leipzig ab 2013

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Oper Leipzig

Bolero-Sacre
Nelsons-Inauguration
Feen
Nabucco

Dumm gelaufen

Das Leipziger Ballett mit „Boléro“ und „Sacre du printemps“

03. Febr. 2018

Vierzig Clowns. Das gesamt Corps du Ballett. Einer ist der am meisten Geschundene. Und er steigt am Ende aus. Virtuos wird da getanzt in Mario Schröders neuem Ballett. Igor Strawinskys „Sacre du printemps“ setzt Maßstäbe und verlangt das Außerordentliche. Die Uraufführung 1913 in Paris durch die Ballets Russes in der Choreographie von Vaslav Nijinsky eskalierte bekanntlich zum Skandal. Den muss man hier nicht befürchten. Im Gegenteil, die Fans jubeln. Aber etwas dünn ist das doch. Das Existenzielle, das Strawinskys Musik und das als Vorlage dienende Libretto mit dem atavistischen Frühlingsopfer eines jungen Mädchens im alten Russland nahelegt, kann diese Übertragung in ein gemeintes Heute nicht einfangen. Wer sind schon heute die Clowns? Die Künstler selbst?

Als ersten Teil des Abends hat man sich von Johan Inger dessen Version von Maurice Ravels „Boléro“ einstudieren lassen. Neun Tänzerinnen und Tänzer tanzen gegen, auf und über eine mobile Wand. Die hat auch Türen, durch die immer neue Überraschungsgäste eintanzen. Oder es gibt ein großes Ringelreihen-Rennen um diese Wand/Mauer. Die eindringlichste Szene ist, wenn die stampfende Musik plötzlich abbricht und ein Paar in der Stille traumhaft sich bewegt. Am Ende gibt es dann nochmal als Pendent ein Anhängsel nach Musik von Arvo Pärt, „Walking Mad“ (= verrückt gehen, oder frei übersetzt: dumm gelaufen) auch sehr ruhig, introvertiert. Auch das hat eine gewisse Spannung, die sich aber ansonsten nicht einstellt. Insbesondere der große Bogen von Ravels Musik wird hier nicht sinnlich.

Schade. Auch musikalisch ist eher Routine unterwegs, höchst präzise allerdings. Das Gewandhausorchester spielt live im Graben unter der Leitung von Matthias Foremny. Einen inneren Zusammenhang kreiert dieser Abend trotz der stilistischen Nähe der Musik nicht. Ging es Ravel mehr um die Schrecken des neuen Maschinenzeitalters, bangte Strawinsky mehr um die der vor-zivilisatorischen Gesellschaften.


Andris Nelsons wird
21.Gewandhaus
kapellmeister
ab 2017/18

09.09.2015

Andris Nelsons, Foto: M.BorggreveDer 1978 in Riga in einer Musiker-Familie geborene Andris Nelsons wird 2017 neuer (21.) Gewandhauskapellmeister. Er ist damit nach Felix Mendelssohn-Bartholdy der zweitjüngste Chef dieses 1743 vom Leipziger Bürgertum gegründeten Traditionsorchesters. Und er folgt Riccardo Chailly nach, der zu seinem Leitungsposten an der Mailänder Scala auch den des Festivalorchesters Luzern übernehmen soll, ein Job, für den pikanterweise auch Nelsons im Gespräch war.

Erst kurz vor der Nachfolgersuche für Sir Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern im Frühjahr 2015 hatte Nelsons seinen gegenwärtigen Vertrag als Chef des Boston Symphony Orchestra bis 2022 verlängern lassen. Für Berlin war er mit in der Auswahl. Seine Frau, Sängerin an der Met, soll ihn aber bewogen haben, nicht ernsthaft für Berlin zu kandidieren. Den Bostoner Chefsessel will er aber nun mit Leipzig kombinieren, was leichter zu bewerkstelligen ist. Man wolle sogar eine Boston-Leipzig-Kooperation etablieren, wie es heißt.

Ohnehin gibt es eine seit dem 19.Jahrhundert währende Bindung zwischen Boston und Leipzig. Arthur Nikisch, war jahrelang zugleich Chef in Leipzig und Boston. Das Bostoner Konzerthaus wurde einst nach dem Vorbild des damals neuen (klassizistischen) Gewandhauses gebaut. Auch Kurt Masur pflegte als Gewandhauskapellmeister jahrelang Beziehungen zu amerikanischen Orchestern. Boston hat allerdings mit dem von Serge Koussevitzky gegründeten Tanglewood-Festival auch eines der opulentesten und renommiertesten Sommerfestivals zu bespielen.

Seine Karriere begann Nelsons als Trompeter im Opernorchester von Riga, wollte früh aber schon Dirigent werden. Mariss Jansons, ebenfalls aus Lettland stammend, förderte ihn. Von 2003 bis 2009 war Nelsons Musikchef der Lettischen Oper, kam dann als Chefdirigent zur Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford und folgte Sir Simon Rattle nach als Musikdirektor des City of Birmingham Orchestra. Nelsons ist Gastdirigent vieler berühmter Orchester, wird ab 2016 auch wieder in Bayreuth dirigieren. Dort leitet er den „Parsifal“, den Uwe Eric Laufenberg als Einspringer neuinszenieren soll.

Sein Debut in Leipzig gab Nelsons im Dezember 2011 mit einem Strauss-Beethoven-Sibelius-Programm. Als Dirigent pflegt er einen ekstatisch bewegungs-intensiven Stil der Zeichengebung. Die Meinungen darüber sind kontrovers. Manche nennen ihn einen Klangmagier, andere sprechen von Dirigier-„Zirkus“. Feine Zwischentöne sind jedenfalls nicht gerade seine Spezialität. Bei einem Gastkonzert mit seinen Bostonern am Musikfest Berlin 2015 ertränkte er Mahlers Sechste fast in einen Rausch von Kontrasten, wobei das Besondere dieser Symphonie, der Hammerschlag, fast unterging.

In Leipzig könnte Nelsons wieder seiner Liebe für die Oper frönen. Das Gewandhausorchester ist ja auch zuständig für den Dienst im Graben dort. Allerdings wartete man schon bei Kurt Masur vergeblich, dass er seine angedachte Schumann-„Genoveva“ dirigieren würde. Und auch sein Nachfolger Chailly legte nach zwei Premieren-Dirigaten (Verdis „Un ballo in maschera“ und Puccinis „Manon Lescaut“) den Taktstock wieder beiseite. Auf eine mit ihm geplante „Carmen“ verzichtete er ganz.

Foto: Marco Borggreve


Luftgeister

Auftakt zum Wagner-Jahr mit dem Erstling „Die Feen“

16.Febr. 2013

Ach, hat unser Jubilar Richard auch schon die Kostümfilme des letzten Jahrhunderts voraus geahnt? So jedenfalls könnte man denken, wenn man die Premiere seines Opern-Erstlings „Die Feen“ in Leipzig besucht. Dort hat man sich, anlässlich des zweihundertsten Wiegenfests des großen Sohns der Stadt und zum Auftakt von übers ganze Jahr verstreuten Events, dieses Frühwerk szenisch angenommen. „Die Feen“ waren eine Bewerbungsarbeit, die Wagner – erfolglos – bei der damaligen Theaterleitung einreichte. Einige seiner späteren Themen sind in den „Feen“ angetönt wie die Rolle des Künstlers oder Erlösung durch Liebe. Den eigentlichen Helden, Arindal, könnte man durchaus verstehen als modernen Menschen. König Arindal ist eine Art Antiheld; statt Kriege zu führen träumt er sich in eine Fantasiewelt. Er will Ada für sich gewinnen, eine Zauberfee, bekommt mit ihr Kinder, darf sie aber nicht fragen, wer sie ist und woher sie kommt. Und als er’s doch tut, wird die Angebetete mit Versteinerung bestraft. Um sie zu erlösen, muss Arindal wie Orpheus in die Unterwelt. Mit Musik holt er Ada heraus und ins Feen-Reich zurück; und selber wird er von den Jenseitswesen gleich mit ins Reich der Unsterblichen erhoben.

Es ist eine ziemlich krause, autobiografisch gefärbte Geschichte, die der Zwanzigjährige, von den Verwüstungen der Napoleonischen Kriege gezeichnet, nach einem Märchen von Carlo Gozzi erdacht hat; die Dramaturgie holpert. Musikalisch trifft man von fern auf viele gute Bekannte: Beethoven, die Befreiungsmelodie des „Fidelio“, Mozart mit den Prüfungsriten der „Zauberflöte“ oder Weber und sein verunsicherter „Freischütz“-Max lassen grüßen. Schon die mehr als viertelstündige Ouvertüre setzt markante Ausrufungszeichen; ziemlich selbstverliebt werden da fleißig Akkord-Rückungen repetiert, die als eine Art Erinnnerungsmotiv gegen Ende der Oper die Befreiung der Fee Ada von ihrem Fluch signalisieren. Auf Vorahnungen der Paare Senta-Holländer, Elisabeth-Tannhäuser, Elsa-Lohengrin trifft man immer wieder, zumal beim Protagonisten-Paar Ada-Arindal. Aber es sind für die Figuren der zweiten Ebene auch Elemente der Spieloper integriert, wie sie noch im „Holländer“ bei Daland anklingen.

Etwas stockend beginnt das in Leipzig. GMD Ulf Schirmer, zugleich der Intendant des Hauses, steht selbst am Pult des Gewandhausorchesters. Man hört, dass dieser Wagner nicht zum Repertoire gehört. Manche Bläser-Einsätze wackeln. Der Klang des Orchesters zumal im ersten der drei Akte wirkt dick und ungeformt. Immer wieder im Verlauf des fast vierstündigen Abends gibt es Koordinationsschwierigkeiten zwischen Bühne und Graben. Von den Sängern kann am ehesten Arnold Bezuyen in der Partie des Königs Arindal mit fester Stimme überzeugen. Etwas überanstrengt zumal in den Höhen wirkt anfangs Christiane Libor als Fee Ada, kann sich dann aber in den oft längeren hochdramatischen Arien steigern. Ordentlich besetzt sind die zahlreichen Nebenfiguren.

Das Kreuz dieser gleichwohl ehrenwerten Anstrengung ist die Inszenierung. Man hat sie dem französisch-kanadischen Team Renaud Doucet (Regie) und André Barbe (Ausstattung) übertragen. Die beiden zeigen das Ganze eingerahmt als eine Art Fantasy-Ausstattungs-Schinken in biedermeierlichem Mittelalter-Ambiente. Arindal sitzt anfangs in Strickweste auf einer Couch, CD-Player neben sich und Booklet in den Händen, und imaginiert die Story, während seine Frau das Weite sucht und erst am Ende wieder in der Wohnküche, wo man eben noch Gäste bewirtet hat, eintrudelt. Die Bühnenmaschinerie hat Großeinsatz, auf und ab. Figurenzeichnung oder gar Chorführung: Fehlanzeige. Die Idee, das Werk als eine Art Gleichnis zu inszenieren, um es vielleicht für heute zu retten, bleibt ungenutzt. Und so wird diese Produktion buchstäblich in den Graben gefahren als die wohl überflüssigste Ausgrabung der Spielzeit.

Immerhin ins koproduzierende Bayreuth, wohin die Aufführung eingeladen ist, wird sie nur konzertant gegeben – vor den Festspielen. Am Grünen Hügel werden „Die Feen“, die der Meister dann selbst in den Giftschrank verbannte, nur Luftgeister bleiben. Und gar nicht daran zu denken, zu welch genialem Jugend-Werk das Stichwort Luftgeister den nur wenig älteren Kollegen Mendelssohn inspirierte.


Wunder-Märchen

Auftakt des Verdi-Wagner-Jahrs in Leipzig mit „Nabucco“

06.Jan. 2013

Auf die Frühwerke der beiden Musik-Jubilare des Jahres konzentriert man sich in der Wagner-Stadt Leipzig. Wagners selten gespielte frühe Oper „Die Feen“ bringt man im Februar zur Premiere. Begonnen hat man mit Verdis „Nabucco“, uraufgeführt 1842 in Mailand unter dem Titel „Nabucodonosor“. Die Geschichte von dem Babylonierkönig Nebukadnezar, der Krieg führt gegen die Juden, sie in Gefangenschaft führt und, als er dann auf wundersame Weise zu ihrem Gott bekehrt wird, sie frei lässt.

Eng geht’s zu anfangs auf der riesigen Leipziger Bühne. Auf handtuch-schmalem Raum drängen sich die Hebräer unter Pulverdampf vorn an der Rampe, wogen hin und her, rein, raus. Dahinter, verdeckt von einem halbtransparenten Vorhang, eine Art Bühne auf der Bühne mit einem gold-schimmernden Theatersaal. Die Hebräer haben Fenena, die legitime Tochter des Babylonierkönigs Nabucco, gefangen als Geisel, um die Zerstörung des Tempels zu verhindern. Aber da taucht auch schon Abigaille, die illegitime Nabucco-Tochter aber eigentliche Scharfmacherin auf mit Soldateska, will die Halbschwester befreien – und muss mit an sehen, dass sie einen gemeinsamen Liebhaber haben. Eher unbeteiligt dann auch Nabucco. Die Gemengelage bleibt unübersichtlich.

Mit Verdi beginnt die Oper der Wagner-Stadt Leipzig das bicentennare Feier-Jahr. Ein kleiner Kontrapunkt, Wagner kann warten. Und mit Dietrich W. Hilsdorf hat man für Verdis erste Meisteroper einen Regisseur gebeten, von dem man sich wohl eine besondere, heutige Sichtweise auf dies Stück von der Befreiung der Hebräer aus babylonischer Umklammerung versprach. Zu sehen ist davon auf der Bühne indes wenig. Bis zum Schluss rätselt man, worauf Hilsdorf wohl hinaus will. Vergeblich. Bühnen-Ort und -Zeit bleiben in der Ausstattung von Dieter Richter und Renate Schmitzer im Ungefähren der Entstehungszeit, angenähert an die französische Wurzel des Schauspiels von August Anicet-Bourgeois und Francis Cornu, bei dem der Verdi-Librettist Temistocle Solera sich bediente. Der Raum mit seinen Kachelwänden deutet einen jüdischen Tempel an. Die Hebräer tragen Zylinder. Der Babylonier-Herrscher kommt anfangs mit Napoleon-Lorbeer auf dem Kopf, dann, wenn er zum Wahnsinn mutiert ist, wälzt er sich im Lear-Narren-Schmuddel-Kleid.

Im Graben lässt Antony Bramall das Gewandhausorchester in kräftigen Farben Verdis frühe doch noch aus sehr unterschiedlichen Facetten gestückelte Partitur ertönen. Meist doch etwas laut. Die Sänger müssen forcieren. Und das bekommt dem Abend gar nicht gut. Zumal Amarilli Nizza als Abigaille hat kaum Möglichkeiten, die lyrische Seite ihrer Stimme zu präsentieren; ähnlich Jean Broekhuizen als ihre Halbschwester Fenena. Aber auch Arutjun Kotchinian als der zum Widerstand mahnende Hebräer-Oberpriester muss seine Anfeuerungen im Dauer-Forte-Fortissimo schleudern. Lediglich Markus Marquardt als Babylonier-König Nabucco bietet ein differenzierteres Bild. Ergreifend der Chor der Leipziger Oper mit dem berühmtesten Stück des Werks, dem später zur italienischen Befreiungshymne avancierten Gefangenenchor. Vom Publikum wurde denn auch vor allem der Chor gefeiert. Aber auch die Solisten wurden fast frenetisch beklatscht. Schüchterne Buhs gab es am Ende lediglich für das Inszenierungs-Team.

Aber einen griffig-heutigen und doch im Verdi-Ton ankernden „Nabucco“ zu inszenieren wäre heikel. Welche Befreiung der Hebräer könnte da gemeint werden? Die von der eigenen lastenden Historie? Man muss das Stück wohl nehmen wie es ist: als eine Art Bühnen-Märchen mit Wunder-Bonus und kleiner Pointe am Schluss wie hier. Nur etwas spannender dürfte es dabei schon sein.