zum Studium nach Heidelberg
übergesiedelte Künstler eine Vizepräsidentin zur Seite, die in
den Ganglien des Berliner Kulturbetriebs nur allzu gut sich auskennt.
Das neue Domizil der Akademie der Künste am Pariser Platz 4,
feierlich eingeweiht am 21.Mai 2005. Seit 1907 war es der Ort der Akademie, vom
Kaiser einst noch zugewiesen. Max Liebermann residierte hier als Präsident, ab 1938
Albert Speer als Hitlers Reichshauptstadt-Germania-Architekt. Nach der
DDR-Gründung war ab 1950 Arnold Zweig
Hausherr und nach dem Mauerbau eine Abteilung der NVA-Grenztruppen.
Sehr luftig ist der neue Bau von Günter Behnisch und Werner Durth. Stolz
ist man auf die Glasfront als Zeichen geistigen Widerstands. Nur gibt es zu wenig Platz, wenn
die Akademie-Mitglieder tatsächlich sich mal versammeln wollen. Geeigneter ist
der Bau zum Drin- und Durch-Flanieren. Und exquisit ist der Logenplatz auf der
Terrasse oben mit Blick aufs Brandenburger Tor, hinüber zum Reichstag und zum Bundeskanzleramt.
Die TV-Sender werden Schlange stehen.
Das Archiv wurde verbannt in den viergeschossigen Keller. Aber Platz hat es dort eigentlich nicht, weil man den hinteren Teil
des Grundstücks an eine Fondsgesellschaft verkaufte für Geld, das dann in den
Bau gesteckt werden sollte, aber im Berliner Haushalt verschwand. Jetzt hat der
Bund das Sagen. Den geräumigeren Bau am Hanseatenweg gibt man nicht auf. Der
liegt zwar nun etwas abseits, aber eng wird's dort kaum.
Er war
einer der letzten Universalisten in der Musik.
Als Pianist richtete er seine Programme an den
höchsten Qualitätsmaßstäben aus. Er edierte
Sonaten von Beethoven, Mozart und Brahms. Seine
jahrzehntelange pädagogische Tätigkeit ist
legendär. Noch heute empfindet man die
einzigartige Verbindung von Kontrolle und
Freiheit, die seine Interpretationskunst
auszeichnete, als vorbildlich. Er hat das
Repertoire erweitert um die Sonaten Schuberts.
Von Beethovens 32 Klaviersonaten hat er erste
zyklische Aufführungen veranstaltet. Aber auch
als Komponist von Orchestermusik, darunter drei
Symphonien, von Kammermusik und Liedern ist er
hervorgetreten.
Geboren 1882 im Galizischen Lipnik als Aron Schnabel, der sich laut
Geburtsregister auch "Artur" nennen durfte, wurde er 15jährig
Schüler von Theodor Leschetitzky
in Wien. Er war somit gleichsam
"Enkel"-Schüler Carl Czernys, der wiederum
von Beethoven unterrichtet wurde. Berühmt war Schnabel vor allem durch
seine zyklischen Programme mit Beethoven- und Schubert-Sonaten. 1927 zum
hundertsten Todestag Beethovens spielt er erstmals sämtliche
Beethoven-Sonaten, verteilt auf sieben Abende. 1898 war Schnabel von
Wien nach Berlin übergesiedelt. Nach dem ersten Weltkrieg startete er
von Berlin aus seine weltweite Karriere mit Konzertreisen bis nach
Amerika und Russland.
Im April 1933 packte er mit seiner Frau, der damals
berühmten Sängerin Therese Behr, und
den zwei Söhnen die Koffer. 35 Jahre hatte er in Berlin
gelebt, gespielt, geforscht, gelehrt. Sein siebenter
Abend im Rahmen eines seiner Beethoven-Zyklen war eben
gegeben. Der Rundfunk hatte dies Konzert nicht mehr, wie
die anderen davor, übertragen. Die Familie reiste aus an
den Comer See, 1939 weiter nach Amerika. Nach dem Krieg
wollte Schnabel nicht mehr zurückkehren nach Deutschland
oder Österreich. Sein riesiges Archiv mit Noten,
selbst eingerichteten Klavier-Partituren, Orchesterstimmen, die er für
jede Aufführung mitführte, mit Korrespondenz, Aufsätzen, Fotos
hatte er in einem Versteck gelassen am Comer See. Jetzt hat die
Familie es dem Archiv der Akademie der Künste vermacht.
Mancherlei Kuriosa
finden sich in dem Material: Ein Brief Furtwänglers aus
dem Jahre 1928 etwa, indem dieser Schnabel bittet, den
Solopart zu übernehmen bei einem Konzert mit den Wiener
Philharmonikern. Da allerdings bei Konzerten der
Philharmoniker Solisten eigentlich nicht vorgesehen
seien, sei für einen dann doch einmal benötigten
Solisten auch kein Etat vorgesehen. Ob Schnabel
vielleicht auch ohne Honorar spielen würde? Er spielte.
Oder die schöne Geschichte, warum Schnabel im Rahmen
seiner Berliner Professur, deren Verträge er immer nur
für ein Jahr abschloss, gegen Ende sich ausbedang, auch
Privatschüler an der Hochschule unterrichten zu dürfen,
obwohl er doch in der Wielandstraße 14 eine sehr
stattliche Wohnung sein eigen nannte.
"Mehrere hundert qm
muss diese Wohnung groß gewesen sein", sagt Werner Grünzweig
vom Musikarchiv, "mit 12 Zimmern
und drei Bechstein-Flügeln. In den späten 20iger
Jahren hat sich dort Paul Hindemith,
mit dem er gut befreundet war, in dieser Wohnung ein
bisschen eingenistet und hat, was er in seiner kargen
Kindheit nicht machen konnte, dort eine elektrische
Eisenbahn aufgestellt und hat dort mit den Jungen von
Artur Schnabel Eisenbahn gespielt. Es gibt zwei Fotos
im Schnabel-Archiv, wo man sieht: man hat Tische
zusammengerückt und quer durch diese riesigen Räume
die Eisenbahn laufen lassen. Und ich nehme an, dass
er sich da beengt gefühlt hat in der Wohnung und
sich ausbedungen, dass er auch Privatschüler in der
Hochschule unterrichten darf."
Wie die Reise durch ein halbes Jahrhundert Zeit- und Musikgeschichte wirkt das. Zeugnisse von Schnabels Wiener Lehrer Theodor Leschetizky für seinen Spitzen-Schüler, den er freilich mehr als Komponisten denn als Pianisten schätzte finden sich da ebenso wie die Speisenfolge (mit u.a. Schildkröten-Brühe, Helgoländer Hummer, Waldschnepfe) des Hochzeitsfestmahls 1905 der Eheleute Schnabel, Briefe von befreundeten Künstlern wie Otto Klemperer oder Bruno Walter, das Protokoll der Ausreise der Familie aus Deutschland im Mai 1933 erst Richtung Comer See, dann Schnabels Einbürgerungsurkunde 1944 für die USA. Finden kann man auch Beurteilungen von US-Behörden für die Brauchbarkeit der Familie im Kriegsdienst - Schauspieler-Sohn Stefan, wegen seines deutschen Akzents verkörperte er in Hollywood-Filmen oft Bösewichte, Stefan half als Geheimagent und Sprecher für den Propaganda-Sender Voice of America -, oder man findet die verzweifelten Briefe der Familie, Schnabels Mutter Ernestine vor der Deportation aus Wien ins KZ zu retten; sie starb in Theresienstadt. Aber auch eine Mitschrift von Schnabels musikästhetischen Vorlesungen an der Universität von Chicago 1940 liegt aus, später veröffentlicht unter dem bemerkenswerten Titel: Music and the Line of Most Resistance.
Werner Grünzweig,
Leiter des Musikarchivs der Berliner Akademie der Künste, über
Schnabels Bedeutung heute. Sie hat jetzt den Nachlass des
Jahrhundert-Pianisten Artur Schnabel übereignet bekommen, aber auch
den seiner Frau Therese, einer der bedeutendsten Liedsängerinnen ihrer
Zeit, ihrer beiden Söhne Karl Ulrich, ebenfalls einem bedeutenden
Pianisten und Klavierpädagogen, und Stefan, der als Schauspieler und
Musicaldarsteller bewusst abseits sich hielt. Einiges von den mehr als
ein Dutzend Archiv-Metern stellt die Akademie jetzt aus Anlass von
Schnabels 50.Todestag aus, ergänzt durch Konzerte mit Werken des als
Komponist so gut wie Unbekannten und ein Symposion. Im Katalog sind
einige Briefe Schnabels abgedruckt mit einer Fülle von Anmerkungen zum
Konzertleben der Zeit, auch Beurteilungen über Musiker-Kollegen, wie
sein Spötteln über "Gott Arturo" gemeint Toscanini, der einst
eher verständnislos über Schnabels Musik als Furcht erregend urteilte,
oder über Kollegen Hindemith, der mit seinen Vier
sinfonischen Tänzen eine Musik zu Papier gebracht habe, die so
leer ist, dass sie demnächst vielleicht sogar Toscanini dirigieren
werde, oder über Strawinsky und sein "hochbegabtes Schaustellen
des Kampfes gegen den Ausdruck“. Das war dann schon in den
Jahren des amerikanischen Exils und Schnabel mittlerweile eine
pianistische Legende, der 10.000 Menschen zu einem Konzert in San
Francisco locken konnte. Bei Auslands-Konzertreisen in den Zwanziger
Jahren quälte er sich noch vor halbleeren Sälen. Das Publikum sei nur
auf Unterhaltsames erpicht - eine Mischung aus Unwissenheit und
Anmaßung, klagt er seiner Frau. Für Schnabels Spezialität,
Beethoven & Schubert zyklisch aufzuführen, sei kaum
Interesse. In Amerika störte ihn das Maskenhafte, das unschöpferische
Kunstgewerblertum. Aber er zweifelt auch an der Brillanz seiner
pianistischen Technik, erkennt ihre Grenzen.
1932 begann er
nach langem sich Sträuben in London mit der Einspielung sämtlicher
Beethoven-Klaviersonaten auf Schellacks,
heute ein Schatz. Ein "vollkommener Unsinn“, eine "vollkommene
Unnatur", ein "Sklavenpeitschen", poltert er gegen die damalige
Tonaufzeichnungstechnik. Eine Aufführung sei etwas Einmaliges,
Unwiederholbares, und er will die Menschen sehen, spüren, riechen, für
die er spielt, so wie er selber aus den Noten deren Innerstes zu
erspüren sucht. Keiner könnte "so feurig und grandios" Schönbergs
Klavierkonzert (von 1942) spielen, was Schnabel immer zu spielen sich
weigerte, keiner könnte es "romantischer, blühender daher singen" als
"mein Freund Artur Schnabel“, umschmeichelt ihn 1946 Paul Dessau,
der einige Jahre zuvor dem Komponisten Artur Schnabel in New York
Korrektur lesen half bei seiner 1.Sinfonie. Aber Schnabel blieb
eisern. Komposition und Interpretation gehörten für ihn als Musiker
zwar zwingend zusammen. Aber nur einmal spielte er, 1924, öffentlich
Schönberg, dessen Schlüsselwerk Pierrot lunaire. Und da mochte
sich Schönberg noch so empören über Schnabels "Verbrechen", keine
zeitgenössische Musik zu spielen. Er wollte in seiner "rigorosen
Verneinung des Hergebrachten“ als Komponist, wie es der Nachrufer des
New Yorker Aufbruch 1951 bei Schnabels Tod beschrieb,
unbeeinflusst bleiben.
Nach dem Krieg kehrte Schnabel nicht mehr nach Deutschland zurück. Wohl aber sein Sohn Karl Ulrich, der in den letzten Jahren immer wieder zu Konzerten oder Seminaren auch nach Berlin kam und gerade erst vor wenigen Tagen starb. Seine Tochter Ann Mottier:
Auch wenn Artur Schnabel das einmal verlassene Deutschland nie wieder betrat, er zeigte sich, wie den Materialien zu entnehmen ist, nicht unversöhnlich. So gab es in der Familie auch nicht wirkliche Widerstände, ihr Archiv der Berliner Akademie, wie vor drei Jahren vereinbart mit den beiden damals noch lebenden Söhnen, anzuvertrauen. François Mottier, der Sprecher der Familie und Schwiegersohn Karl Ulrichs:
Eines der ulkigsten
Exponate: ein selbst gebastelter Papp-Rechenschieber mit aufgeklebten
12-Tonskalen. Schönberg nutzte den bei der Komposition seines
lll.Streichquartetts. Oder auch ein
kleiner quadratischer Zettelkasten mit der Aufschrift Moses und
Aron. Darin bewahrte er Notizen auf für die ab den 30iger Jahren
in Berlin entstandene Oper. Auf einem der Zettel etwa liest man "Das
Mädchen" oder "Vieh wird geschlachtet" mit einigen Anmerkungen.
Da ist man dann freilich schon in der dunklen Abteilung
Judentum.
Jenes Notizblatt ist da auch ausgelegt, auf dem Schönberg unter dem
Titel Meine Gegner zusammentrug, wie er reagieren wollte auf
jenen antisemitischen Übergriff 1921, als er mit der Familie
aufgefordert wurde zum Verlassen des österreichischen Ferienorts
Mattersee. Der Komponist begann da tiefer nachzudenken über
seine jüdischen Wurzeln. Eine Mappe mit Der
biblische Weg, jener Vorstudie zu Moses und Aron, liegt zur
Erinnerung daneben. Immer hat der Meister der 12 Töne alles fein
säuberlich in Mappen, Kistchen, Kästchen sortiert, was dann auch den
unversehrten Transport ins amerikanische Exil ermöglichte. Neben der
"Beurlaubung" aus der Preußischen Akademie der Künste von 23.Mai 1933
findet sich der Kalender mit der Eintragung von Schönbergs Frau
Gertrud unterm 16.Mai, eine Woche zuvor, als ihr Bruder, der
Geiger Rudolf Kolisch, aus Wien
telegrafierte: Luftveränderung wegen Asthma dringend empfohlen. Und
auch die Urkunde vom 24.Juli in Paris ist ausgelegt, als Schönberg,
bezeugt von Marc Chagall, zum Judentum rekonvertierte.
Die Berliner Jahre Schönbergs, gegliedert in die drei Perioden
1901/03, 1911/15 und 1926/33 - es waren die Jahre zuletzt der tiefsten
Erniedrigung und eines unwiederbringlichen Höhenflugs davor, gipfelnd
im generösen Anstellungs-Vertrag als Professor an der Preußischen
Akademie der Künste mit monatlich damals stolzen 1.500 Mark Salär.
So Christian Meyer vom
Schönberg-Center in Wien, das die Materialien, erweitert
um Exponate aus den Beständen der Berliner Akademie der Künste,
zusammengestellt hat. Am Sonntag wird die Schau eröffnet, ergänzt dann
Ende November-Anfang Dezember um Konzerte und ein Symposion über
Schönbergs Berliner Schüler. Einige der Beurteilungsbogen etwa sind
auch ausgelegt, mit denen Schönberg den Fortschritt der Studierenden
halbjährlich vermerken musste. Die Best-Note "ausgezeichnet" bekam der
bekannteste Schüler dieser Zeit, Nikos Skalkottas, eine Studentin aus Wilna,
Natalje Prawossudowitsch, musste sich mit
einem "nicht befriedigend" begnügen. Dass er selber auch mal ganz
klein angefangen hatte, wird nicht verschwiegen. Eine Bearbeitung von
Rossinis Barbier für Klavier zu 4 Händen für seinen späteren
Verlag Universal Edition ist da zu sehen wieauch
Materialien zum ebenfalls aus der frühen Zeit stammenden
Pelléas oder insbesondere zum
Pierrot lunaire.
Aber er tüftelte in Berlin auch an Werken wie den
Orchester-Variationen op.31, einem Auftragswerk der
Philharmoniker, oder der Begleitmusik zu einer Lichtspielszene
(Magdeburg 1930). Und er machte der Berliner Funkstunde Vorschläge,
wie man dem Publikum neue Musik verständlicher machen könnte: Mit
verlesenen Kurzrezensionen von zwei Kritikern (Heinrich Strobel,
Eberhard Preußner) und anschließender Diskussion mit dem Urheber. 1931
ging das über den Sender. Oder er erarbeitete Vorschläge für eine
Schule der "internationalen Stilbildung",
eine Art Kurssystem mit internationalen Kapazitäten aus allen Sparten
des Musikbetriebs. Und er unterbreitete in gebotenem Ernst den
Berliner Verkehrsbetrieben eine Verbesserung ihres Fahrscheinsystems:
die Stadt unterteilt in acht konzentrische Kreise und 12 Segmente,
mehrfarbig.
Wer aber waren
Schönbergs Berliner Schüler, denen man in dem Symposion mit Konzerten
und so genannten "Lecture Recitals", einer
Art Gesprächskonzerten, Ende November nachspüren will? So bekannt wie
seine Wiener Schüler Berg, Webern, Eisler
wurden sie nie. Neben Nikos Skalkottas am ehesten noch Roberto
Gerhard, Adolph Weiss oder der
erst kürzlich verstorbene Schweizer Erich Schmid. Die Namen
anderer wie Walter Gronostay,
Norbert von Hannenheim, Peter Schacht, kennt kaum der
Fachmann, für Ludwig Holtmeier
dennoch sehr interessante Figuren.
Die meisten haben es nicht überlebt, Hannenheim ist verschwunden, 1944 wohl verschleppt von den Russen, Schacht in Posen 1945 gefallen. Die in Deutschland geblieben sind - das sind sehr traurige Schicksale. Aufgeführt wurde von denen nach dem Krieg fast nichts. Die Werke von Hannenheims beispielsweise sind weitgehend verschollen.
An seiner Biografie hat der ebenfalls inzwischen verstorbene israelische Musikologe Peter Gradenwitz gearbeitet. Herbert Henck, der auch aus von Hannenheims wieder gefundenen Klaviersonaten spielen wird, wird daraus vortragen.
Es war seine beste, seine glücklichste Zeit - obwohl man ihm nachsagte,
ganz glücklich war er nur, wenn er leiden, unglücklich sein konnte.
Aber er hatte den angesehensten Job, Leiter einer Meisterklasse an der
Preußischen Akademie der Künste, überdurchschnittlich bezahlt, nur ein
halbes Jahr Anwesenheits-Pflicht, Zeit zum Komponieren, Tennisspielen,
Reisen. Anders als in Wien, wo die Schüler fast Gleichaltrige,
Gleichgesinnte, Gleichsituierte waren, mit denen er die Welt der Musik
aus den Angeln heben konnte, strömten die Schüler nun aus ganz Europa
zu diesem schon etwas abgehobenen Lehrer in Berlin. Was an Arnold
Schönberg faszinierte? Mit einer Tiefenschärfe wie kein anderer
konnte er ästhetische, kompositorische, musikalische Fragen
durchdringen, nicht nur an Arbeiten der Schüler und seiner eigenen
Musik, sondern auch der großen Meister. Diese Kombination machte ihn
so anziehend für die "jüngere, ehrgeizige, fortschrittliche
Generation". So sieht es Claus-Steffen Mahnkopf. Bei dem
Schönberg und seiner "Berliner Schule" gewidmeten Symposion mit auch
einer Ausstellung und einer kleinen Konzertreihe des Ensemble Oriol
in der Berliner Akademie der Künste hielt er das Einleitungs-Referat.
Aber wer waren die Schüler dieser
sieben glücklichen Jahre 1926 bis zum Mai 1933 mit dem dann tiefsten
Absturz im Schönbergschen Lebensweg? Anders als die Wiener – Alban
Berg, Anton Webern, Hanns Eisler – kennt sie heute
kaum einer. Vielleicht noch im angelsächsischen Sprachraum Roberto
Gerhard, den Katalanen, der nach dem Sieg der Franco-Falange von
Barcelona nach Cambridge fliehen und dort ein großes Werk mit Opern
und Balletten schaffen, Schüler um sich scharen konnte. Gelegentlich
taucht auch der Name des Griechen Nikos Skalkottas auf.
Mittellos und ein geborener Chaot reiste er im Januar 1933 zurück in
seine Heimat und wollte im März schon wieder nach Berlin. Das
Musikleben in Athen fand er noch bedrückender. Er starb 1949.
Ein anderer: Walter Gronostay, 1937 verstorben. Wegen seiner
jüdischen Frau versuchte er noch auszureisen. Sein Ziel war die
angewandte Musik. Immer sorgte er sich um die gesellschaftliche
Relevanz der Künste, komponierte Lieder für Ernst Busch, aber half
später auch mit Filmmusik für Leni Riefenstahls „Olympia“-Gloriole.
Als Abteilungsleiter der Berliner Funkstunde schrieb er eine Kantate
über Weizenverbrennungs-Aktionen in Chicago zu Zwecken der
„Marktbereinigung“, während in Russland die Menschen hungerten. Und
analog zu Brecht-Hindemiths Lindberghflug erfand er die Gattung
Kammer-Kürzest-Funkoper, die er neu zu etablieren suchte. Mord
heißt das erste dieser "Hörspiele" (1929), eine 12-minütige Geschichte
um die Frau eines Fabrikdirektors, die, während der Mann wegen eines
drohenden Streiks in der Fabrik übernachtet, ihren Liebhaber nachhause
lotst mit kleinen Komplikationen.
"Reportage" nannte er das. Als "Zusammenfassung dramatischer
Ereignisse" akzentuiert mit Musik analysiert das Verfahren Iris
Pfeiffer, die sich über Gronostays musikalische "Reportagen"
gebeugt hat. Gronostay selber nutzt die Musik und rhythmisierte
Sprache als "akustischen Regulator". Ein noch komplizierterer Fall:
Peter Schacht, anfangs von Schönberg schroff zurückgewiesen als nicht
versiert genug, dann sein Dauerschüler. Immer tat er sich schwer. 1945
kam er um an der Ostfront in Posen, nach 1933 vertonte er Lieder des
Blubo-Dichters Billinger, vermittelt wahrscheinlich von Winfried
Zillig, der sich mit den Nazis am meisten kontaminierte. Eines von
Schachts Liedern ist Heimkehr überschrieben, in
Zwölfton-Technik, obwohl sonst die Schüler eher freitonal, oft aber in
einer Art Reihentechnik komponierten. Dann versuchte er, die Isolation
einer inneren Emigration nicht mehr ertragend, sich wieder in Tonalem.
Der vielleicht bedeutendste Schüler: Norbert von Hannenheim. 1929
kam er aus Siebenbürgen, 31jährig. Als auch fleißigster Schüler konnte
er bald im Berliner Musikleben Fuß fassen. 1945 vermutlich starb er,
möglicherweise bei einem Bombenangriff. Mit verloren ging dabei fast
sein gesamtes schon umfangreiches Œuvre. In der NS-Zeit hielt er sich
über Wasser u.a. dadurch, dass er für einen Günstling Görings
Jägerlieder sammelte und wohl auch bearbeitete für einen Prachtband
über das deutsche Jagd- und Forstwesen – zusammen übrigens mit Hermann
Heiß, der im Nachkriegs-Darmstadt das elektronische Studio leitete.
Halb verhungert wandte Hannenheim sich an die NS-Stiftung
"Künstlerdank", aus der freilich auch etwa ein Webern sich
nährte.
Die Akte Hannenheims über seinen Antrag hat sich erhalten, ein
erschütterndes Dokument, wie Ludwig Holtmeier, der Leiter und
Organisator dieses höchst verdienstvollen Symposions erzählt. Spitzel
wurden Hannenheim ins Haus geschickt. Sie sollten herausfinden, ob er
sich tatsächlich "geläutert" habe. Ihr Urteil: Hannenheim habe
keineswegs der radikalen Moderne abgeschworen. Seine
Volksmusik-Aktivitäten seien nur Tarnung. In der Tat hat seine Musik,
eine Bratschen-Suite etwa von 1936/37 war zuhören, neben dem
Schönbergschen Grundmuster auch starke Anklänge an Bartók und
Strawinsky. Und Herbert Henck, dessen Nachforschungen über Hannenheims
Biografie wir ebenfalls wesentliche Erkenntnisse verdanken, spielte in
seiner Lecture Klaviersonaten. Deren Nr. 12 etwa mutet an wie
eine Mischung aus Conlon Nancarrow und Karlheinz Stockhausen.
"Geschichtsmächtig", wie Mahnkopf das nannte, wurden diese Komponisten
alle nicht, konnten es nicht werden. Der Kulturbruch 1933 hinderte
sie, sich zu etablieren, im Ausland bekannt zu werden, Kontakte zu
knüpfen. Mit um die dreißig waren sie zu jung um sich schon
profilieren, zu alt um ins kalte Wasser eines Neuanfangs im Ausland zu
springen. So blieben sie in Deutschland. Und selbst ja ein Schweizer
wie der zunächst in Frankfurt studierende Schönberg-Schüler Erich
Schmid musste als Dirigent von Laienchören und Blasorchestern im
abgeschiedenen Alpental von Glarus überwintern. Erst nach dem Krieg
fand er im Zürcher Tonhalle-Orchester einen Ort. Die um ein gutes
Verhältnis mit Nazi-Deutschland bemühten Offiziellen taten alles, um
ihn ins Abseits zu drängen, aber auch ein Paul Sacher, der trickreich
jeden möglichen Konkurrenten auszuhebeln versuchte.
Der einzige
"echte" Schönberg-Schüler nach der Wiener Zeit, der sich durchsetzte,
war John Cage. Und er war in dem Sinn nicht Schönberg-Schüler.
Hätten Komponisten wie Hannenheim ihre Chance bekommen, die
Post-Schönberg-Avantgarde hätte sich gewiss sehr viel
"pluralistischer" entwickelt, wie es Mahnkopf sagt. Für Ludwig
Holtmeier ist dies zwar eine "verlorene" Musik, durch kein
Festival wie dieses einfach zu re-installieren, aber es ist doch auch
ein "Versprechen", dass, wenn man dermaleinst über diese
Komponisten-Generation nachdenkt, Namen wie Roberto Gerhard,
Nikos Skalkottas, Norbert von Hannenheim ihren festen
Platz haben. Eine entbehrungsreiche, von Forschungen auch des
verstorbenen Peter Gradenwitz angeregte, dann freilich
eifersüchtig gehütete Spuren-Suche. Deren Verdienst ist
gleichwohl nicht hoch genug einzuschätzen.
Jossi Wieler zu dem, was die Jury des Konrad-Wolf-Preises der Akademie der Künste ihm bescheinigte: "Nachdenklichkeit, Zartheit und einen ganz leisen Humor". Ein "sympathischer Rest von schweizerischer Redlichkeit" sei der 51-Jährige. Ein mehr beobachtender, denn sich einmischender Regisseur ist er, heißt es rühmend bei der Preisverleihung am Sonntag (20.Okt.) in der Akademie, "unmerklich" in seiner Regiearbeit. Wir treffen uns in einer Kneipe um die Ecke, wo er gerade wohnt. Hier ist’s laut, sein Zeitplan eng. Theater macht Wieler seit zwanzig Jahren. Oper seit einem Titus 1994 in Stuttgart. Erst habe er Angst gehabt, sagt er, als Klaus Zehelein, der Intendant und Chefdramaturg der Stuttgarter Oper, ihn fragte. Aber, habe der ihn beruhigt, es gebe genügend Freiheit in der Oper. Und es gebe noch andere (Produktions-)Dramaturgen im Haus, die helfen. In seinem Fall: Sergio Morabito. Und ziemlich bald gab’s die beiden – Wieler und Morabito - auf den Opernzetteln immer im Doppelpack.
Der andere Eckpfeiler in Wielers Theater-"Familie": Anna Viebrock. Seit seinen Anfängen in Heidelberg arbeitete er mit ihr als Bühnenbildnerin, in Bonn, Basel, Hamburg, München, Salzburg. Fast alle Opern, auch die Stuttgarter Händel-Alcina oder der Siegfriedaus dem "Quartett"-Ring, entstanden mit ihr. Wieler braucht diese Vertrautheit, weniger Reibung, Widerspruch.
Theater gelernt hat der in Kreuzlingen Geborene am Habima in Tel Aviv. In Israel leben noch seine Eltern. Sehr "amorph" waren die Erfahrungen dort zwischen russischer Stanislawski-Einfühl-Schule und 70iger-Jahre Moderne von Brook bis Grotowski. Opernarbeit à la Zehelein in Stuttgart, das ist für ihn auch eine Art Gegenpol.
Ob er nun mehr der Oper sich widmen werde, wo er dafür allerorten Ehrungen einheimse?
Der Pelléas in Hannover (allerdings mit Bühnenbildnerin Watanabe), Schönbergs Moses und Aron zu Spielzeit-Ende in Stuttgart, das sind seine nächsten Opernprojekte: Moderne des 20.Jahrhunderts. Und wie steht's mit dem 21sten?