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Fin de partie
Roméo et Juliette
Eröffnungs-PK

 

Verflimmerndes Riesenrad

György Kurtágs « Fin de partie » an der Staatsoper

Berlin 12.01.2025

Er ist der Miniaturist der Miniaturisten, und dennoch benötigt er ein etwa sechzig-köpfiges Orchester. Aber wie farbreich György Kurtág dieses Orchester in den 145 Minuten seiner „Fin de partie“ nach Becketts „Endspiel“ genannten Opern-Adaptation einsetzt – beeindruckend! Alexander Pereira, einst Intendant der Zürcher Oper, dann der Salzburger Festspiele und schließlich der Mailänder Scala hat dies Werk 2010 (für Zürich) in Auftrag gegeben und dann endlich 2018 (in Mailand) uraufführen lassen können.

Es ist ein Kammerspiel für vier Personen. Sie haben eine Katastrophe erlebt und vegetieren nun aufs Ende hin. Hamm (der großartige Laurent Naouri), der vom Rollstuhl aus den anderen drei das ohnehin karge Leben versauert, Clov (der staksige Bo Skovhus), der sich kaum bewegen kann mit seinen steifen Beinen, die Eltern Nagg (der flippige Stephan Rügamer) und seine Frau Nell (die tanzverliebte Dalia Schaechter). Beide stecken schon in je einer Mülltonne. So jedenfalls fordert es Becketts ursprüngliches Szenario. Kurtág hat den Text in 14 Szenen unterteilt, gekürzt. Die Inszenierung an der Berliner Staatsoper besorgte Johannes Erath. Zu beneiden ist er bei einer solchen Vorlage nicht. So arbeitet er vor allem mit Mitteln von Zirkus und Clownerie, wie Beckett das Theater liebte, in einem ziemlich bewegungsbeschränkten, vollgestellten Raum.

So kommt Clov anfangs in den als Bild im Bild gezeigten kleinteilig tapezierten Kellerraum der Familie mit einer Stehleiter. Er versucht, darauf balancierend, zu ergründen, was in der Welt draußen vor sich geht. Hamm, anfangs mit Totengesichtsmaske, in seinem rot-grauen-Hausmantel aussehend wie ein Papst im Rollstuhl, wird ziemlich unwirsch hin und her gestoßen. Die Eltern, Nagg und Nell, versuchen vergeblich, sich von Mund zu Mund oder Mülltonne zu Mülltonne Schmankerln zuzuschieben. Im mittleren Teil wechselt die Perspektive per Video-Projektion von innen nach außen. Am Ende beherrscht ein schräg auf der Bühne liegendes Riesenrad die Szene. In dessen Zentrum staccatiert Hamm seine letzten Tiraden. Das Monstrum mit den bunten Gondeln gibt noch mal ein röchelndes Blinken von sich, wird wie die Gewinnräder auf der Kirmes kurz mal gedreht, verflimmert schließlich und steht still.

Kurtágs pausendurchsetzte Partitur dreht am Riesenrad, lässt bisweilen bizarre Klangmischungen hören mit leicht „verschmutzten“ Mixturen, sanften Streicher-Flageoletts oder Flöten-Chören und schrillen Blechbläsern, von Alexander Soddy und der Staatskapelle mit Akkuratesse musiziert. Man kann aber auch verstehen, dass Beckett eigentlich eine Vertonung seines Textes ablehnte. Und zumal aus heutiger Sicht, wo die Absurdität der Kalte-Krieg-50iger-Jahre-Nachkriegs-Erfahrung kaum noch damit in Übereinstimmung zu bringen ist, wo verurteilte oder der Verurteilung sich entziehende Machthaber als Staatslenker amtieren und fröhlich X für U ausgeben. Der Wunsch nach einer Praline ist dafür vielleicht ein süßes, aber eher schwaches Bild.

Am Ende des Abends deutlicher Beifall. Vorher aber hat man immer wieder Besucher den Raum verlassen gesehen. Dennoch gut, dass die Lindenoper sich Kurtágs einziger Oper angenommen hat. Dem Regisseur und seinem Team (Bühne: Kaspar Glaner, Kostüme: Birgit Wentsch, Video: Bibi Abel) hätte man freilich einen lohnenderen Einstieg an dem Haus gewünscht.


Bissel verdruckst

Gounods „Roméo et Juliette“ als zweite Neuproduktion

10.11.2024

Opern, die lange nicht an dem Haus aufgeführt wurden, hat die neue Intendantin der Staatsoper für ihre erste Spielzeit an dem Haus ausgewählt. Den Auftakt machte Verdis „Nabucco“. Jetzt war Charles Gounods Adaptation der Shakespeare‘schen „Romeo und Julia“ dran. Über hundert Jahre wurde sie nicht mehr an der Lindenoper aufgeführt. Ob es wirklich ein weiser Entschluss war, diese Oper – Gounod hat sie dreimal überarbeitet, man stützt sich auf die letzte Fassung – auszugraben, steht dahin. Das Stück wirkt irgendwie antiquiert.

Als Regisseurin hat Intendantin Elisabeth Sobotka sich Mariame Clément ausgesucht, mit der sie früher schon in Bregenz zusammengearbeitet hat. Clément versucht, das Werk mit ihrer Ausstatterin Julia Hansen in die Gegenwart zu holen mit ein bisschen zeitgenössischer Firnis. Die dauerschmollende Göre Juliette erscheint auf ihrem Geburtstag, mit dem das Stück beginnt, in Schlabberlook mit unvorteilhaft grün gefärbten Haaren. Zum Kerzenausblasen muss sie sich dann aber ein etwas schickeres gelbes Kleid anziehen. Der Liebeskontakt zu Roméo aus der feindlichen Familie der Mantaigues kommt ziemlich plötzlich, und wirkt doch in der Personenführung etwas verquält.

Schmetterlinge – gedacht als Zeichen von Adoleszenz aber nicht furchtbar originell – flattern per Video (Sébastien Dupouey) immer wieder durch die Szene. Weniger im Bauch der Liebenden. Der Kampf der feindlichen Familien – etwas rowdyhafte Jugendliche der Montaigus gegen die besser situierten Capulet-Anhänger – ist situiert in einer Sporthalle mit (verfehltem) Baseball-Korb. Juliette, nach Einnahme ihres Sedierungstrunks, wird nicht in einer Gruft deponiert, sondern in einer Totenhalle aufgebahrt. Dort ölen sie zwei junge Bestatterinnen, die offenbar den Unterschied zwischen einem toten oder einem „schlafenden“ Arm nicht erspüren können.

Als dann Roméo hereinstürzt, die reglose Juliette sieht, voreilig das wirkliche Gift trinkt und parallel Juliette wieder erwacht, kommt es endlich zur definitiven Vereinigung. Aber zu spät. Und dann öffnet sich wieder das Spiegelbild-Parkett, mit dem die Regisseurin schon die Ouvertüre bebilderte: Theater im Theater – als Distanzierung gemeint, ironisch? Vielleicht sind in dem Sinne auch die Juliette-Doubles zu verstehen, die zur Balletteinlage die scheintote Juliette in den Tod geleiten sollen (Mathieu Guilhaumon). Eher peinlich wie das Chargieren des Chors.

Elsa Dreisig singt diese Juliette, und so gut habe ich sie noch nie gehört. Hell klingt ihr Sopran, sauber und schlackenfrei meistert sie die Koloraturen. Und auch Amitai Pati ist stimmlich ein hervorragender, wenn auch etwas steifer Roméo. Warum Juliette von der Kostümbildnerin so wenig liebevoll ausgestattet, das Innere des Capulet-Hauses so verdruckst gestaltet wurde, ist eine der großen Fragen dieser Produktion. Eine andere, warum es bei den meist statisch inszenierten Chorensembles immer wieder klappert zwischen Bühne und Graben. Stefano Montanari am Pult bekommt denn auch am Ende einige Buhs zu hören wie auch das gesamte Inszenierungsteam.

Schön, diese „Roméo et Juliette“ mal wieder ausprobiert zu haben. Einige wenige Perlen gibt es in der Partitur. Zum stärksten von Gounods Werken gehört dieses aber gewiss nicht. Der Riesenerfolg bei der Uraufführung 1867 ist doch schon lange her.


Fehler korrigieren

Erste Spielplan-Pressekonferenz 2024/25 der neuen Leitung

13.05.2024

li: Sobotka, re: Thielemann

Leutselig und gesprächig wie selten gibt sich der designierte Staatsopern-GMD Christian Thielemann. Viele Lobeshymnen an den aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Daniel Barenboim. Dreißig Jahre lang hatte er die Staatskapelle und das Haus neu geformt. Thielemann, sagt er, liebt ihren dunkeln doch durchsichtigen Klang. Eine erste gemeinsame Opern-Neuproduktion wird es allerdings (der Kurzfristigkeit seines Engagements wegen) erst am Ende der neuen Spielzeit geben, Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“. Zuvor allerdings schon Konzerte.

Elisabeth Sobotka, die designierte Intendantin, früher schon als Operndirektorin am Haus, stimmt ein in die Lobeshymnen für Barenboim und seinen Drang, das Bestmögliche zu bieten. Offiziell will man Barenboim im Herbst verabschieden bei einem Festakt für seine Ernennung zum Ehrendirigenten. Als Dirigent*innen und Regisseur*innen kündigt sie an dem Haus eher unbekannte Namen an. Einen Knaller gibt’s zum Auftakt mit Anna Netrebko als Abigaille in einem neuen „Nabucco“ (Regie: die italienische Autorin und Regisseurin Emma Dante, Dirigent: Bertrand de Billy). Zum Engagement Netrebkos meint Sobotka: Netrebko sei die in dieser Rolle weltbeste Sängerin (noch?), und man dürfe auch schon mal Fehler korrigieren.

Bei den weiteren Premieren-Titeln gibt’s auch eher Unbekanntes oder an dem Haus lange nicht Gespieltes wie Gounods „Roméo et Juliette“ (D: Stefano Montanari, R: Mariame Clément), Janáčeks „Ausflüge des Herrn Brouček“ (D: Simon Rattle, R: Robert Carsen), Bellinis „Norma“ (D: Francesco Lanzillotta; R: Vasily Barkhatov). In der Abteilung Moderne: von György Kurtág „Fin de partie“ (D: Alexander Soddy, R: Johannes Erath) und „Cassandra“ des ehemaligen Brüsseler Intendanten Bernard Foccroulle (D: Anja Bihlmaier, R: Marie-Eve Signeyrole). Die Thielemannsche „Schweigsame Frau“ soll der nicht unumstrittene Jan Philipp Gloger einstudieren, Bühne: Ben Baur.

Für den und mit dem Nachwuchs soll eine ganz besondere „Freischütz“-Version erarbeitet werden. Und mehr Präsenz von Thielemann soll es ab der Spielzeit 2025/26 geben. Dass an dem Haus nach vielen Jahren endlich überhaupt wieder eine öffentliche Spielplan-Pressekonferenz stattfand, ist das Erfreulichste an der Vormittags-Veranstaltung auf dem hochgefahrenen Orchestergraben. Der bisherige Intendant liebte eher das verschwiegene Tête-à-Tête – also Probleme möglichst unter den Teppich kehren. Und seine Spielplangestaltung schleppte sich gern entlang der gängigen Namen und ausgetretenen Pfade. Auch insofern verspricht der Neustart Besserung. Hoffentlich auch länger. Fraglich aber, ob auch alles glänzt, was da golden schimmert.

Foto: © gfk