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Staatsballett

Sasha Waltz' SYM-PHONIE uraufgeführt
Öhman-Waltz: abrupter Abgang
Die erste gemeinsame Spielzeit 2018/19
Die neue Leitung Waltz-Öhman
Streit um die künftige Leitung
Duato kommt
Triple Bill
Staatsballett gegründet
Malakhov
Sacre du printemps

Saha Waltz' SYM-PHONIE MMXX uraufgeführt als Nachlass


Christian Spuck soll neuer Intendant des Staatsballetts werden

Von Zürich nach Berlin. Begonnen hatte er 1995 als Hauschoreograph in Stuttgart. Seine Vorliebe sind Handlungsballette. Sein Stil: gemäßigte Moderne. Mit der Ballett-Tradition, der älteren wie der neuesten, essentiell für ein Ensemble wie das Berliner Staatsballett, hat er kaum engere Erfahrung. Fragen sind berechtigt ob dieser Wahl. Sie hängt möglicherweise zusammen mit dem anstehenden Intendantenwechsel in Zürich, wo Homoki geht.

Seine Berliner Arbeit mit Berlioz' "La damnation de Faust" an der Deutschen Oper 2014 geriet eher zwiespältig.


Abrupter Abgang

Johannes Öhman und Sasha Waltz geben ihre Intendanz am Berliner Staatsballett Ende der Saison 2019/2020 schon wieder auf

22.01.2020

Geahnt hatte man von Anfang an, dass dies Experiment nicht ewig halten würde. Dass es nun so schnell schon nach gut einer Saison enden würde, überrascht denn doch. Der Widerstand des überwiegend klassisch geprägten Ensembles gegen die eher auf die Moderne orientierte neue Leitung war von Anfang an stark. Er reichte mit Unterschriften-Petition im Netz bis zum öffentlichen Aufstand. Fraglich wie weit der sich geglättet hat.

Ins Amt berufen waren Johannes Öhman und Sasha Waltz von dem nicht gerade durch künstlerische Kompetenz glänzenden früheren Kulturstaatssekretär Tim Renner. Man wollte in die vor allem klassisch geprägte Compagnie etwas Moderne einimpfen. Eine schöne Idee. Aber es funktionierte intern wohl nicht trotz gesteigerten Publikumsinteresses.

Dass das Ende von beider Doppelintendanz zum Jahresende 2020 mit der Berufung Öhmans als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter ans Stockholmer Dansens Hus begründet wird, scheint eine willkommene Ablenkung. Gemunkelt wird von inneren Streitigkeiten zwischen den beiden an der Spitze. Öhmans Rückzug federt es immerhin ab. Aber mindestens drei Jahre hätten die beiden sich schon gönnen müssen, um dem Anspruch einer solchen Intendanz gerecht zu werden.

Dass Waltz allein solch eine überwiegend klassische Compagnie leiten könnte, wäre bei ihrer Prägung zweifelhaft. Und offensichtlich traut sie sich eine solche Aufgabe allein nicht zu. Aber auch ihre Ambition als die neue Choreografie-Koryphäe zu gelten, dürfte es nachhaltig beschädigen. Es sei denn, sie würde mit ihrer ja nach wie vor (als Rückversicherung? belassenen) Compagnie zu neuen Ufern vorstoßen, oder die für April angekündigte Uraufführung mit dem Staatsballett würde der neue Hit.

Freilich war da bei ihr in den letzten Jahren wenig an neuer Kraft zu spüren. Und als Opern-Regisseurin/Choreografin hat sie sich auch noch nicht wirklich bewiesen. Leidtragende in diesem sind die Tänzer*innen.

PS: in einem Statement vom 27.01.20 räumt Sasha Waltz ein, sie könnte länger ihren bis 2024/25 laufenden Vertrag erfüllen, falls sich ein geeigneter Partner fürs Klassische findet. Von Öhmans Rückzug sei sie "überrumpelt" worden ohne die Möglichkeit einer Einflussnahme. Sie fühle sich "in der Verantwortung gegenüber dem Staatsballett."


Im Übergang

Johannes Öhmann und Sasha Waltz stellen die neue Spielzeit 2018/19 vor

26. Febr. 2018

Oehmann-Waltz PK 26.02.18

Ihre erste eigene Kreation wird sie erst im April 2020 zeigen können, dann wenn auch sie offiziell Mit-Intendantin des Berliner Staatsballetts sein wird. Es wird ein Werk zu einer beauftragten Komposition von Georg Friedrich Haas sein, einem gemäßigt modernen österreichischen Tonsetzer, der gern im Mikrotonalen arbeitet. Gern hätte Sasha Waltz schon 2019 ihre erste eigene Choreografie mit dem Staatsballett gezeigt, aber wegen des Kompositionsauftrags, der dann wohl von der Staatskapelle in der Staatsoper auch gespielt wird, bedurfte es etwas mehr zeitlichen Vorlauf.

Ansonsten präsentierte sie mit dem Ko-Intendanten Johannes Öhmann die „Übergangs-Spielzeit“ 2018/19 als eine Mischung aus klassischem und zeitgenössischem Ballett – mit noch leichtem klassischen Überhang. Fünf Premieren sind vorgesehen, darunter Choreografien von Stojn Celis, Sharon Eyal und Anouk van Dijk. Als Klassiker angesagt: „La Bayadère“ (Alexej Ratmansky) und „La Sylphide | Napoli 3.Akt“ (Frank Andersen), dazu ein neoklassisch-moderner Abend mit Balanchine-Forsythe-Siegal-Choreografien. An Wiederaufnahmen sind „Schwanensee“ und „Nussknacker“ vorgesehen, sowie die Cranko-Ballette „Onegin“ und „Romeo und Julia“. Für die Spielzeit 2019/20 ist dann auch ein Abend mit dem umstrittenen Jefta van Dinther geplant. Annonciert wurden außerdem die neuen Ersten Solotänzer*innen Yolanda Correa (Kuba/Norwegen), Daniil Simkin (American Ballet Theatre) und Alejandro Virelles Gonzalez (Kuba/München).

Vom bisherigen Chef Nacho Duato bleibt nichts im Repertoire, aber seine bisherige Stellvertreterin und Ballettdramaturgin Christiane Theobald bekommt noch wenigstens ein weiteres Jahr. In diesem Übergangs-Jahr wird es auch zehn neue Tänzer*innen-Stellen geben, die man möglichst verstetigen will, um das Ensemble sowohl fürs klassische wie fürs moderne Repertoire fit aber auch durchlässig zu halten bzw. zu machen. Fortgesetzt wird die Zusammenarbeit mit der Staatlichen Ballettschule, zum Teil recht extensiv. Verteilt werden die Aufführungen wie bisher auf alle drei Opernhäuser – mit einer gewissen Bevorzugung der repräsentativen Staatsoper. Die Aufführungen auf ein einziges Haus zu konzentrieren, läge schon in ihrem Interesse, meinte Waltz auf Fragen. Da keimt dann wieder die Idee eines Tanzhauses. Aber spruchreif ist nichts – es sei denn, man würde eines der vorhandenen Häuser umwidmen, zum Beispiel das der Festspiele, das ja eher mühsam mit (nicht gerade lebensnotwendigen) Aktivitäten gefüllt wird. Oder das für das Staatsopern-Interregnum aufgepeppte und mit reichlich Background-Räumlichkeiten versehene Schillertheater.


Schwierige Annäherung

Sasha Waltz und Johannes Öhman nach dem ersten Zusammentreffen mit ihrem künftigen Ensemble

28.April 2017 - Pressekonferenz

Angestrengt wirkte sie, fast verspannt. Zumal als sie von der Begegnung mit dem Ensemble am Vorabend berichtete. Die Aussprache sei offen gewesen, man habe die gegenseitigen Fragen vorgebracht. Nun wolle man unter die Auseinandersetzungen einen Schlussstrich ziehen und nur noch in die Zukunft blicken, so Sasha Waltz auf der Pressekonferenz.

Waltz-Oehman-Translater

Wegen der Unsicherheiten über die zukünftige Ausrichtung habe man, so auch Johannes Öhman, die Planungen für die erste Spielzeit 2018/19 schon jetzt vorgelegt. Klassik und Moderne sollen sich dabei die Waage halten. Öhman wird schon Mitte Juni 2017 als Intendant von Stockholm nach Berlin wechseln. Für in der Moderne nicht so trainierte Ensemble-Mitglieder wolle man spezielle Workshops anbieten. Generell wolle man die Probenzeiten verlängern. Auch ist eine engere Anbindung an die Opern und insbesondere auch die Orchester angestrebt. Die Zeit, dass sich die Tanzensembles von den Opern emanzipieren müssten, sei vorbei.

Ihre Freie Gruppe Sasha Waltz & Guests werde sie nicht auflösen, bestätigte Waltz auf Anfrage. Sie werde weiter als deren künstlerische Leiterin fungieren. Die Verwaltung sollen ihr Partner Jochen Sandig und auch das Ensemble selbst übernehmen. Neue Kreationen für dies Ensemble werde sie fürs Erste nicht machen, so Waltz weiter. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehöre dem Staatsballett. Die erste abendfüllende Arbeit von ihr soll dort in der Spielzeit 2020/21 zu besichtigen sein. Dass sie sich damit so lange Zeit lässt, liegt sicher nicht zuletzt an der schwierigen Annäherung an diese doch so anders geprägte Truppe.

Foto: gfk


Tanz den Mufti

Der Streit zwischen Staatsballett und künftiger Leitung Öhmann/Waltz

20.09.2016

Noch kurz vor der Wahl (18.09.2016) landeten der Regierende Bürgermeister Michael Müller in seiner Funktion als Regierender Kultursenator und sein Staatssekretär Tim Renner einen Coup – wie sie glaubten. Sie ernannten den noch in Stockholm wirkenden Johannes Öhman und Sasha Waltz – schon früher immer mal wieder von der Presse in das Amt geschrieben – als künftige Leiter des Berliner Staatsballetts, ab Spielzeit 2019. Fifty-fifty sollten beide künftig modernes und klassisches Ballett auf die Berliner Staatsballettbühne bringen und damit den allseits als glücklos agierend empfundenen gegenwärtigen Intendanten Nacho Duato ablösen.

Staatsballett-Demo 13.Sept.2016

Gefragt dazu wurden weder das Ballett noch seine Leitung, wie der Geschäftsführende Direktor Georg Vierthaler bestätigte. Die Ernennung eines Intendanten sei das „Privileg der Politik“, meinte er auf eine entsprechende Frage. Und wen haben die verantwortlichen Politiker gefragt? Man weiß es nicht, man weiß nur von gewissen Freundschaften. Die Tänzer*innen jedenfalls ließen einen geharnischten Protest los. „Die Ernennung ist leider zu vergleichen mit der Ernennung eines Tennistrainers zu einem Fußballtrainer oder eines Kunstmuseumsdirektors zu einem Chefdirigenten“, stichelten sie und legten eine Protest-Petition aus. Bei der Besichtigung des restaurierten Intendanzgebäudes der Staatsoper (mit einem Ballett-Trainingsaal) kurz vor der Wahl hielten sie dem Regierenden ein Protestplakat hin: „rettet StaatsBALLETT“, wollten dort aber nicht mit ihm sprechen.

Verstehen kann man ihre Angst durchaus, dass Ballett und Tanztheater miteinander verwechselt wurden, bzw. dass die Entscheider kaum etwas wissen über die sehr spezielle Ausbildung von klassischen Tänzern*innen einerseits und Tänzern*innen für modernen Tanz andererseits. Nur sehr wenige Tänzer*innen / Choreographen*innen beherrschen beide Disziplinen. Doch es gibt sie. Dass man welche dazu befragt hätte, ist nicht bekannt. Sascha Waltz jedenfalls kommt nicht vom klassischen Tanz, auch wenn sie etwa in Paris mit solch einer Truppe zusammengearbeitet hat. Die Ergebnisse allerdings waren eher durchwachsen, wie manche ihrer Arbeiten zuletzt. Auch mutet es sehr merkwürdig an, dass sie ihre Truppe „Sascha Waltz & Guests“ weiter betreiben kann: eine Rückversicherung oder gar ein abschätziger Ausdruck gegenüber dem traditionellen Ballett?

Ein Gespräch zwischen der künftigen Leitung und Vertretern des Staatsballetts, das nach der Wahl stattfinden sollte, wurde von den Tänzern*innen kurzfristig abgesagt. Die künftige Leitung wollte da dem Ensemble ihre „Zukunftsvision“ darlegen – und reagierte reichlich pikiert auf die Absage der Tänzer*innen. Zu befürchten ist, dass das gegenwärtige Ensemble auseinanderbröckelt. Oder ist es vielleicht sogar in Kauf genommen? Für die Politik kann das jedenfalls nur heißen, dass solche vor-demokratischen Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg „par ordre de Mufti“ nicht mehr in diese Zeit passen – und dass sie gefälligst andere Entscheidungswege finden muss. Wir waren da übrigens schon mal weiter, auch in Berlin.

Foto: gfk


Langsam voran

Der neue Chef des Berliner Staatsballetts Nacho Duato stellt sein Programm vor

10.April 2014

Nacho Duato und Chr.Theobald

Nacho Duato strebt für das Berliner Staatsballett die Präsenz der drei großen Choreografen Kylian, Ek, Forsythe mit abendfüllenden Balletten an. Allerdings erst in seiner zweiten Spielzeit 2015/16. Forsythe freilich, der kürzlich seinen Rückzug erklärt hat, wird lediglich in Gestalt seines bisherigen Assistenten präsent sein können.

Eine erste Neukreation von Duato wird es auch erst gegen Ende der ersten Spielzeit geben. Vorher wird er eigene ältere Erfolgsballette einstudieren. Duato setzt auf langsames und gründliches Kennenlernen der Truppe. Für den Berliner Job hatte er, wie er bei der Pressekonferenz sagte, schon 1989 und 2000 Angebote, die er aber ausschlagen musste.

Jetzt nach seinem dreijährigen Gastspiel in St. Peterburg bei einer klassisch geprägten Truppe des Mikhailovsky-Theaters sei dies in Berlin mit der Mischung von Klassik und Moderne der genau richtige Job. Und diese Mischung werde er auch im Wesentlich beibehalten. Choreografische Nachwuchskräfte werden nur bedingt eine Chance bekommen.

Außerhalb der Stadt als Choreograf gastieren werde er nicht. Ein Chef müsse ständig bei seiner Truppe sein: in Proben, in Vorstellungen, sagte er. Und das eigentlich Neue im Unterschied zu seinem Vorgänger sei, dass er als Intendant auch Chefchoreograf ist – und sich dadurch ein anderes Verhältnis zu den Tänzern/innen herausbilden werde.


Der Spanier Nacho als künftiger Ballettchef

Mit Spielzeit 2014/15 übernimmt Nacho Duato die Leitung des Staatsballetts. Vladimir Malakhov geht als Berater ans Tokyo Ballet. Dass man ihn überhaupt solange in Berlin behielt, wurde inoffiziell damit begründet, etwas für die russische Klientel zu tun.

Der Spanier Duato kommt vom Mikhailowsky-Ballett St.Petersburg. Er hat auch schon mal beim Staatsballett gearbeitet. Von Duato erhofft man sich eine stärkere Öffnung der Truppe in Richtung Moderne, nachdem andere Optionen wie Schläpfer aus Düsseldorf sich nicht realisierren ließenm.

Allerdings will Duato weiter „Resident Choreographer“ in St. Petersburg bleiben. Den hohen Herren genügt ja kein Job mehr allein. Tanzen auf möglichst vielen Hochzeiten gehört offenbar nicht nur bei Dirigenten zum Business. Oder vielleicht hat der Neue auch nur Angst, in Berlin nicht zu reüssieren?


Triple Bill

Die Moderne klopft an beim Berliner Staatsballett

Premiere 12.03.2006

Lange hatte man sich Zeit gelassen. Nun, knapp Jahre nach Gründung des neuen Berliner „Staatsballetts“, der erste moderne Abend. Er beginnt mit einer launigen Farce. Ein Brief soll zugestellt werden, aber keiner will ihn. Die Tänzerinnen und Tänzer in schwarzen Sonnenbrillen, Messenger-Masken und Dresses machen die komischsten Verrenkungen, bis das Papier dann seinen Empfänger erreicht – oder auch nicht. Der Amerikaner David Parsons hat „The Envelope“ choreografiert zu einem Mix aus Musikfetzen von Gioacchino Rossini.
Das zweite Stück „Out Of 99“ will etwas tiefer bohren. Musik von Clara Wieck und Johannes Brahms erklingt da live vom Flügel; es sind Variationen, die beide über ein Thema von Robert Schumann, sein opus 99 (daher der Titel), geschrieben haben. Unterbrochen wird es von elektronischen Klängen, die Arne Vierck gesamplet hat. Das Thema, das der Belgrader Choreograf Leo Mujic, mit seiner Uraufführung anschlägt, erschließt sich nicht auf Anhieb. Es geht um Schumanns Verdämmern in der Bonner Nervenanstalt, die sich entspinnende Liebesgeschichte seiner Frau Clara und ihres heißesten Verehrers Brahms. In unendlichen Verdopplungen und Überlagerungen zeigt Mujic das Geschehen. Am Ende sieht man einen der Tänzer (Schumann) auf einem erleuchteten Quadrat brüten in totaler Vereinsamung. Anfangs sah man dort eine Frau, wohl die über das Schicksal ihres Mannes trauernde Clara.
The Second Detail“ von William Forsythe bildet den Schluss dieses „Triple Bill“ genannten Ballettabends. Es ist ein Stück von 1991, aus den besseren Zeiten des heute allerorten als führend gefeierten amerikanischen Choreografen. Und dessen „family“ beerbt ja mittlerweile die Hamburger John-Neumeier-Adepten - besonders grotesk in Dresden, wo nach dem Ratschluss einiger besonders qualifizierter Ministerpräsidenten außer dem Opernballett auch noch gleich die Palucca Schule seinem Schüler-Clan überlassen wurde. In „The Second Detail“ will Forsythe die „Geometrie des klassischen Tanzes“ analysieren mit schnell wechselnden Gruppierungen und Raumperspektiven. Die Tänzerinnen- und Tänzer-Stars des Berliner Staatsballetts geraten in diesem ½-Stünder aber kaum an die „Grenzen ihres Gleichgewichtssinns und ihrer Beweglichkeit“. Souverän meistern sie die enormen Anforderungen der Partitur, und das zu einer Musik (Thom Willems), die zwar Bewegungsimpulse, kaum aber Orientierung vermittelt. Die Einstudierung von Noah Gelber, einem langjährigen Mitglied der Frankfurter Forsythe-Company, gerät im grau staffierten Rum zwar eher schlackenlos-kulinarisch.
Alles in allem kaum mehr als ein Appetithappen in Sachen Moderne. Dennoch begeisterter Beifall in der Deutschen Oper am Ende für den knapp zweistündigen Abend.


Gründung des "Staatsballett Berlin"

19.04.2004

Als erstes kleines Schrittchen der neuen Opernstiftung wird aus den Ensembles von Staatsoper (51), Deutscher Oper (20), einem des abgewickelten "BerlinBallett" der Komischen Oper und einigen neu eingestellten Tänzern das neue 88-köpfige "Staatsballett" gegründet. Künstlerischer Leiter soll sein der Chefchoreograf der Staatsoper Vladimir Malakhov. Das als dreigliedriges Ensemble aus klassischer, klassisch-moderner und moderner Truppe ursprünglich gedachte "BerlinBallett" wurde ad acta gelegt. Es wäre (mit 120 Tänzern) nicht zu finanzieren gewesen. Getanzt werden soll zunächst nur auf den beiden großen Bühnen. Hundert Abende pro Saison sind geplant. Ob die Komische Oper, die ihr Tanztheater zum Ende der Spielzeit schließt, in der Spielzeit 2005/06 dem Tanz sich wieder öffnet, muss verhandelt werden. Basis und Trainingszentrum der neuen Truppe soll die Staatsoper sein. Von dort aus werden die "Gastspiele" auf den Bühnen der Stadt organisiert. Aber man wünscht sich Gastspiele auch in der ganzen Welt. Repräsentativ soll es ja sein, wie auch die erste Saison signalisiert. Damit es aber nicht zu repräsentativ wird, wünscht man sich die Zusammenarbeit auch mit modernen Choreografen wie William Forsythe. Dafür solle dann auch ab der Spielzeit 2005/06 Gelder vom Hauptstadtkulturfonds geben. Bei der Pressekonferenz zur "Taufe" des neuen Babys "Staatsballett" steckte Kultursenator Thomas Flierl die Ziele hoch:

"Die Vision ist ein selbständiges Ballettensemble, das international zu den führenden fünf Ensembles zählt - so anspruchsvoll sind unsere Ziele. Es soll höchste künstlerische Ziele im klassischen, neoklassischen aber auch im modernen Bereich entwickeln, d.h. es sind auch programmatische Erwartungen an die neue Intendanz verbunden, mit Partnern und durch eigene Beiträge dafür zu sorgen, dass das sehr stark klassisch orientierte Ensemble sich entwickelt, weitet und öffnet. Und insofern auch den ganzen Reichtum der Ballettkunst auf den Opernbühnen Berlins präsentieren wird."


Vladimir Malakhov ist seit der Spielzeit 2002/03 Ballettdirektor der Berliner Staatsoper

Am 15.Okt.2001 unterzeichnete Malakhov im Beisein des neuen Staatsopern-Intendanten Peter Mussbach und der [damaligen] Kultur-Staatssekretärin Alice Ströver seinen Fünf-Jahres-Vertrag. Damit ist die neue Staatsopernspitze komplettiert.
Fünf Jahre war das Amt verwaist.Der Compagnie solle Malakhov, wie Mussbach betonte, eine autonome" Entwicklung ermöglichen als klassische Compagnie. Allerdings erwarte er auch eine Erweiterung des Repertoires in Richtung Moderne. Mit Malakhovs Berufung haben sich Pläne für ein BerlinBallett zerschlagen. Gerhard Brunner, der selber Malakhov vorgeschlagen hatte und bei der Vertragsunterzeichnung mit im Publikum saß, sollte zwar noch die Komische Oper weiter beraten. Auch an der Deutschen Oper ist die Leitungsfrage offen. Eine weitergehende Zusammenarbeit ist derzeit aber nirgends erwünscht. Von Anfang an habe man sich Kooperations-Begehren der Politik widersetzt, betonte der Ensemble-Sprecher des Staatsopern-Balletts.
Aufgegeben hat die ihre Planspiele dennoch nicht, wiedie Staatssekretärin beteuerte. Alle drei Compagnien sollen künftig über eigene Etats verfügen,um ihre Unabhängigkeit gegenüber den Intendanten zu stärken. Erwartet wird eine bessere Abstimmung der Spielpläne und eine höhere Spielfrequenz. Malakhov selber will jährlich eine Produktion choreografieren. Als mögliche Gastchoreografen nannte er Mark Morris und Nacho Duato. Seine 64-köpfige Truppe will der aus der Ukraine stammende, in Moskau ausgebildete Tanzstar in Augenhöhe bringen mit dem American und dem Royal Ballet.

Mit Zuckerbäckerware der Spitzenklasse hat Malakhov sich und sein neu formiertes Staatsopernballett am 8.Dezember 2002 vorgestellt in einer im wesentlichen aus Wien übernommenen eigenen Choreografie: Die Bajadere (nach Marius Petipa mit der Schrumschrumm-Musik von Ludwig Minkus) geriet zum Triumph. Die Geschichte von der indischen Tempeltänzerin Nikia, die den reichen Krieger Solor nicht heiraten darf und erst im Jenseits sich mit ihm vereint, ist Kitsch der edelsten Sorte. Uraufgeführt 1877 in Sankt Peterburg als Bajaderka, gerieten Teile der Partitur später verloren und wurden erst 1984 wieder rekonstruiert. Perfekt getanzt wie hier von dem mehr grazilen als sprungstarken Malakov selber als Solor am Premierenabend und der wunderbar grazilen Diana Vishneva (als Bajadere Nikia) sowie Beatrice Knop (als eifersüchtige Radscha-Tochter Hamsatti) wird sie zum Genuss - in Maßen. Zentral und am berühmtesten der Schattenakt, hier vor einem Gletschermassiv, aus dem die toten Seelen in Schlangenlinie herabtröpfeln und zum 48köpfigen Tütü-Wiegeballett sich formen.


Aus dem Nest gefallen

Angelin Preljocaj choreografiert Le Sacre du printemps mit Daniel Barenboim am Pult

Premiere 06.Mai 2001

Die Höschen runter. Damit fängt es an. Eine Provokation? Leider die einzige "Idee" dieser neuen Sacre-Inszenierung an der Staatsoper. Um das opus summum der Ballett-Literatur des 20.Jahrhunderts hatte Angelin Preljocaj lange einen Bogen gemacht. Wohl zu Recht, wie man nun feststellen muss. Und Daniel Barenboim, der ihn doch dazu überreden konnte, hat nun die Brille auf.
Preljocajs Wurzeln, sagt er, sind der Ausdruckstanz der Mary Wigman, deren Sprache er bei Karin Waehner studierte, und Merce Cunninghams kühl-abstrakter Formalismus. Den lernte er kennen bei einem Studium an dessen New Yorker Schule. Und zumal in der Formensprache der Arme ist bei Preljocaj einiges davon zu sehen, wenn auch weniger in der Sacre-Choreografie. Das mit dem deutschen Ausdruckstanz allerdings muss eher eine fromme Legende sein. Zu spüren ist davon fast nichts. Suggestivität geht diesem Abend fast gänzlich ab. Momente davon entdeckt man vielleicht noch in Annonciation, einer Arbeit von 1995. Vorlage waren die Heiligen-Bilder von Maria, der der Engel Gabriel die Geburt Jesu verkündet. Das Thema, von Diaghilev geplant mal mit Massine als Sujet für ein Ballett aber dann fallen gelassen, umspielt die Bereiche Sexualität und Religion. Bei Preljocaj ist der Engel Gabriel eine begehrende Frau, die der Maria gleichsam unter den Rock greift, wollüstig sich mit ihr paart, die Keuschheit, Reinheit, in der Marien in der Ikonografie der Verkündigungsszene meist gezeigt werden, ad absurdum führt. Als Frauen-Pas-de-deux lässt Preljocaj das tanzen – hier höchst intensiv von Anaïs Chalendard als zarte, aus ihrer Naivität sich rappelnde Maria und Isabelle Rune als verführerischer Engel. Als Musik dient ein Vivaldi-Magnificat, immer wieder überlagert und verdrängt wird es durch Alltagsgeräusche. Stéphane Roy hat die arrangiert.
Als Generalthema des neuen Ballett-Abends der Staatsoper darf man sich etwas denken wie auf den Spuren der Ballets Russes. Das ist ein Generalthema auch des jetzt 44 Jahre alten Preljocaj, geboren in Paris als Sohn einer montenegrinischen Mutter und eines albanischen Vaters, der heute zu den bekannteren Namen des internationalen Ballett-Betriebs gehört, der außer für seine eigene 1985 gegründete Truppe mit Sitz in Aix-en-Provence auch für die Ballett-Ensembles der Pariser, der Lyoner Oper und des New York City Ballet gearbeitet hat. Indes zeigt der Abend an der Staatsoper, bei dem er auch Tänzer seines eigenen Ensembles integriert hat, doch eher die Grenzen seiner Möglichkeiten. Eröffnet wird der Abend mit Le spectre de la Rose. Es ist das Stück, mit dem der junge Waslaw Nijinski das Publikum 1911 in seinen Bann zog. Es stand mit auf dem Programm jenes Ballettabends im Mai 1913, bei dem Strawinskys Sacre eine Zeitenwende einstampfte. Etwas prätentiös nennt Preljocaj Le spectre eine Art "Schleuse" in eine andere Zeit. Carl Maria von Webers Aufforderung zum Tanz bildet die musikalische Basis, verfremdet hier durch elektronische Einlagen von Marc Khanne. Preljocaj zeigt ein Mädchen, das in einem hocherotischen Traum gleichsam jenen Tänzer als Liebhaber sich erträumt wie einen stürmischen Faun (in Nijinski-Maske) für eine durchliebte Nacht, während nebenan in einem Kubus zwei Paare die Webersche Ballettmusik klassisch tanzen. Durch einen Schlitz in der Wand dringen die Männer ein in das Gemach der beiden jungen Frau. Viel mehr ist nicht. Etwas fad sieht sich das an. Entstanden ist die Choreografie vor acht Jahren.
Dass indes auch beim Sacre der Knoten nicht platzt - Preljocajs Choreografie mangelt es an Konzept und Kraft. Und nach der Höschen-runter-Nummer der Frauen, bevor die Musik noch beginnt, ist alles auch schon wieder verpufft. Mit nur zwölf Tänzerinnen und Tänzern will Preljocaj Strawinskys wuchtige Musik umsetzen. Die Bühne hat er sich von Thierry Leproust mit wie eine Liegewiese beweglichen Teilen eher zubauen lassen. Dort sitzen anfangs die Männer und warten auf die Frauen, wie sie sich bereit machen. Mit Sich-Fallen-lassen lockern die Frauen sich, knöpfen den Männern die Hemden auf, schlagen die Wäsche auf die Rasenstücke wie zur Reinigung. Zum Opfergang formieren die Tänzerinnen und Tänzer sich in zwei Reihen mit geknickten Köpfen, durch die Rasenstücke wie Rinnen trottend. Für die Opferung werden die Rasenstücke zusammengeschoben zu einer Kuhle. Das Opfer, splitternackt, zappelt sich darin aus wie ein aus dem Nest gefallenes frisch geschlüpftes und verstoßenes Vögelchen. Immer besser bekommt Daniel Barenboim die Tücken der Partitur in den Griff. Anfangs wirkt die Staatskapelle, die nur bei Strawinsky live zum Zuge kommt, etwas fahrig. Die Schroffheiten dieser rhythmus-betonten Musik werden eher eingeebnet. Auch der Klang des Orchesters wirkt etwas weich gezeichnet. Im zweiten Teil des Frühlingsopfers allerdings modelliert Barenboim sehr viel klarer. Und zumindest der musikalische Teil des Abends ist damit gebont. Den Choreografen Preljocaj kann Barenboim vor den Buhs am Ende nicht retten. War schon Preljocajs Einstudierung von Le Parc zuvor an der Deutschen Oper nicht gerade berauschend, auch dieser Abend an der Linden-Oper ist es keineswegs.