Es beginnt mit einem Schlagzeug-Solo. Die innere Gemütslage des
Adolf Wölfli wird so imaginiert, wie überhaupt der dänische Komponist Per
Nørgård vor allem mit geräuschartigen Klängen arbeitet. Die Saaltüren
sind noch offen, das Licht im Zuschauerraum angeknipst. Auf der Gazewand
sieht man wechselnde Projektionen der wie serielle Malerei anmutenden
Zeichnungen Wölflis. Im Hintergrund als Spot Szenen seiner Biografie,
die ihm mit 31 Jahren die Diagnose Schizophrenie und die Einweisung in
die psychiatrische Anstalt Waldau bei Bern einbrachten: Wie er unter die
Bettdecke eines Kinderwagens greift und das an dem Baby-Körper Ertastete
an den Fingern riecht und schmeckt; wie die Mutter ihn früh verlässt;
wie sich gleichsam sein eigenes Ich in viele Adolfs spaltet.
Spaltung ist auch das szenische Prinzip der Inszenierung dieser
Wölfli-Oper „Der göttliche Tivoli“ am Theater Lübeck. Sandra Leupold,
die diese Deutsche Erstaufführung der schon 1983 in Århus uraufgeführten
Oper besorgte, arbeitet mit viel körperlichen, auch pantomimischen
Aktionen (Choreografie: David Winer-Mozes) : Klettern, Springen,
Stürzen, in den Boden versinken, am Seil herab oder hinauf schweben und
gleichsam wieder auferstehen. Im ersten Akt blickt Adolf gleichsam
innerlich zurück auf sein Leben. Die (Papier-)Wände seiner häuslichen
Welt werden rissig, löchrig. Fantasie-Gestalten tauchen auf: Heilige,
Huren. Während die Familie festlich speist, veranstaltet er unter dem
Tisch mit seiner kleinen Freundin Doktorspiele, „verspeist“,
vergewaltigt sie. Und auch bei der Dienerschaft geht’s dann plötzlich
sehr heftig zur Sache.
Die Wandlungen der Mädchen- und Frauenfiguren, die seine Sinne reizen,
wird sehr deutlich ausgespielt. Der zweite Teil zeigt Wölfli dann
gleichsam eingelocht in seinem engen Verlies in der Psychiatrie, und die
Figuren seiner Vergangenheit suchen ihn dort wieder heim, necken ihn,
äffen ihn. Dabei will er nur einfach endlich zur Ruhe kommen. Er
klettert heraus aus dem Käfig; und die Figuren klettern mit. Am Ende
entschwebt er gleichsam als Heiliger in den Bühnenhimmel. Und es sind ja
viele Maler der Moderne, von Jean Dubuffet bis Max Ernst, die sich auf
Wölflis akribische, unendlich viele Zeichnungen, Texte, Collagen in
ihrer Kunst als wegweisend bezogen.
Die Oper Per Nørgårds reizt, einmal wieder mit der Kunst und der
Biografie dieses Schweizer Malers, Zeichners und Sprachkünstlers Adolf
Wölfli sich zu beschäftigen. In der Übertitelung der Dialoge hat man
auch die sehr eigenwillige Orthografie Wölflis nachzuempfinden versucht,
was allerdings das Mitverfolgen der Texte auch nicht ganz einfach macht.
Ein junges, spielfreudiges Ensemble mit achtfachem Wölfli (vornweg
Hubert Wild) und der Freundin in vielerlei Gestalt, der jungen Sängerin
Andrea Stadel, die sich in ihren stimmlichen und darstellerischen
Möglichkeiten sehr entwickelt hat, wird aufgeboten. Dorian Keilhack
leitet das kleine Ensemble von sechs Schlagzeugern, Violoncello und
Synthesizer, das gleichsam die dramaturgischen Akzente setzt.
Am Ende gab es viel Beifall im Lübecker Theater, das mit Aufführungen
von Werken aus dem umgebenden Ostseeraum schon eine gewisse Tradition
entwickelt hat. Die Inszenierung Sandra Leupolds in der Ausstattung von
Barbara Rückert ist gut kalkuliert, berühren kann sie freilich nur sehr
partiell. Eher wirkt sie wie ein klinischer Bericht. Der aber zeigt doch
auch das Wegweisende des Wölfli in der Klinik begleitenden Arztes Walter
Morgenthaler: dass er einen Menschen, der bis dahin Tabuisiertes,
Unverständliches tat, ernst genommen hat in seinem Leiden und erkannt in
seiner Bedeutung, auch wenn er ihm letztlich nicht helfen konnte und in
der Oper allenfalls eine Randfigur ist.
„Iris“ gilt als Vorläuferstück zu „Butterfly“ – der nämliche
Librettist, ein ähnliches Sujet: Eine junge japanische Frau wird ins
Bordell verkauft, funktioniert dort nicht recht und kommt elendiglich zu
Tode. Der Komponist freilich ist nicht Giacomo Puccini. Pietro Mascagni
hat diese „Japanerin“, wie er das Stück für sich zuerst nannte, vertont.
Bekannt geworden war er einst durch seine sizilianische
Eifersuchtstragödie „Cavalleria Rusticana“. Man weiß aus Mascagnis
Biografie: Er hat viele weitere Opern nach seinem Sensationserstling
geschrieben. Durchsetzen konnte sich keine.
Und auch bei „Iris“ war es so: schon die Kritiker der Uraufführung 1898
monierten das langatmige Libretto, die wenig konzise Musik. Interessant
ist sie immerhin durch ein bisschen Lokalkolorit, wie einen Kurzausflug
in die Saiten der Schamisen. Eigentlich beginnt die Musik der „Iris“ ja
sehr schön, poetisierend, gleichsam in einem grauen Morgennebel,
entfaltet sich dann zu einem gleißenden Aufbrechen der Sonne, die auch
mit Chor und vollem Orchester emphatisch evoziert wird als reinigende,
alles Böse ausbrennende Kraft.
Freilich eher kalt, hohl, bombastisch klingt das. Und wenn sich diese
Evokation am Ende wiederholt, erkennt man spätestens warum. Einen
schalen Beigeschmack hat das Ganze. Und man weiß ja von Mascagni auch,
dass er d’Annunzio nahe stand, dass er später unverhohlen Mussolini
umschwärmte. Was hier evoziert wird, ist die „Reinigung“ einer
„verderbten“ abendländischen Kultur durch einen irgendwie fernen
Naturkult. Hier wird er mit einem artifiziell japanischen identifiziert.
Die Menschen, die hier vorgeführt werden, leben ihren Träumen, wie in
Trance, sind Puppen, durch Masken Verführbare.
Mascagni behauptete, seine Iris sei ein Symbol für die Unantastbarkeit
der Kunst. In der Chemnitzer Ausgrabung wird die Titelfigur gleich zu
Beginn gezeigt als Bettlägerige, Somnambule, Gegenstand
medizintechnischer Untersuchungen, sich trippelnd bewegend in einer Art
Psycho-Zwangsanstalt. Die beiden Verführer, Osaka und Kyoto, die sie in
die Prostitution verkaufen wollen, gaukeln ihr eine bunte, halluzinogene
Welt draußen vor, bieten Geld für Liebe – und stoßen sie am Ende in den
Schlamm. Der Vater, ein Blinder, tapst durch das Stück wie verloren in
einer fremden Welt.
Niksa Bareza am Pult der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie tut
sein Bestes, um dieser Musik zu Kraft zu verhelfen. Aber sie widersetzt
sich, bleibt über weite Strecken blass und farblos. Svetlana Katchour
ist eine stimmlich erstaunlich biegsame Iris. Ausstatter Markus Meyer
bebildert brav in modisch-gängigen Klischees die Bühne. Die Regie von
Jakob Peters-Messer übt sich in erstaunlicher Naivität. Figurenzeichnung
findet kaum statt. Der Chor (von Krankenschwestern bis zu
Leichenbestattern) wird an der Wand oder im Karree aufgestellt. Masse.
Seit langem hat man in Chemnitz wieder mal etwas gewagt mit einem
unbekannten Stück. Nur leider: Sehr genau gelesen hat man es offenbar
vorher nicht. Es gibt schon Gründe, das Werk in den Archiven der
Musikgeschichte ruhen zu lassen. Und wenn man es denn aufführt, müsste
man die vielen hässlichen Ablagerungen der Geschichte mit erzählen.
Alberto Franchetti, dem Illica zuerst das Werk angeboten hatte,
verzichtete darauf, bevorzugte die freilich auch äußerst heikle
„Germania“. Franchetti war Jude. Mit den geistigen Wegbereitern des
Faschismus wollte er sich denn doch nicht zu eng liieren.
Er war einer der erfolgreichsten Komponisten des ausgehenden
19.Jahrhunderts: Victor E. Nessler, 1841 im Elsass geboren mit dem
ursprünglichen Berufswunsch „Theologe“. Ein „Vorfall“ bewirkte seinen
Ausschluss vom geistlichen Studium. Er ging nach Leipzig zum damals
berühmtesten Kompositionslehrer, Moritz Hauptmann. Erste Anstellungen als
Chordirigent am Stadttheater dann als Kapellmeister am Carola Theater
machten ihm Lust aufs Theater. Dornröschens Brautfahrt hieß seine erste
viel sagende Oper (1867), Irmingard eine zweite (1876). Doch den
deutschlandweiten Durchbruch schaffte er erst mit dem Rattenfänger von
Hameln, 1879 uraufgeführt in Leipzig immerhin unter Arthur Nikisch. Und
auch Gustav Mahler schätzte dies Werk so sehr, dass er es ansetzte zum
Abschied aus Kassel. Nessler seinerseits sammelte bei den deutschen
Theatern mit dieser Oper soviel Mäuse, dass er die Kapellmeisterei
aufgeben konnte. Bis nach England fand das Werk seine Verbreitung.
Was den Rattenfänger und dann vor allem den diesen noch toppenden Trompeter von Säkkingen (1884) so erfolgreich machte: zum einen die
Sujets. Nessler wollte Theater für die ganze Familie. Die Sage vom
Rattenfänger, den die Ratsherren von Hameln nach getaner Arbeit nicht
bezahlen wollten und der seine magische Macht dann an den Kindern der
Stadt ausübte, kannte jeder. Und auch die tränenreiche Saga vom nach Rom
pilgernden Trompeter aus Säkkingen des
Viktor von Scheffel konnte in
Deutschland jeder nacherzählen. Auch musikalisch hat Nessler sich bedient
bei bekannten und beliebten Modellen. Bei Lortzing zumal und dessen
Spielopern, aber dann auch bei Meyerbeer (mit einer Art Blech
schmetternden Schwerterweihe) und vor allem Wagner. Holländer,
Meistersinger, Ring – man trifft sie alle wieder. Den nächtens hämmernden
Schmied Wulf, der die braven Bürger mit seinem Amboss-Gehämmere aus dem
Schlaf weckt. Die um die klamme Kasse in einem wirren Chor gleich zu
Beginn sich raufenden Ratsherrn. Und Hunold Singuf, der mit einem
sprechenden Namen benannte und mit magischen Kräften à la Orpheus begabte
Spielmann, übt nicht nur Kraft aus auf die kleinen Nager sondern auch auf
Frauen. Gleich zwei wollen sich ihm ergeben, zuerst Gertrud, die sich dann
à la Senta, als sie von der Rivalin hört, ins Wasser stürzt, und Regina,
die Bürgermeisterstochter, von der die Wette geht, niemals würde sie einen
Mann küssen, und die dann wie magnetisch angezogen ihm und den Kindern
nachfolgt. Wer weiß wohin.
Seit fünf Jahren erprobt man neu am Mittelsächsischen Theater Freiberg
Stücke, die einst erfolgreich waren, die heute kaum noch einer kennt. Auch
dem Trompeter von Säckingen ließ man so Wiederauferstehungsehren zu teil
werden, oder Konradin Kreutzers Nachtlager von Granada, Pfitzners
Christelflein, Lortzings
Hans Sachs und frühen Einaktern. Als „Dienst an der Gattung“ will
Ingolf Huhn, der musikwissenschaftlich gebildete Regisseur und damalige
Intendant des Theaters das verstanden wissen. Seit dieser Spielzeit ist er
Intendant in Zwickau und will auch dort ähnliches probieren. Mit einfachen
szenischen Mitteln in der Ausstattung von Marie-Luise Strandt, aber
durchaus effektvoll ist von ihm das nun auf die Bühne gebracht. Besonders
eindrucksvoll die Szene mit dem mitternächtlichen Rattenfang zu einer
Musik, die wie importiert klingt aus des Holländers Geisterschiff, und die
Ratsrauferei zu Beginn, wo die bürgerlichen Herren wie Grashalme im Winde
schwanken, wenn sie ihrem Unmut über die leeren Kassen und ihren dummen OB
freien Lauf lassen. Mit Michael Kunze als Hunold steht ein
Sängerdarsteller von großer dramatischer Begabung für die Titelpartei zur
Verfügung. Martin Bargel hält das kleine Orchester selbst bei den
zahlreichen schwierigen Bläserstellen gut zusammen. Offensichtlich ist das
Ensemble in den Jahren durch diese Grabarbeit im Silberstollen der
Operngeschichte künstlerisch gewachsen.
Gewiss könnte man interpretatorisch noch mehr herausholen, tiefer
eindringen in die Figuren, das Dämonische des Hunold stärker kontrastieren
zum äußerlich Unscheinbaren seines Auftretens: immer mit einem Liedlein
auf den Lippen. Sanfter ironischer Distanzierung bedürfte gewiss die heute
kaum noch vermittelbare Butzenscheiben-Bürgerwelt, wie sie ausgestellt
wird in diesem Werk. Musikalisch ist das gleichwohl eine Entdeckung, die
lohnt in jedem Fall mit ihrer Mischung aus Lortzing und Wagner und mit
ihren Lyrismen, die voraus weisen gar auf den frühen Puccini. Es muss nicht
immer Zar und Zimmermann sein, wenn man deutsche Spieloper aufs
Tapet bringen will. Einen doofen Bürgermeister und Bürger, die pfeffern
gegen ihre stupide Obrigkeit, gibt’s auch hier.
Eine Oper über das Komponieren einer Oper ist dies, und in ihrem Zentrum steht
eine Beschwörungsszene.
Christoph,
Symbol der Kraft und der Stärke, der wie der in der
Christophorus-Legende immer nur dem stärksten zu dienen trachtete, will
seine von ihm aus Eifersucht erschossene Frau Lisa wieder zum Leben
erwecken. Ort: eine Mischung aus Tanzdiele, Cabaret und Opiumhöhle.
Aber nur kurzzeitig gelingt es ihm, das Bild der
getöteten Frau, einer Tänzerin, Inbild einer femme fatale, zu
imaginieren; die litt darunter, durch die
Geburt eines Kindes ihre Figur, ihre Schönheit verloren zu haben. Herein
trippelt das eigene Kind. Es braucht den Vater, will von ihm "getragen"
werden wie das Jesus-Kind von dem Kraftprotz. Fiktion und Realität
mischen sich, denn die Szene ist Teil einer Oper, die der junge
Komponist Anselm schreiben will und in der er seinen Freund Christoph
als eine Art alter Ego porträtiert. Das Werk entgleitet ihm. Er wird es
nicht zu Ende bringen. Vielmehr wird er dem sich widmen, was der Lehrer
"Meister Johann" ihm zu schreiben aufgab: Ein Streichquartett über die
Legende des heiligen Christophorus, eine Musik ohne äußerliche Bilder.
Es ist ein Abschied, ein Zweifeln an der Imagination des Theaters. Der
letzte macht das Licht aus.
1925 begann Franz Schreker mit der Arbeit an Christophorus oder Die
Vision einer Oper. Nach mancherlei Umarbeitungen, auch auf Druck
des Verlags, war vier Jahre später die endgültige Fassung fertig
gestellt. Aber Schreker zog sie selbst wieder zurück. Im Frühjahr 1933
sollte sie dann doch in Freiburg i.Br. herauskommen als letzte der Trias
von Opern, die Schreker in jenen Jahren komponiert hatte, Der
singende Teufel und Der Schmied von Gent. Aus Angst vor
Übergriffen der Nazis sagte man die Premiere ab, Schreker starb im Jahr
darauf. Fast ein halbes Jahrhundert später erst holte man in Freiburg
die Uraufführung nach. Jetzt haben die Bühnen der Landeshauptstadt Kiel
einen zweiten szenischen Anlauf versucht. Wie ein Tasten nach neuen
Wegen in unsicherer Zeit wirkt die Oper Schrekers. Den Aufbruch der
Zwanziger Jahre hatte er in seinem kompositorischen Werk verpasst. In
der Cabaret-Szene des zweiten Akts versucht
er die Real-Musik jener Zeit – wie Weill in Mahagonny oder Krenek in seiner Jazz-Oper Jonny
spielt auf – einzufangen. Zugleich ist der Christophorus wie
eine Verweigerung Schrekers gegenüber den neuen Bildwelten. Nicht
zufällig hat er Arnold Schönberg das Werk gewidmet. Und er spürt
in jenem Christoph auch die verhängnisvolle Mischung aus Kraftkult und
Ästhetisierung des aufkommenden Faschismus. Schreker antwortet darauf
mit einer Art Parsifal-Haltung seines Helden, geläutert durch
fernöstliche Denkweisen.
Kirsten Harms, Kieler Operndirektorin, reduziert das Werk auf
einen szenischen Minimalismus, der die dramaturgische Problematik dieses
Ideen-Dramas eher noch verstärkt als ihr beikommt. Leicht blutleer wirkt
das Ganze, zumal im ersten Akt. Der Jungkomponist Anselm sitzt da immer
vorn an der geschrägten Rampe, sein Gesicht per Video in Großaufnahme
verdoppelt auf eine Gaze dahinter projiziert. Gebrochen wird die
Perspektive, wenn Anselm der Lisa erklärt, dass er auch für sie eine
Szene in seine Oper eingebaut hat, und der als Komponist und Mann mit
ihm rivalisierende Christoph die beiden erwischt, wie "das Leben" die
dünne Firnis der Kunstsphäre durchbricht. Mit hochdramatischer Stimme
und seidenweich auch in den duftigen "Farb"-Klängen
singt Susanne Bernhard diese Lisa. Ein bullig zupackender wie
skrupulös nachdenklicher Anselm ist Robert Chafin.
Den eher beauartigen Christoph gibt Jörg Sabrowski.
Mario Schröder hat die
vor einer Theaterkulisse (Ausstattung: Bernd Damovsky)
elegant eingefügten Tänze choreographiert. Als "Flamme"
(Michelle Fernandez Yamamoto) und "Welle" (Tina Gaitzsch
sind die angelegt, ein zusätzlich reflektierendes
Moment auf Schrekers Lebenswerk. Etwas grob leider ist das klanglich
ausbalanciert von Ulrich Windfuhr am
Pult des Philharmonischen Orchesters.
Freilich wirkt Schrekers Partitur doch zumal im ersten der beiden Akte
des mit Pause etwa zweistündigen Werks durch die vielen gesprochenen
Partien auch löchrig, schwankend, unfertig. Das Misslingen der
Beschwörung Lisas liest sich wie ein Zeichen für das Misstrauen
Schrekers in die Imaginationskraft der Künste. Aufbruch mischt sich mit
Verweigerung. Nur ausnahmsweise greift
hier das Schreker-typische schwärmerische Moment. Und mit dem Drang ins
transzendent "Heilige" des Schlusses hat man doch heute so seine
Schwierigkeiten.
Kleine Mädchen träumen von Prinzen, die sie wach küssen. Diese junge
Frau träumt von einem Wolf.
Verrückt? Millionen junge Frauen träumten
von dem Wolf und wollten dem Führer sich schenken und ein Kind
dazu. Die den Plot schrieb, Leonora Carrington, freilich hatte
das gar nicht im Sinn. Vielmehr wollte sie diesen Führer-Wahn
karikieren, der sie 1940 und ihren damaligen Lebensgefährten, Max
Ernst, aus der Bahn warf. Den Schock der Internierung von Ernst als
"feindlicher Ausländer" verarbeitete die zur Gruppe der Surrealisten
zählende Carrington mit Baa-Lamb’s Holiday, dem Fest der Lämmer.
Das Ganze packte sie in eine sadistische Familiengeschichte mit einer
herrschsüchtigen Alten und einem schwächlichen Sohn, dessen junge Frau
Theodora statt zu ihm ins Bett sich immer in ihre Spielzeugwelt
flüchtet. Bis der Wolf kommt in das einsame Haus in der Heide im tiefen
Winter und dieser schwarze Lohengrin erst mit ihr Hochzeit feiert und
dann ein Massaker veranstaltet mit einem Schlachtefest für alle dummen Lämmer.
Im Bühnenbild der Hamburger Deutschen Erstaufführung von Olga Neuwirths
Opernfassung Bählamms Fest sieht man dazu die dumpfe Glocke der
Heidewohnung sich lichten zu einer rosa Kuppel mit den
Wurstwaren-Auslagen eines Supermarkts.
Olga Neuwirth,
die junge österreichische Komponistin, hat für das 1999 bei den Wiener
Festwochen uraufgeführte Stück eine Musik mit vielen Brüchen geschaffen.
Live-Musik überlagert sich mit elektronisch veränderter. Alle Sänger
tragen Mikroports, sodass auch ihre Sprechstimmen moduliert oder
verdoppelt werden können. Den Wolf setzt sie als Countertenor,
der vorzugsweise mit dem heulenden Klang des
Theremin winseln darf. Das Libretto, das ihr
Elfriede Jelinek erarbeitet hat, blendet seltsamerweise den politischen
Aspekt dieser Fabel nahezu aus, macht aus dem Stück einen
Familien-Psychothriller mit ins Positive gewendetem, angeklebtem
Schluss. Und die junge Regisseurin dieser Aufführung des Internationalen
Opernstudios der Hamburger Staatsoper, Vera Nemirova,
verflüchtigt das mit Gags und Possen weiter zu einer Art Addams Family.
Bei ihrem Mentor, Peter Konwitschny, hat Nemirova gut
aufgepasst, etwas zu gut. Einige Szenen wie das Lämmerschlachten sind
schlicht kopiert – aus dessen Essener
Daphne.
Patrick Davin leitet das
Kammerensemble des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg mit großem
Engagement. Von den jungen Sänger-Darstellern können vor allem
Frédérique Friess als die sich nicht gerade zum Gottes- sondern eher zum Wolfsgeschenk
machende Theo-Dora beeindrucken und, als ihr beißfester schwarzer Retter
Jeremy, der stimmlich wie darstellerisch gelenkige Tim
Severloh. Das bunte Bühnenbild mit
Blümchentapete und Video-Schrankwand und dem Wursthimmel drüber
hat Stefan Heynegebaut. Die pfiffigen Kostüme beigesteuert
hat Marie-Luise Strandt. Das Publikum
im Hamburger Schauspielhaus, wohin die Oper diese Studio-Produktion
auslagerte, begeisterte sich vor allem für die Sänger. Für ein
Sich-Verbeugen der als Österreichs kompositorische Hoffnung geltenden
Komponistin reichte die Applauskraft nicht. Die 1968 in Graz geborene
Olga Neuwirth wird doch auch eher überschätzt. Und die Schwächen dieses Stücks liegen
ja auf der Hand.
Ein seltsames Stück ist das, ein bisschen politisierend, ein bisschen sentimental. Ein Stück, von dem man auch rückschließen kann auf Lortzings einzige erhaltene so genannte "Revolutionsoper" (von 1848), die Regina. 1832 ist Der Pole und sein Kind entstanden in Detmold. Ein Stoff in aller Munde damals nach Niederschlagung des Aufstands der Polen in Warschau, getextet auf volkstümliche Melodien.
Ingolf Huhn, Intendant und Regisseur des Doppelabends mit Singspielen, die man in Freiberg nun wieder ausgegraben hat.
Erzählt wird die Geschichte von einem invaliden
polnischen Soldaten, der durch die deutschen Lande irrt mit seinem kleinen
Sohn. Vorher haben sie immer mal wieder ein Lied gesungen aus Freude,
jetzt müssen sie’s, um sich durchzuschlagen. Eine Anspielung auch auf
Lortzings eigene Biografie: Nach dem preußischen Zusammenbruch im Gefolge
von Napoleons Einmarsch in Berlin musste der Vater das Ledergeschäft
aufgeben und als Schauspieler mit Frau und Kind durch die Lande ziehen zum
Broterwerb. Am Ende des Stücks hier steht die Wiedervereinigung der durch
den polnischen Aufstand geteilten Familie. Die in den Flammen umgekommen
geglaubte Mutter findet sich wieder: auf dem Gut des Pächters Redlich.
Auch noch ein paar andere Liebesgeschichten kommen "unter Dach und Fach".
Und auch den deutsch-burschenschaftlichen Trinksitten wird ausgiebig
zugesprochen.
Ergänzt wird das gut einstündige Singspiel durch ein weiteres Vaudeville
aus jener Zeit, uraufgeführt im gleichen Jahr 1832 als Weihnachts-Stück,
parodiert meist auf Mozart-Musik - die eigentliche Überraschung dieses
Freiberger Lortzing-Doppels. Eine köstliche Satire auf den absurden
Familien-"Frieden" eines solchen hochheiligen Abends ist das: mit
grummelndem Vater, der am liebsten um gar nichts sich kümmert und mit
Zitaten aus einem naturwissenschaftlichen Werk Mensch und Tier und
Festtagsstress sich vom Leibe hält. Derweil muss die Mutter mit steigender
Nervosität ihre Kinderschar beglücken. Und auch die Tochter aus erster
Ehe, Suse, soll endlich unter die Haube. Vater Käferling lehnt deren
Freund ab, möchte sie lieber mit einem alten Haudegen verkuppeln, der
ständig von irgendwelchen ägyptischen Abenteuern faselt. Doch Suschen
kriegt ihren Gottlieb als besondere Weihnachts-Überraschung im Waschkorb -
eine Umkehrung der Falstaff-Story. Zumal im Weihnachtsabend
geht das auch szenisch voll auf mit Einlagen von Kasperle-Theater in Huhns
Regie und der delikaten Ausstattung von Marie-Luise Strandt. Die
Rollen scheinen glücklich besetzt aus dem Haus-Ensemble. Wacker schlägt
sich das Orchester unter Christoph Sandmann. Konzertant hat man
sich in Freiberg, das immer wieder für Raritäten der
Spieloper
sich engagierte, bei einer Festmatinee zum 200.Geburtstag
und 150.Todestag Lortzings auch anderer Werke aus dieser Detmolder
Vaudeville-Serie in Ausschnitten angenommen: Andreas Hofer, Don
Juan und Faust und Szenen aus Mozarts Leben.
Bei einer Versammlung diskutierte man, was zum Lortzing-Glück noch fehlt.
Gerade der Meister des Biedermeier, aus dessen Fundus Generationen von
Theaterdirektoren sich bedienten, wann immer es in der Kasse klamm wurde,
erfreut sich keines fördernden Vereins. Und die Spieloper - mehr und mehr
entschwindet sie aus dem Repertoire, zumal der großen Häuser. Irmlind
Capelle, die das 1942 in Detmold gegründete Lortzing-Archiv betreut, zum
Sinn einer nunmehr mit 23 Mitgliedern gegründeten
Albert-Lortzing-Gesellschaft: