rara 2001-07

index

Norgard: Tivoli
Mascagni: Iris
Nessler: Rattenfänger
Künneke: Lady Hamilton
Schreker: Christophorus
Neuwirt: Bählamms Fest
Lortzing-Singspiele

In den Kunsthimmel entschwebend

Per Nørgård: Der göttliche Tivoli,
dt EA am Theater Lübeck

09.März 2007

Es beginnt mit einem Schlagzeug-Solo. Die innere Gemütslage des Adolf Wölfli wird so imaginiert, wie überhaupt der dänische Komponist Per Nørgård vor allem mit geräuschartigen Klängen arbeitet. Die Saaltüren sind noch offen, das Licht im Zuschauerraum angeknipst. Auf der Gazewand sieht man wechselnde Projektionen der wie serielle Malerei anmutenden Zeichnungen Wölflis. Im Hintergrund als Spot Szenen seiner Biografie, die ihm mit 31 Jahren die Diagnose Schizophrenie und die Einweisung in die psychiatrische Anstalt Waldau bei Bern einbrachten: Wie er unter die Bettdecke eines Kinderwagens greift und das an dem Baby-Körper Ertastete an den Fingern riecht und schmeckt; wie die Mutter ihn früh verlässt; wie sich gleichsam sein eigenes Ich in viele Adolfs spaltet.
Spaltung ist auch das szenische Prinzip der Inszenierung dieser Wölfli-Oper „Der göttliche Tivoli“ am Theater Lübeck. Sandra Leupold, die diese Deutsche Erstaufführung der schon 1983 in Århus uraufgeführten Oper besorgte, arbeitet mit viel körperlichen, auch pantomimischen Aktionen (Choreografie: David Winer-Mozes) : Klettern, Springen, Stürzen, in den Boden versinken, am Seil herab oder hinauf schweben und gleichsam wieder auferstehen. Im ersten Akt blickt Adolf gleichsam innerlich zurück auf sein Leben. Die (Papier-)Wände seiner häuslichen Welt werden rissig, löchrig. Fantasie-Gestalten tauchen auf: Heilige, Huren. Während die Familie festlich speist, veranstaltet er unter dem Tisch mit seiner kleinen Freundin Doktorspiele, „verspeist“, vergewaltigt sie. Und auch bei der Dienerschaft geht’s dann plötzlich sehr heftig zur Sache.
Die Wandlungen der Mädchen- und Frauenfiguren, die seine Sinne reizen, wird sehr deutlich ausgespielt. Der zweite Teil zeigt Wölfli dann gleichsam eingelocht in seinem engen Verlies in der Psychiatrie, und die Figuren seiner Vergangenheit suchen ihn dort wieder heim, necken ihn, äffen ihn. Dabei will er nur einfach endlich zur Ruhe kommen. Er klettert heraus aus dem Käfig; und die Figuren klettern mit. Am Ende entschwebt er gleichsam als Heiliger in den Bühnenhimmel. Und es sind ja viele Maler der Moderne, von Jean Dubuffet bis Max Ernst, die sich auf Wölflis akribische, unendlich viele Zeichnungen, Texte, Collagen in ihrer Kunst als wegweisend bezogen.
Die Oper Per Nørgårds reizt, einmal wieder mit der Kunst und der Biografie dieses Schweizer Malers, Zeichners und Sprachkünstlers Adolf Wölfli sich zu beschäftigen. In der Übertitelung der Dialoge hat man auch die sehr eigenwillige Orthografie Wölflis nachzuempfinden versucht, was allerdings das Mitverfolgen der Texte auch nicht ganz einfach macht. Ein junges, spielfreudiges Ensemble mit achtfachem Wölfli (vornweg Hubert Wild) und der Freundin in vielerlei Gestalt, der jungen Sängerin Andrea Stadel, die sich in ihren stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten sehr entwickelt hat, wird aufgeboten. Dorian Keilhack leitet das kleine Ensemble von sechs Schlagzeugern, Violoncello und Synthesizer, das gleichsam die dramaturgischen Akzente setzt.
Am Ende gab es viel Beifall im Lübecker Theater, das mit Aufführungen von Werken aus dem umgebenden Ostseeraum schon eine gewisse Tradition entwickelt hat. Die Inszenierung Sandra Leupolds in der Ausstattung von Barbara Rückert ist gut kalkuliert, berühren kann sie freilich nur sehr partiell. Eher wirkt sie wie ein klinischer Bericht. Der aber zeigt doch auch das Wegweisende des Wölfli in der Klinik begleitenden Arztes Walter Morgenthaler: dass er einen Menschen, der bis dahin Tabuisiertes, Unverständliches tat, ernst genommen hat in seinem Leiden und erkannt in seiner Bedeutung, auch wenn er ihm letztlich nicht helfen konnte und in der Oper allenfalls eine Randfigur ist.


Reinigende Sonne?

Pietro Mascagnis „Iris“ – in Chemnitz neu erprobt

03.Febr. 2007

„Iris“ gilt als Vorläuferstück zu „Butterfly“ – der nämliche Librettist, ein ähnliches Sujet: Eine junge japanische Frau wird ins Bordell verkauft, funktioniert dort nicht recht und kommt elendiglich zu Tode. Der Komponist freilich ist nicht Giacomo Puccini. Pietro Mascagni hat diese „Japanerin“, wie er das Stück für sich zuerst nannte, vertont. Bekannt geworden war er einst durch seine sizilianische Eifersuchtstragödie „Cavalleria Rusticana“. Man weiß aus Mascagnis Biografie: Er hat viele weitere Opern nach seinem Sensationserstling geschrieben. Durchsetzen konnte sich keine.
Und auch bei „Iris“ war es so: schon die Kritiker der Uraufführung 1898 monierten das langatmige Libretto, die wenig konzise Musik. Interessant ist sie immerhin durch ein bisschen Lokalkolorit, wie einen Kurzausflug in die Saiten der Schamisen. Eigentlich beginnt die Musik der „Iris“ ja sehr schön, poetisierend, gleichsam in einem grauen Morgennebel, entfaltet sich dann zu einem gleißenden Aufbrechen der Sonne, die auch mit Chor und vollem Orchester emphatisch evoziert wird als reinigende, alles Böse ausbrennende Kraft.
Freilich eher kalt, hohl, bombastisch klingt das. Und wenn sich diese Evokation am Ende wiederholt, erkennt man spätestens warum. Einen schalen Beigeschmack hat das Ganze. Und man weiß ja von Mascagni auch, dass er d’Annunzio nahe stand, dass er später unverhohlen Mussolini umschwärmte. Was hier evoziert wird, ist die „Reinigung“ einer „verderbten“ abendländischen Kultur durch einen irgendwie fernen Naturkult. Hier wird er mit einem artifiziell japanischen identifiziert. Die Menschen, die hier vorgeführt werden, leben ihren Träumen, wie in Trance, sind Puppen, durch Masken Verführbare.
Mascagni behauptete, seine Iris sei ein Symbol für die Unantastbarkeit der Kunst. In der Chemnitzer Ausgrabung wird die Titelfigur gleich zu Beginn gezeigt als Bettlägerige, Somnambule, Gegenstand medizintechnischer Untersuchungen, sich trippelnd bewegend in einer Art Psycho-Zwangsanstalt. Die beiden Verführer, Osaka und Kyoto, die sie in die Prostitution verkaufen wollen, gaukeln ihr eine bunte, halluzinogene Welt draußen vor, bieten Geld für Liebe – und stoßen sie am Ende in den Schlamm. Der Vater, ein Blinder, tapst durch das Stück wie verloren in einer fremden Welt.
Niksa Bareza am Pult der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie tut sein Bestes, um dieser Musik zu Kraft zu verhelfen. Aber sie widersetzt sich, bleibt über weite Strecken blass und farblos. Svetlana Katchour ist eine stimmlich erstaunlich biegsame Iris. Ausstatter Markus Meyer bebildert brav in modisch-gängigen Klischees die Bühne. Die Regie von Jakob Peters-Messer übt sich in erstaunlicher Naivität. Figurenzeichnung findet kaum statt. Der Chor (von Krankenschwestern bis zu Leichenbestattern) wird an der Wand oder im Karree aufgestellt. Masse.
Seit langem hat man in Chemnitz wieder mal etwas gewagt mit einem unbekannten Stück. Nur leider: Sehr genau gelesen hat man es offenbar vorher nicht. Es gibt schon Gründe, das Werk in den Archiven der Musikgeschichte ruhen zu lassen. Und wenn man es denn aufführt, müsste man die vielen hässlichen Ablagerungen der Geschichte mit erzählen. Alberto Franchetti, dem Illica zuerst das Werk angeboten hatte, verzichtete darauf, bevorzugte die freilich auch äußerst heikle „Germania“. Franchetti war Jude. Mit den geistigen Wegbereitern des Faschismus wollte er sich denn doch nicht zu eng liieren.


Es muss nicht immer Zar & Zimmermann sein

Victor E. Nesslers Rattenfänger von Hameln

Freiberg i. Sachsen, 07.Febr. 2004

Er war einer der erfolgreichsten Komponisten des ausgehenden 19.Jahrhunderts: Victor E. Nessler, 1841 im Elsass geboren mit dem ursprünglichen Berufswunsch „Theologe“. Ein „Vorfall“ bewirkte seinen Ausschluss vom geistlichen Studium. Er ging nach Leipzig zum damals berühmtesten Kompositionslehrer, Moritz Hauptmann. Erste Anstellungen als Chordirigent am Stadttheater dann als Kapellmeister am Carola Theater machten ihm Lust aufs Theater. Dornröschens Brautfahrt hieß seine erste viel sagende Oper (1867), Irmingard eine zweite (1876). Doch den deutschlandweiten Durchbruch schaffte er erst mit dem Rattenfänger von Hameln, 1879 uraufgeführt in Leipzig immerhin unter Arthur Nikisch. Und auch Gustav Mahler schätzte dies Werk so sehr, dass er es ansetzte zum Abschied aus Kassel. Nessler seinerseits sammelte bei den deutschen Theatern mit dieser Oper soviel Mäuse, dass er die Kapellmeisterei aufgeben konnte. Bis nach England fand das Werk seine Verbreitung.
Was den Rattenfänger und dann vor allem den diesen noch toppenden Trompeter von Säkkingen (1884) so erfolgreich machte: zum einen die Sujets. Nessler wollte Theater für die ganze Familie. Die Sage vom Rattenfänger, den die Ratsherren von Hameln nach getaner Arbeit nicht bezahlen wollten und der seine magische Macht dann an den Kindern der Stadt ausübte, kannte jeder. Und auch die tränenreiche Saga vom nach Rom pilgernden Trompeter aus Säkkingen des Viktor von Scheffel konnte in Deutschland jeder nacherzählen. Auch musikalisch hat Nessler sich bedient bei bekannten und beliebten Modellen. Bei Lortzing zumal und dessen Spielopern, aber dann auch bei Meyerbeer (mit einer Art Blech schmetternden Schwerterweihe) und vor allem Wagner. Holländer, Meistersinger, Ring – man trifft sie alle wieder. Den nächtens hämmernden Schmied Wulf, der die braven Bürger mit seinem Amboss-Gehämmere aus dem Schlaf weckt. Die um die klamme Kasse in einem wirren Chor gleich zu Beginn sich raufenden Ratsherrn. Und Hunold Singuf, der mit einem sprechenden Namen benannte und mit magischen Kräften à la Orpheus begabte Spielmann, übt nicht nur Kraft aus auf die kleinen Nager sondern auch auf Frauen. Gleich zwei wollen sich ihm ergeben, zuerst Gertrud, die sich dann à la Senta, als sie von der Rivalin hört, ins Wasser stürzt, und Regina, die Bürgermeisterstochter, von der die Wette geht, niemals würde sie einen Mann küssen, und die dann wie magnetisch angezogen ihm und den Kindern nachfolgt. Wer weiß wohin.
Seit fünf Jahren erprobt man neu am Mittelsächsischen Theater Freiberg Stücke, die einst erfolgreich waren, die heute kaum noch einer kennt. Auch dem Trompeter von Säckingen ließ man so Wiederauferstehungsehren zu teil werden, oder Konradin Kreutzers Nachtlager von Granada, Pfitzners Christelflein, Lortzings Hans Sachs und frühen Einaktern. Als „Dienst an der Gattung“ will Ingolf Huhn, der musikwissenschaftlich gebildete Regisseur und damalige Intendant des Theaters das verstanden wissen. Seit dieser Spielzeit ist er Intendant in Zwickau und will auch dort ähnliches probieren. Mit einfachen szenischen Mitteln in der Ausstattung von Marie-Luise Strandt, aber durchaus effektvoll ist von ihm das nun auf die Bühne gebracht. Besonders eindrucksvoll die Szene mit dem mitternächtlichen Rattenfang zu einer Musik, die wie importiert klingt aus des Holländers Geisterschiff, und die Ratsrauferei zu Beginn, wo die bürgerlichen Herren wie Grashalme im Winde schwanken, wenn sie ihrem Unmut über die leeren Kassen und ihren dummen OB freien Lauf lassen. Mit Michael Kunze als Hunold steht ein Sängerdarsteller von großer dramatischer Begabung für die Titelpartei zur Verfügung. Martin Bargel hält das kleine Orchester selbst bei den zahlreichen schwierigen Bläserstellen gut zusammen. Offensichtlich ist das Ensemble in den Jahren durch diese Grabarbeit im Silberstollen der Operngeschichte künstlerisch gewachsen.
Gewiss könnte man interpretatorisch noch mehr herausholen, tiefer eindringen in die Figuren, das Dämonische des Hunold stärker kontrastieren zum äußerlich Unscheinbaren seines Auftretens: immer mit einem Liedlein auf den Lippen. Sanfter ironischer Distanzierung bedürfte gewiss die heute kaum noch vermittelbare Butzenscheiben-Bürgerwelt, wie sie ausgestellt wird in diesem Werk. Musikalisch ist das gleichwohl eine Entdeckung, die lohnt in jedem Fall mit ihrer Mischung aus Lortzing und Wagner und mit ihren Lyrismen, die voraus weisen gar auf den frühen Puccini. Es muss nicht immer Zar und Zimmermann sein, wenn man deutsche Spieloper aufs Tapet bringen will. Einen doofen Bürgermeister und Bürger, die pfeffern gegen ihre stupide Obrigkeit, gibt’s auch hier.


Der letzte löscht das Licht

Schrekers Christophorus in Kiel
23.Juni 2002

Eine Oper über das Komponieren einer Oper ist dies, und in ihrem Zentrum steht eine Beschwörungsszene. Christoph, Symbol der Kraft und der Stärke, der wie der in der Christophorus-Legende immer nur dem stärksten zu dienen trachtete, will seine von ihm aus Eifersucht erschossene Frau Lisa wieder zum Leben erwecken. Ort: eine Mischung aus Tanzdiele, Cabaret und Opiumhöhle. Aber nur kurzzeitig gelingt es ihm, das Bild der getöteten Frau, einer Tänzerin, Inbild einer femme fatale, zu imaginieren; die litt darunter, durch die Geburt eines Kindes ihre Figur, ihre Schönheit verloren zu haben. Herein trippelt das eigene Kind. Es braucht den Vater, will von ihm "getragen" werden wie das Jesus-Kind von dem Kraftprotz. Fiktion und Realität mischen sich, denn die Szene ist Teil einer Oper, die der junge Komponist Anselm schreiben will und in der er seinen Freund Christoph als eine Art alter Ego porträtiert. Das Werk entgleitet ihm. Er wird es nicht zu Ende bringen. Vielmehr wird er dem sich widmen, was der Lehrer "Meister Johann" ihm zu schreiben aufgab: Ein Streichquartett über die Legende des heiligen Christophorus, eine Musik ohne äußerliche Bilder. Es ist ein Abschied, ein Zweifeln an der Imagination des Theaters. Der letzte macht das Licht aus.
1925 begann Franz Schreker mit der Arbeit an Christophorus oder Die Vision einer Oper. Nach mancherlei Umarbeitungen, auch auf Druck des Verlags, war vier Jahre später die endgültige Fassung fertig gestellt. Aber Schreker zog sie selbst wieder zurück. Im Frühjahr 1933 sollte sie dann doch in Freiburg i.Br. herauskommen als letzte der Trias von Opern, die Schreker in jenen Jahren komponiert hatte, Der singende Teufel und Der Schmied von Gent. Aus Angst vor Übergriffen der Nazis sagte man die Premiere ab, Schreker starb im Jahr darauf. Fast ein halbes Jahrhundert später erst holte man in Freiburg die Uraufführung nach. Jetzt haben die Bühnen der Landeshauptstadt Kiel einen zweiten szenischen Anlauf versucht. Wie ein Tasten nach neuen Wegen in unsicherer Zeit wirkt die Oper Schrekers. Den Aufbruch der Zwanziger Jahre hatte er in seinem kompositorischen Werk verpasst. In der Cabaret-Szene des zweiten Akts versucht er die Real-Musik jener Zeit – wie Weill in Mahagonny oder Krenek in seiner Jazz-Oper Jonny spielt auf – einzufangen. Zugleich ist der Christophorus wie eine Verweigerung Schrekers gegenüber den neuen Bildwelten. Nicht zufällig hat er Arnold Schönberg das Werk gewidmet. Und er spürt in jenem Christoph auch die verhängnisvolle Mischung aus Kraftkult und Ästhetisierung des aufkommenden Faschismus. Schreker antwortet darauf mit einer Art Parsifal-Haltung seines Helden, geläutert durch fernöstliche Denkweisen.
Kirsten Harms, Kieler Operndirektorin, reduziert das Werk auf einen szenischen Minimalismus, der die dramaturgische Problematik dieses Ideen-Dramas eher noch verstärkt als ihr beikommt. Leicht blutleer wirkt das Ganze, zumal im ersten Akt. Der Jungkomponist Anselm sitzt da immer vorn an der geschrägten Rampe, sein Gesicht per Video in Großaufnahme verdoppelt auf eine Gaze dahinter projiziert. Gebrochen wird die Perspektive, wenn Anselm der Lisa erklärt, dass er auch für sie eine Szene in seine Oper eingebaut hat, und der als Komponist und Mann mit ihm rivalisierende Christoph die beiden erwischt, wie "das Leben" die dünne Firnis der Kunstsphäre durchbricht. Mit hochdramatischer Stimme und seidenweich auch in den duftigen "Farb"-Klängen singt Susanne Bernhard diese Lisa. Ein bullig zupackender wie skrupulös nachdenklicher Anselm ist Robert Chafin. Den eher beauartigen Christoph gibt Jörg Sabrowski. Mario Schröder hat die vor einer Theaterkulisse (Ausstattung: Bernd Damovsky) elegant eingefügten Tänze choreographiert. Als "Flamme" (Michelle Fernandez Yamamoto) und "Welle" (Tina Gaitzsch sind die angelegt, ein zusätzlich reflektierendes Moment auf Schrekers Lebenswerk. Etwas grob leider ist das klanglich ausbalanciert von Ulrich Windfuhr am Pult des Philharmonischen Orchesters.
Freilich wirkt Schrekers Partitur doch zumal im ersten der beiden Akte des mit Pause etwa zweistündigen Werks durch die vielen gesprochenen Partien auch löchrig, schwankend, unfertig. Das Misslingen der Beschwörung Lisas liest sich wie ein Zeichen für das Misstrauen Schrekers in die Imaginationskraft der Künste. Aufbruch mischt sich mit Verweigerung. Nur ausnahmsweise greift hier das Schreker-typische schwärmerische Moment. Und mit dem Drang ins transzendent "Heilige" des Schlusses hat man doch heute so seine Schwierigkeiten.


Im Wursthimmel: Bählamms Fest

Dt. Erstaufführung in Hamburg

Produktion des Int. Opernstudios der Staatsoper
im Schauspielhaus, 20.06.2002

Kleine Mädchen träumen von Prinzen, die sie wach küssen. Diese junge Frau träumt von einem Wolf.  Verrückt? Millionen junge Frauen träumten von dem Wolf und wollten dem Führer sich schenken und ein Kind dazu. Die den Plot schrieb, Leonora Carrington, freilich hatte das gar nicht im Sinn. Vielmehr wollte sie diesen Führer-Wahn karikieren, der sie 1940 und ihren damaligen Lebensgefährten, Max Ernst, aus der Bahn warf. Den Schock der Internierung von Ernst als "feindlicher Ausländer" verarbeitete die zur Gruppe der Surrealisten zählende Carrington mit Baa-Lamb’s Holiday, dem Fest der Lämmer. Das Ganze packte sie in eine sadistische Familiengeschichte mit einer herrschsüchtigen Alten und einem schwächlichen Sohn, dessen junge Frau Theodora statt zu ihm ins Bett sich immer in ihre Spielzeugwelt flüchtet. Bis der Wolf kommt in das einsame Haus in der Heide im tiefen Winter und dieser schwarze Lohengrin erst mit ihr Hochzeit feiert und dann ein Massaker veranstaltet mit einem Schlachtefest für alle dummen Lämmer. Im Bühnenbild der Hamburger Deutschen Erstaufführung von Olga Neuwirths Opernfassung Bählamms Fest sieht man dazu die dumpfe Glocke der Heidewohnung sich lichten zu einer rosa Kuppel mit den Wurstwaren-Auslagen eines Supermarkts.
Olga Neuwirth, die junge österreichische Komponistin, hat für das 1999 bei den Wiener Festwochen uraufgeführte Stück eine Musik mit vielen Brüchen geschaffen. Live-Musik überlagert sich mit elektronisch veränderter. Alle Sänger tragen Mikroports, sodass auch ihre Sprechstimmen moduliert oder verdoppelt werden können. Den Wolf setzt sie als Countertenor, der vorzugsweise mit dem heulenden Klang des Theremin winseln darf. Das Libretto, das ihr Elfriede Jelinek erarbeitet hat, blendet seltsamerweise den politischen Aspekt dieser Fabel nahezu aus, macht aus dem Stück einen Familien-Psychothriller mit ins Positive gewendetem, angeklebtem Schluss. Und die junge Regisseurin dieser Aufführung des Internationalen Opernstudios der Hamburger Staatsoper, Vera Nemirova, verflüchtigt das mit Gags und Possen weiter zu einer Art Addams Family. Bei ihrem Mentor, Peter Konwitschny, hat Nemirova gut aufgepasst, etwas zu gut. Einige Szenen wie das Lämmerschlachten sind schlicht kopiert – aus dessen Essener Daphne.
Patrick Davin leitet das Kammerensemble des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg mit großem Engagement. Von den jungen Sänger-Darstellern können vor allem Frédérique Friess als die sich nicht gerade zum Gottes- sondern eher zum Wolfsgeschenk machende Theo-Dora beeindrucken und, als ihr beißfester schwarzer Retter Jeremy, der stimmlich wie darstellerisch gelenkige Tim Severloh. Das bunte Bühnenbild mit Blümchentapete und Video-Schrankwand und dem Wursthimmel drüber hat Stefan Heynegebaut. Die pfiffigen Kostüme beigesteuert hat Marie-Luise Strandt. Das Publikum im Hamburger Schauspielhaus, wohin die Oper diese Studio-Produktion auslagerte, begeisterte sich vor allem für die Sänger. Für ein Sich-Verbeugen der als Österreichs kompositorische Hoffnung geltenden Komponistin reichte die Applauskraft nicht. Die 1968 in Graz geborene Olga Neuwirth wird doch auch eher überschätzt. Und die Schwächen dieses Stücks liegen ja auf der Hand. 


Was uns zum Lortzing-Glück immer noch fehlte

Freiberg gräbt zwei frühe Singspiele aus und gründet eine Lortzing-Gesellschaft

Ein seltsames Stück ist das, ein bisschen politisierend, ein bisschen sentimental. Ein Stück, von dem man auch rückschließen kann auf Lortzings einzige erhaltene so genannte "Revolutionsoper" (von 1848), die Regina. 1832 ist Der Pole und sein Kind entstanden in Detmold. Ein Stoff in aller Munde damals nach Niederschlagung des Aufstands der Polen in Warschau, getextet auf volkstümliche Melodien.

HUHN: Lortzing war in Detmold engagiert als Komiker im Schauspiel als Sänger im Baritonfach. Er hat ja alles gesungen von Pedrillo bis Don Giovanni. Seine Frau hat 7 Kinder gekriegt und nebenbei das Gretchen gespielt. Er hat in der Zeit angefangen zu komponieren. Der Pole und sein Kind ist das erste…

Ingolf Huhn, Intendant und Regisseur des Doppelabends mit Singspielen, die man in Freiberg nun wieder ausgegraben hat.

HUHN: September 1831, der Warschauer Aufstand bricht zusammen. 80.000 polnische Gefangene werden in Handschellen zu Fuß nach Sibirien gebracht. Die anderen wandern durch Deutschland Richtung Frankreich. Und es gibt eine gewaltige Polenbegeisterung in Deutschland. Jeder polnische Invalide, der irgendwo durchkommt wird mit einem Festkomitee begrüßt. Die Bürger der Stadt reißen sich darum, wer ihn beherbergen darf. Das hängt gewiss damit zusammen, dass die Deutschen in der Zeit keine Revolution zustande gebracht haben. Die Deutschen haben nur die kleinen Juli-Unruhen 1830 zustande gebracht. Wagner hat da in Leipzig ein Bordell gestürmt anlässlich dieser Kleinst-Revolution. Das ist nicht viel mehr geworden. Und diese Polenbegeisterung wollte Lortzing - er suchte nach einem Stoff, der populär ist und hat ihn hinein gepackt in das Stück vom Wieder finden eines polnischen Invaliden, des Feldwebels vom 4.Regiment, ein sentimentales kleines Ding, sehr ergreifend, sehr geschickt gemacht. Das versprach Erfolg. Das ist dann uraufgeführt worden in Osnabrück mit der Detmoldschen Truppe, ist sofort verboten worden an einigen Stellen aus politischen Gründen - und Lortzing ärgert sich sehr, es hätte viel Einnahmen machen können, denn sowie es verboten war, haben es alle Leute gelesen; aus politischen Gründen, weil die Revolution gefeiert wurde. Und das war in Metternich-Zeiten nicht so beliebt.

Erzählt wird die Geschichte von einem invaliden polnischen Soldaten, der durch die deutschen Lande irrt mit seinem kleinen Sohn. Vorher haben sie immer mal wieder ein Lied gesungen aus Freude, jetzt müssen sie’s, um sich durchzuschlagen. Eine Anspielung auch auf Lortzings eigene Biografie: Nach dem preußischen Zusammenbruch im Gefolge von Napoleons Einmarsch in Berlin musste der Vater das Ledergeschäft aufgeben und als Schauspieler mit Frau und Kind durch die Lande ziehen zum Broterwerb. Am Ende des Stücks hier steht die Wiedervereinigung der durch den polnischen Aufstand geteilten Familie. Die in den Flammen umgekommen geglaubte Mutter findet sich wieder: auf dem Gut des Pächters Redlich. Auch noch ein paar andere Liebesgeschichten kommen "unter Dach und Fach". Und auch den deutsch-burschenschaftlichen Trinksitten wird ausgiebig zugesprochen.
Ergänzt wird das gut einstündige Singspiel durch ein weiteres Vaudeville aus jener Zeit, uraufgeführt im gleichen Jahr 1832 als Weihnachts-Stück, parodiert meist auf Mozart-Musik - die eigentliche Überraschung dieses Freiberger Lortzing-Doppels. Eine köstliche Satire auf den absurden Familien-"Frieden" eines solchen hochheiligen Abends ist das: mit grummelndem Vater, der am liebsten um gar nichts sich kümmert und mit Zitaten aus einem naturwissenschaftlichen Werk Mensch und Tier und Festtagsstress sich vom Leibe hält. Derweil muss die Mutter mit steigender Nervosität ihre Kinderschar beglücken. Und auch die Tochter aus erster Ehe, Suse, soll endlich unter die Haube. Vater Käferling lehnt deren Freund ab, möchte sie lieber mit einem alten Haudegen verkuppeln, der ständig von irgendwelchen ägyptischen Abenteuern faselt. Doch Suschen kriegt ihren Gottlieb als besondere Weihnachts-Überraschung im Waschkorb - eine Umkehrung der Falstaff-Story. Zumal im Weihnachtsabend geht das auch szenisch voll auf mit Einlagen von Kasperle-Theater in Huhns Regie und der delikaten Ausstattung von Marie-Luise Strandt. Die Rollen scheinen glücklich besetzt aus dem Haus-Ensemble. Wacker schlägt sich das Orchester unter Christoph Sandmann. Konzertant hat man sich in Freiberg, das immer wieder für Raritäten der Spieloper sich engagierte, bei einer Festmatinee zum 200.Geburtstag und 150.Todestag Lortzings auch anderer Werke aus dieser Detmolder Vaudeville-Serie in Ausschnitten angenommen: Andreas Hofer, Don Juan und Faust und Szenen aus Mozarts Leben.
 Bei einer Versammlung diskutierte man, was zum Lortzing-Glück noch fehlt. Gerade der Meister des Biedermeier, aus dessen Fundus Generationen von Theaterdirektoren sich bedienten, wann immer es in der Kasse klamm wurde, erfreut sich keines fördernden Vereins. Und die Spieloper - mehr und mehr entschwindet sie aus dem Repertoire, zumal der großen Häuser. Irmlind Capelle, die das 1942 in Detmold gegründete Lortzing-Archiv betreut, zum Sinn einer nunmehr mit 23 Mitgliedern gegründeten Albert-Lortzing-Gesellschaft:

CAPELLE: Ich bin immer mal wieder drauf angesprochen. Hatte nie selber die Energie. Als jetzt die Verhandlungen waren um die Lortzing-Gedenkmünze und die Briefmarke, bin ich mehrfach gefragt worden: warum gibt’s denn keine Gesellschaft? Also man vermisst es, wenn es das nicht gibt. Ich bin inzwischen aber auch zu der Überzeugung gekommen, gerade wo in letzter Zeit immer mehr die Theater sich daraus zurückziehen und andererseits von anderen Stellen immer wieder Rückfragen kommen, warum kann man nicht das mal machen oder es soll doch auch das geben oder das, dass man eine Gesellschaft braucht, die sich mit den Materialien auskennt, die die Pflege anregen will. Wir werden versuchen, nicht nur diese Dinge, wo auch schon Material existierte, wo eine Anlaufstelle geschaffen werden kann, das weiter zu verbreiten und auch andere Sachen anzuregen. Wobei wir neben dem Theaterbereich auch die kleineren Sachen mal wieder zum Leben erwecken wollen. Es gibt etliche interessante Chöre von Lortzing. Ein stärkerer Bereich wird vielleicht auch der Freimaurer-Bereich sein, für den man sich in Leipzig jetzt engagiert hat. Und es gibt auch noch ein paar Instrumentalsachen, die man machen kann. Ich kenne eigentlich nichts von Lortzing, wo man sagen müsste, das bleibt besser in der Schublade. Es ist nicht alles gleichwertig. Ich hätte fast bei keinem Stück die Skrupel zu sagen: lasst die Finger davon.