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Händel-Festspiele Halle
Händel-Festspiele Göttingen

P. Konwitschnys Rückkehr mit Cesare in Egitto
Ariodante
Admeto
Rodelinda
Lotario und Hercules
Imeneo undTeseo
Deidamia
50.Händel-Festspiele 2001

Im U-Boot an die Saale

Peter Konwitschny kehrt zurück und eröffnet die Händel-Festspiele 2019 mit „Cesare in Egitto“ (Caesar in Ägypten)

31.Mai 2019

Es schien eine gute Idee des jungen Intendanten der Oper Halle, Florian Lutz, den früheren Hallenser Regie-Champion Peter Konwitschny für eine neue Händel-Inszenierung zu gewinnen. Vor dreißig Jahren hatte Konwitschny dort seinen Ruhm begründet. Und Lutz, der in der Saale-Stadt mit forschem Umkrempeln des Betriebs so sehr aneckte, dass inzwischen sein Vertrag auf Nicht-Verlängerung begrenzt wurde, konnte eine Unterstützung gut brauchen. Das Haus hatte zwar gerade in dieser Woche auch eine Belobigung durch die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, erfahren. Sie vergab den Theaterpreis des Bundes diesmal u.a. nach Halle. Allerdings hatte der Intendant für seinen Kampf gegen die lokalen Windmühlen sich Hilfe geholt bei Fürsprechern, die zwar für andersartiges aber nicht gerade für hoch-artifizielles Regie-Theater stehen. Nicht so überzeugend.

Die Rückkehr Konwitschnys nach Halle hat nun zwar die in den letzten Jahren arg mittelmäßige Riege von Regisseuren der alljährlichen Händel-Festspiele aufgehübscht. Eine wirklich spannender Opern-Abend ist mit Händel „Cesare in Egitto“ (1724) allerdings daraus nicht geworden. Was man an Konwitschnys Musiktheater früher immer bewundern konnte, die von der Musik und der Dramaturgie her inspirierte Personenführung und Durchdringung des Stoffes auf der Bühne, sucht man hier vergebens. Stattdessen viel spielastischer Leerlauf, Bewegung um der Bewegung willen, müde déja-vues. So etwa, wenn die Witwe des ermordeten Römer-Feldherren Pompeius, Cornelia, als Mutter Courage mit Warenkarren einrollt; oder, wenn sie sich der Trauer um den geliebten Mann hingeben will, ein hinzugefügter kleiner Sohn im Freibeuter-Kostüm ständig mit einem Spielzeug-Jeep ihr dazwischen fahren und kecke Sprüche ablassen muss.

Die Idee, den Einzug Caesars und seiner kleinen Truppe per U-Boot zu gestalten – eine U-Boot-Attrappe fährt da zu Beginn aus dem Bühnen-Boden hoch –, ist zwar ganz witzig, holt die mehr als 2000 Jahre alte Geschichte sozusagen näher heran ans Heute. Auch den toten Pompejus (musikalisch die Partie des Sextus) als Johanaan-Kopf auf der Salatschüssel singen zu lassen, hat Pfiff. Das Ägypten Helmut Brades mit Papp-Palmen/-Pyramiden und Knebelbart-Finsterlingen allerdings wirkt doch arg Fantasy-Kindertheater-artig. Caesar darf an der als Lydia-Putzmaid sich verkleidenden Cleopatra in einem gold-türkis glitzernden Alkoven seine Männlichkeit erproben. Auch ein Staats-Bankett zwischen Cleo-Bruder Ptolemäus und Caesar ist arrangiert, wobei natürlich am Ende die mitwirkenden Vorkoster ins Jenseits sich verabschieden und die beiden Potentaten darob ein fröhliches Saufgelage zelebrieren.

Vieles wirkt arg aufgesetzt. Und leider versöhnt einen auch nicht die musikalische Seite. Das Händel-Festspiel-Orchester wird von Michael Hofstetter zwar durchaus feinfühlig, wenn auch oft etwas breit geführt. Aber alle Arien voll im ABA-Format singen zu lassen, das erstickt noch den Rest an dramatischer Spannung und Feuer. Und sängerisch kann nur der Caesar (ursprünglich eine Kastratenstimme) von Grga Peroš überzeugen; er hat zwar kein sehr weiches Organ, aber die Koloraturen perlen geschliffen sauber. Vanessa Waldhart als Cleopatra prunkt zwar mit schlanken Höhen, aber ihre Stimme klingt etwas scharf und gepresst. Bei Svitlana Slyvia als Cornelia wünschte man sich etwas weniger Vibrato. Gesungen wird (wie üblich bei Konwitschny) in einer deutschen Übersetzung von Werner Hintze, was dann doch den Touch von Kindertheater noch verstärkt.

Vor Beginn der Vorstellung gab es noch drei Reden, zuletzt die des englischen Botschafters. Der rühmte die enge, gerade auch durch Händel verkörperte Verbundenheit von Deutschland und England. Ob ein Brexiteer, für den die Botschaft vielleicht hilfreich sein könnte, im Publikum saß? Man weiß es nicht.


Qualität statt Quantität

Anlässlich der Händel-Festspiele 2007
in Halle mit Ariodante

01. Juni 2007

Halles Händel-Festspiele werden gelenkt von Musikwissenschaftlern. Das hat sein Gutes, bekommt man so doch Aufführungen zustande, die philologisch stets auf dem neuesten Stand sind. Halles Händel-Festspiele sind aber auch ein Festival, das den Opern-Komponisten Händel besonders pflegen will. Und da kommt die theatralische Qualität oft zu kurz.
Dass man Händel als Theaterkomponisten für ein breiteres Publikum neu erfinden müsste, hat sich erübrigt. Jedes bessere Stadt- oder Staatstheater hat heute wenigstens eine Händel-Oper im Programm. Händel ist „in“. Nicht nur bei den Liebhabern des Barock, auch bei vielen Sängern und Regisseuren. Gerade ihnen eröffnet die durchbrochene Form seiner Opern mit Rezitativ und Arie reizvolle Gestaltungsmöglichkeiten.
Gewandelt haben sich aber die Voraussetzungen. Marschierte Halle einst an der Spitze einer Reformbewegung, die Händel fürs Theater zurückgewinnen wollte, müsste es heute dafür sorgen, mustergültig-praktikable Aufführungen der Händel-Opern zu präsentieren für ein Publikum von heute. Und dieses hat ein anderes Zeitgefühl und auch ein anderes Zeitbudget als das im London des frühen 18. Jahrhunderts.
Es gab Perioden in den 1950er Jahren und dann wieder in den 1980ern, als in Halle Regisseure am Werk waren, deren Produktionen Maßstäbe setzten, international – bei Peter Konwitschny sogar gegen heftigste innere Widerstände.

Seit der Wende hat man mehr das Augenmerk gelegt auf die aufführungspraktische Korrektheit. Zumal im Orchester- und im Sängerbereich hat man mit dem Einsatz von Originalklang-Instrumenten und auch von Counter-Tenören und -Altisten große Fortschritte erzielt. Die theatralische Seite aber blieb immer mehr zurück. Pseudo-Aktualisierungen kamen in Mode. Die Konflikte der Opern-Figuren wurden allenfalls in ein zeitgenössisches Ambiente versetzt, die seelischen Tiefen der Händelschen Musik blieben unausgeschöpft.
Es bedürfte mithin einer ganz anderen Sensibilität bei der Auswahl von Regisseuren und Ausstattern, um hier wieder nach vorn zu kommen. Musikern oder Musikwissenschaftlern eignet solche Sensibilität selten. Auch Theater-Routiniers werden hier nicht weiter helfen. Es gibt aber unter – nicht nur – jüngeren Theatermacherinnen und Theatermachern durchaus Namen, von denen man sich solch vertiefte, innovative und vielleicht maßstabsetzende Arbeit versprechen darf.
Andernfalls wird Halle mit seinen Produktionen Händelscher Opern weiter zurückfallen. Für ein Festival, das auf internationale Ausstrahlung Wert legt, keine Empfehlung. Nicht Quantität ist heute gefragt, sondern Qualität.

Dabei war die Eigenproduktion 2007, der späte Ariodante (1735), sicher nicht die schlechteste. Man hat schon Schlimmeres erlebt.  Stephen Lawless hat sich mit seiner Sicht auf diese Art Lohengrin-Genoveva-Stoff aus Ariosts Orlando Furioso immerhin bemüht, auch tiefere Schichten anzukratzen.
Und die Musik Händels, der nach dem zweiten Bankrott seiner Opernkompanie um ein letztes Come back kämpfte, ist geradezu eine Perlenschnur an hochkarätigen, meist schnellen Arien. Mit der Einbeziehung von Ballett nähert das Stück sich in der Form der französischen Oper Rameaus an, abgeschmackt allerdings die Choreografie von Nicola Bowie.
Nachhaltig beeindrucken können Lawless und seine Ausstatter Benoit Dugardyn und Sue Willmington mit ihren Schotten-Golf-Assoziationen aber nicht. Eine überzeugende Braut Ginevra ist Gilian Keith. Federico Maria Sardelli leitet das Händelfestspiel-Orchester mit Tempo.


Ein (fast) Toter zwischen zwei Frauen

„Admeto – Re di Tessaglia“ als Eigenproduktion der Händel-Festspiele

09.Juni 2006

Ein Mann liegt im Sterben, ein König. Und die Musik, die ihm Händel dafür erfindet, gehört in ihrer heiteren Gelassenheit zum Schönsten nicht nur dieser Oper sondern seines ganzen Œuvres. Doch etwas könnte den König retten - Admeto, die Titelfigur: dass ein anderer sich für ihn opfert und an seiner Stelle in den Tod geht. Seine Gattin, im Stück heißt sie Alceste, tut das. Dabei war sie gar nicht des Königs Wunschfrau. Admeto heiratete sie, weil eine andere Frau, die ihm als die schönste verheißen war, nach dem Bild, das er von ihr zu sehen bekam, sich gar nicht als so schön erwies. Freilich, der König weiß nicht: sein eigener Bruder Trasimede, der sie als Braut werben sollte, vertauschte die Bilder. Er selbst begehrte sie.
Die Oper „Admeto“, die Händel mit großem Erfolg 1727 in London uraufführte und dann immer wieder ansetzte, zeigt eine Variante des „Orpheus und Eurydike“-Mythos – aktuell nicht nur für die damalige Zeit. Es geht um Sein und Schein. Und der König versucht nicht selber durch den Gang in den Hades Alceste zurück zu holen. Er schickt sein Faktotum Herakles. Und der bringt sie tatsächlich zurück, nicht ohne ihr schöne Augen zu machen. Freilich auch die andere Frau, die Trojanische Prinzessin Antigona, die der König hatte werben lassen wollen, hat sich mittlerweile aufgemacht gen Westen. Sie verdingt sich an seinem Hof in Thessalien als Gärtnerin – ein beliebtes Motiv in der Zeit. Inkognito möchte sie erkunden, warum der König sie verschmähte. Und irgendwann begegnen sie sich. Der König, der nichts davon weiß, dass seine Frau Alceste lebt, verliebt sich in sie. Er will die neue Frau heiraten. Und nun taucht die erste Frau auf, will die Rivalin töten. Am Ende hat der König zwei Frauen. Er müsste sich entscheiden.
In der Neuinszenierung zu den Händelfestspielen in Halle - erstmals nach fast vier Jahrzehnten - kommt dieser existenzielle Konflikt um Liebe, Verzicht, Begehren als eher klamottige Mischung aus Krankenhaus-TV-Serie „In aller Freundschaft“ mit James-Bond- und Frankenstein-Motiven daher. Der Sänger und vermehrt als Regisseur sich versuchende Axel Köhler hat sie entwickelt zusammen mit dem Bühnenbildner Roland Aeschlimann. Spitalbetten und an die Rückwand projizierte Röntgenbilder sind die wiederkehrenden Requisiten. Herakles befreit die tote Alceste aus einer Art Transplantationsklinik. Die entnommenen Spenderorgane setzt er ihr wieder ein. Die auf der Suche nach dem versprochenen König versetzte Trojanerin Antigona kommt im Kastenwagen mit rumpelndem Getöse auf die Bühne gerollt. Die Palastwachen gerieren sich wie eine Sondereinsatztruppe. Und Trasimede, der treulose Königs-Bruder, ist ein für die Psychiatrie reifer Harry-Potter-Verschnitt.
Musikalisch hat das unter Howard Arman freilich hohes Niveau. Präzis leitet er das Händelfestspielorchester. Matthias Rexroth in der Titelpartie hat anfangs noch etwas Probleme mit den Registern, steigert sich aber merklich. Mechthild Bach ist mit ihrem leichten Koloratursopran eine wunderbare Antigona, Romelia Lichtenstein die zwischen Liebe und Rache pendelnde Gattin Alceste, Tim Mead der hippelige Trasimede. Händel, der für die Uraufführung die besten Sänger seiner Zeit hatte, ließ die Arien fast ungebremst wuchern. Man gibt sie in Halle fast ungekürzt. So dehnt sich der Abend auf über vier Stunden. Statt schaler „Modernisierungen“ aus dritter und vierter Hand sollte man in Händels Geburtsstadt sich endlich an eine Dramaturgie wagen, die seine Opern auf ein für unser Zeit- und Lebensgefühl adäquates Maß bringt. Immerhin man hatte trotz Fußball-Oper ein volles Haus. Das Spielergebnis erfuhr man in den Pausen von den die Straßen laut hupend durch rasenden Fans. Es gab am Ende dieser vom Fernsehen aufgezeichneten Aufführung auch schüchterne Buhs. Ansonsten eitel Jubel. Und musikalisch war es, wenn man von den Längen absieht, durchaus ein Genuss. Es ist eine der anspruchsvollsten Händel-Opern und auch schönsten.


Im Untergrund der Gefühle

Rodelinda bei den Händel-Festspielen

03.Juni 2005

Das Auffallendste an dieser Händel-Oper sind die wunderbaren Trauergesänge. Die Handlung beginnt schon damit, dass die Titelfigur Rodelinda als Trauernde gezeigt wird. Eine Herrscherin oder Herrschersgattin mit Herz und Gefühl, zu den zartesten Empfindungen fähig, zu Gefühlen innerster Bewegtheit, die sie nicht hinter der Maske der Potentatin verbirgt. Und auch ihr Mann, der Langobarden-König Bertarido, wird schon bei seinem ersten Auftritt gezeigt nicht als kalter, berechnender Herrscher, der seinem Machtkalkül alles unterordnet. Auch er erscheint als Mensch, als Mann mit Gefühlen, fähig seinem Schmerz Ausdruck zu geben.
Rodelinda. Die Geschichte spielt im Ober-Italien der Langobarden. Äußerlich eine jener Intrigen-Geschichten, wie sie üblich waren in der Barock-Oper. Aber die Verschiebung der Achse vom äußeren Machtspiel ins Innere der Figuren zeigt die besondere Intention und Kunst Händels als Musikdramatiker. Und musikalisch ist er dort am bewegendsten, wo er sich gleichsam fallen lässt ins Innere dieser Figuren, wo er zumal zeigt, wie die beiden Protagonisten ihren Schmerz bewältigen: Bertarido, der von einem tyrannischen Nebenbuhler um seinen Thron gebracht im Untergrund lebt und dort seiner Frau Rodelinda wiederbegegnet. Die glaubte ihn für tot und machte schon, Realistin, die sie ist, Anstalten, dem neuen Mann sich hinzugeben, um so ihren Thron-Anspruch zu wahren.
Mit Rodelinda begann einst die Händel-Renaissance in den 1920iger Jahren in Göttigen. Auch in Händels Geburtsstadt Halle wurde diese Oper immer wieder inszeniert. Heuer erstmals in einer Fassung, die Händel für die zweite Aufführungsserie Ende 1725 umarbeitete. Er hatte damals neue Sänger mit anderen Spezialitäten. Geblieben sind die Lamenti. Und davon müsste eine Inszenierung ausgehen. Peer Boysen, den man diesmal als Regisseur und Ausstatter holte, macht daraus freilich ein sehr äußerliches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel einer kasperlehaften Brecht-Moritat. Die da capi werden mit albernen Balletteinlagen von vervielfältigten Doubles der jeweils singenden Figur verdoppelt. Vom inneren Kampf der Figuren ist auf dieser aus kegelförmigen Ringen geschichteten Bühne mit dem Kinderthron obenauf und einem baldachinartigen Kreisdeckel drüber nichts zu spüren.
So verlässt man sich besser auf die Musik. Und die ist bei Michael Hofstetter in allerbesten Händen. Das Händelfestspielorchester des Opernhauses Halle, das sich seit der Wende endlich der Originalklang-Bewegung anschließen durfte, ist in dieser Spiel-Technik immer mehr gewachsen. Und auch das Sängerensemble, zumal die Rodelinda der Romelia Lichtenstein und der Bertarido von Altus Kai Wessel bieten Händelgesang auf höchstem Niveau. Gesungen wird italienisch, allerdings mit einer völlig unzureichenden, auf Stichworte sich beschränkenden Übertitelung – was beim Publikum einen Teil des Unmuts angestachelt haben dürfte.
Als Neuerung versucht man in Halle als Festival im Festival ein „Electric Renaissance“ genanntes heuer dreitägiges Event im „KulturStadtHaus“ am Markt mit Installationen und Diskussionen, um mit einem interaktiven Händel-„Remix“ junges, studentisches Publikum auch für die Oper zu gewinnen. Mit Erfolg? Frage an Festivalchefin Hanna John:

JOHN: Wenn Sie mich so direkt fragen, muss ich erstmal nein sagen. Aber dort gab’s ein Panel, das sehr viel über das traditionelle Festival diskutiert. Ich denke so manches kommt dann vielleicht doch rüber, und vielleicht gibt es dann doch Neugierige, die sich doch mal die Oper ansehen.

Die beste Werbung für die Oper wären Inszenierungen, die den Weg öffnen zu den Werken, zu dieser Musik. Da war man in Halle vor zwanzig Jahren, als Peter Konwitschny seine ersten Schritte wagte, schon mal sehr viel weiter.


Ein Spätling

Die Händel-Festspiele 2004
mit der Wiederentdeckung
der Oper „Lotario“ (1729)
und dem Oratorium „Hercules“ (1743) als Oper

Die Uraufführung liegt 275 Jahre zurück. Die Premiere jetzt war dennoch fast das Gleiche. Lotario heißt diese vielleicht nur Forschern noch bekannte Oper. Sie teilte das Schicksal so mancher Spätlinge. Die Zeit, sie angemessen zu rezipieren, war vorüber. 1729, Händels „Royal Academy of Music“, mit deren Hilfe er so viele Opern in London herausbrachte, war bankrott gegangen und er musste eine neue Company gründen. Sogar das Adels-Publikum war die endlosen Liebeshändel, verkapselt in mythologische Geschichten, Leid. Es wollte auch auf der Bühne mehr Reelles. Und Kostproben davon hatten die Leute ja schon bekommen mit der Beggars’ Opera, jenem Werk das in der Neuauffrischung durch Brecht und Weill auch in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts die Opern-Rezeption in Deutschland so gründlich umkrempelte. Mit Lotario wollte Händel, bevor er dann doch zu Änderungen seines Konzepts notgedrungen sich entschloss, noch einmal eine italienische Opera seria alten Stils mit endlosen Rezitativen und Arien ausprobieren. Es ging schief. Die Leute mochten sie nicht. Sie war, wie ein Zeitgenosse wohlmeinend berichtet, ihnen „zu sorgfältig gearbeitet“.
Lotario erzählt die Geschichte von der Befreiung der italienischen Königin Adelaide aus den Fängen ihres Widersachers Berengario und seiner machtgierigen Gattin Matilde. Beide wollen ihr den Thron Italiens streitig machen und sie mit dem eigenen Sohn verheiraten, der allerdings den Eltern bei ihrer Intrige kräftig in die Suppe spuckt. Unter dem Namen Lotario haben Händel und sein Librettist Rossi den deutschen Kaiser Otto I. versteckt. Der nämlich befreit die arme Witwe Adelaide und heiratet sie – auch wenn die mehr als tausend Jahre zurück liegenden historischen Fakten nicht ganz übereinstimmen mit dem, wie Händel die Geschichte erzählt. Die Oper ist ein Füllhorn schöner Arien und lyrischer Innenschauen. Und die konzertante Aufführung durch Paul Goodwin und das „kammerorchesterbasel barock“ machen durchaus Lust auch auf eine szenische Erprobung. Zumal mit so exzellenten Solisten wie der spanischen Sopranistin Nuria Real mit ihrer glockenhellen Stimme als umkämpfte Königin Adelaide und dem amerikanischen Counter Lawrence Zazzo als ihrem Befreier Lotario, alias Otto, mit seinem bemerkenswert ausgeglichenen und voluminösen Organ. Allerdings sind die originalen Längen-Maße der Händelschen Partitur für unser Zeitgefühl heute kaum tragbar. Händel hat ja dann selber etwa die Wiederholungsteile seiner Arien gestutzt. In Halle kann man sich nach wie vor kaum dazu entschließen.
Der Eigenbeitrag des Opernhauses zu den diesjährigen Händel-Festspielen war eine szenische Aufbereitung des Oratoriums Hercules aus dem Jahre 1743. Händel hatte da die Oper schon ganz hinter sich gelassen. Es war kein Geld mehr damit zu verdienen. Er musste nach neuen Ufern suchen, auch wenn er seine Oratorien durchaus szenisch dachte. Der Regisseur und Ausstatter Fred Berndt wählt für seine Inszenierung eine quasi halbszenische Form. Der Chor sitzt anfangs als bronzebehelmte Soldateska des Kraftprotzes Herkules mit auf der Bühne hinter einer Gazewand, auf die immer mal wieder Filmspots mit dem Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger projiziert werden. So richtig prickelnd ist das letztlich nicht, auch wenn mit Ann Hallenberg als der von Herkules immer mal wieder in die Ecke gestellten Gattin Dejanira ein Mezzo der Extraklasse zur Verfügung steht und unter Alessandro De Marchi vom Händelfestspiel-Orchester frisch musiziert wird.


Blick nach Frankreich

Die Händelfestspiele 2003 mit Teseo (1713)
und Imeneo (1740)

 Die Beweislage ist dünn – ähnlich einigen weltpolitischen Verwicklungen derzeit. Händel ein Franzose? Immerhin Glück gehabt! Nach zwei Jahren, in denen man in Halle vor allem die britischen Bindungen des in London lebenden deutschen Komponisten italienischer Opern hervorkitzelte und auch entsprechende „Schirmträger“ aus den Sphären der Politik zum Festival an die Saale bat, blickte man in diesem Jahr politisch korrekt zum Bruder Frankreich.
Die als Beweis des auch französisch „vermischten“ Geschmacks in Händels Werk herangezogene frühe Oper Teseo bietet allerdings wenig Anhaltspunkte. Zwar finden sich einige dramaturgische Anregungen der französischen Hofoper Lullys: wie eine komplexere, dabei drangvollere 5-aktige Erzählstruktur, größere orchestrale Pracht, tänzerische Einlagen. Ansonsten aber ist das italienische Barockoper pur mit unsinnigen mythologischen Verquickungen und überbordenden höfischen Intrigen, wo ein Theseus als Kriegsheld und Liebhaber konkurriert gegen den lokalen König, und eine Medea als zaubernde Oberintrigantin die Fäden zieht und viele ins Unglück zu stürzen versucht, bis endlich die Götter einschreiten. Immerhin einige berauschende Arien hat dies Werk von anno 1713. Der Counter Axel Köhler als Regisseur hat Teseo augenzwinkernd mit ein paar Gags aus dem Asterix-und-Obelix-Repertoire gewürzt. Dargeboten wurde die Koproduktion mit den Festwochen Hannover Herrenhausen und dem Bayreuther Barockfestival im kleinen Lauchstädter Goethe-Theater unter der lebendigen musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner mit seiner frisch aufspielenden Lautten Compagney. Umjubelter Star als strippenziehendes Monster: die Medea von Maria Riccarda Wesseling mit ihrem satten Koloratur-Mezzo.
Von ganz anderem Kaliber ist die 1740 uraufgeführte vorletzte Oper Imeneo.  Da war Händels Londoner Adelsoper längst die Themse hinunter geschwommen, und er auf der Suche nach einem neuen Publikum. Was dann wiederum über zwei Jahrzehnte später bei dem Wiener Team Gluck/Calzabigi als „Reformoper“ reüssierte, ist hier schon angelegt: eine Konzentration auf wirkliche menschlich-dramatische Konflikte ohne Mythenbrimborium und höfische Intrigen: Ein Werk an der Zeitenwende. Im Mittelpunkt eine junge Frau, Rosmene. Sie soll sich entscheiden zwischen einem Mann, der sie aus den Händen von Kidnappern befreit hat und den auch ihr regierender Vater als Schwiegersohn wünscht, Imeneo, oder dem Mann, den sie liebt von Herzen, Tirinto. Sie entscheidet sich, nach einer kurzen vorgetäuschten Flucht, diesmal in den Wahnsinn, für den Mann der Vernunft. Und die Vernunft – es handelt sich bei Imeneo wohl um eine in Reserve gehaltene Hochzeitsoper für den englischen Hof; man beliebte dort, Heiraten aus bestimmten Gründen recht kurzfristig zu arrangieren -, die Vernunft steht hier noch ganz im Widerstreit mit den Gefühlen. Der ausgedehnte Schlusschor in Moll ist geprägt aber von tiefer, sehnsuchtsvoller Melancholie.
Die Inszenierung von Michael McCaffery als Beitrag des Hallenser Opernhauses kommt über ein Arrangement nicht hinaus. Preziös ausgestattet in einem exotisch vermauerten Zimmerambiente hat das Frank Philipp Schlößmann. Um einen schlanken Ton müht sich Uwe Grodd am Pult des Händelfestspielorchesters. Mit Ulrike Schneider als der verletzte Liebhaber Tirinto und Alexandra Coku als umworbene Rosmene hat man indes erste Sängerkräfte mit auch darstellerischer Präsenz aufzubieten. Musikalisch von geradezu Sturm-und-Drang-Qualität ist die Arie Tirintos, als er, von Eifersucht gequält, erfährt, dass wohl der Mitbewerber zum Zuge kommen wird. Interessant auch die gelegentlich in die Handlung eingreifenden Chöre. Mit ihren Unisono-Einwürfen hat Händel musikästhetisch auch hier einiges an neuer Einfachheit vorweggenommen, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz. Gluck und Händel trafen sich übrigens einige Jahre danach in London. Sie veranstalteten ein gemeinsames Konzert. Und Gluck gab später zu Protokoll, er habe Wesentliches für seine weitere Entwicklung von dieser Begegnung auf der Insel profitiert. Händel allerdings blickte eher spöttisch auf den Kollegen vom Festland. Die kontrapunktischen Künste wie er verstand der nicht. Aber eben das war des Jüngeren Chance.


Krönung der Spaßgesellschaft

Deidamia und Arianna bei den Festspielen 2002

7.-16.Juni 2002

Toll trieben’s die alten Griechen. Zum Beispiel Odysseus – zielsicher peilt er jeden Weiberrock an, nur navigieren, das kann er nicht. Krachend landet sein Schiff beim Skyrer-König Licomede statt im Hafen in den Palast-Wänden und stört den alten Herrn beim Golfen. Aufspüren will Odysseus den Achill. Der wurde von klein auf in Mädchenkleidern versteckt und hier auf der Insel geparkt, damit er nicht nach Troja in den Krieg muss, um dort wie prophezeit zu sterben. Nun brauchen die Griechen ihn, sonst können sie die Burg nicht knacken. Odysseus betätigt sich als scout.
Als Comic mit einem Maximum an Unsinnigkeiten hat der britische Regisseur Nicholas Broadhurst diese Deidamia eingerichtet. In Taucheroutfit im Haifischbassin oder beim Wasserski, als Polarforscher in den Gletschern, als Cowboys und -girls im Kakteenwald jagen die Figuren einander. Nur Deidamia, die Königstochter, scheint einigermaßen klar im Kopf. Als Protagonistin eines künftigen Reichs der Frauen darf sie auch bei Händel schon mit den Nachtigallen zwitschern. Und Ann Monoyios behält Façon und Stimme leicht, welche Seichtheiten der schnell ermüdenden Broadhurstschen Spaßgesellschaft sie auch zu durchwaten, zu durchsurfen, zu durchschießen oder als verhinderte Raumfahrerin zu durchschweben hat.
Händels letzte Oper Deidamia, für den Opernunternehmer europäischen Zuschnitts in London 1741 der Sargnagel zu seiner definitiven Pleite, ist der Eigenbeitrag des Opernhauses Halle zu den Händel-Festspielen 2002. Erstmals wird sie gegegeben in der revidierten Fassung der neuen Händel-Gesamtausgabe. Als den "kulturellen Leuchtturm" der Saale-Stadt pries SPD-Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler das Festspiel beim Festakt. Und der neue CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer fand das sogar noch untertrieben. Das Wohlwollen des Landesvaters jedenfalls scheint zu ruhen auf der fast 1200-jährigen Stadt, die heuer auch noch 500 Jahre Universität und 350 Jahre Naturforscher-Akademie Leopoldina feiert.
"The King shall rejoice" – zum Thema dieses Jahres (dem König möge es gefallen) ließ man sich inspirieren durch das Thronjubiläum der britischen Königin. Händel wählte es als Motto seiner Musiken für das englische Königshaus. Allerdings hatte er es mit Royals zu tun, die sich nicht nur vorzugsweise für Pferde, Hunde und Tampons interessierten. Einen wirklichen Lord, den ehemaligem Außenminister Howe, hatte man als Schirmherrn und launigen Festredner gewonnen. Mit auf dem Programm stehen auch die Festmusiken zur Krönung des zweiten George 1727, die das "Kings Consort" im Hallenser Dom zelebriert. Man hat Nachholbedarf - auch bei den Künstlern der Barockmusikszene, die erst allmählich nach Halle kommen. William Christie beispielsweise steht ganz oben auf der Wunschliste.
Mit Alessandro de Marchi am Pult sowohl des Festakts wie der Deidamia-Premiere hatte man immerhin einen für Halle neuen Dirigenten gewonnen. Und dem Händelfestspielorchester, dem der historischen Musizierpraxis angenäherten Opernorchester der Stadt, wusste er einen höchst dynamischen Händel-Klang zu entlocken sowohl beim Festakt wie der Deidamia-Premiere. Musikalischer Höhepunkt des Eröffnungswochenendes freilich war eine konzertante Aufführung im Goethe-Theater Bad Lauchstädt, vor den Toren der Stadt. Auch hier feiert man Jubiläum, das zweihundertste. Les TalensLyriques unter Christophe Rousset spielten dort Arianna in Creta.
Die Oper über den Ariadne-Stoff ist Händels vorletzte, 1733 geschrieben, das kriselnde Unternehmen vor dem Untergang zu retten. Mit atemberaubenden Koloratur-Kaskaden versucht der Komponist sich zu stemmen gegen die auf Stimm-Exhibitionismus getrimmte "Adelsoper" des Konkurrenten Porpora, die ihm da schon den Rang abgelaufen hatte. Mit geradezu körperlicher Hingabe gelang es den Musikern und den exzellenten Sängerinnnen – fünf Frauen- bzw. Kastratenpartien, dazu ein Bass - diese Musik zu verlebendigen. Zumal Kristina Hammarström in der Rolle des Minotauros-Töters Theseus konnte mit gestochen klaren Koloraturen brillieren. Aber auch Sängerinnen wie Sandrine Piau, Anne Lise Sollied, Ann Hallenberg machten diese Aufführung zum Erlebnis.


Ein Halle-Luja vom Global Player

50.Händel-Jubiläums-Festspiele
8.-17.Juni 2001

Zum Festakt kam sogar der Bundeskanzler. Und neben dem Versprechen, für die Ansiedelung der geplanten Bundeskulturstiftung in Halle (auf Bitten der Oberbürgermeisterin) sich zu erwärmen, hatte er auch allerlei Nettes und Neckisches über Halles "geehrten Meister des Komponierens" im Gepäck. Als mutigen "Modernisierer, Meister der Eigeninitiative und Musterbeispiel pragmatischer Selbständigkeit" lobte er den Georg Friedrich Händel, als Europäer "lange bevor Europa ein politischer Begriff werden konnte". Immer habe er, "ein wahrer Vorkämpfer der Wissensgesellschaft", sich die "besten Bedingungen zum Lernen" gesucht. Zum Auslandsstudium habe es ihn nach Italien gezogen und dann nach London, um "sein eigenes Opern-Start-up" zu gründen. Zum "echten Global Player im doppelten Wortsinn" habe er sich da emanzipiert, ein "europäischer Künstler und Unternehmer, der das Risiko nicht scheute" - Pleiten inklusive. Und auch wenn er 1728 mit seiner Londoner Operngesellschaft "materiell am Ende" war, geschafft habe er es, immerhin "50 Prozent seiner Ausgaben aus dem freien Kartenverkauf zu decken - eine Quote, über die heute so manches Opernhaus froh wäre", schmunzelte süffisant Gerhard Schröder.
Die 50.Händel-Festspiele sind dies in der Zählung seit dem Kriege, veranstaltet alljährlich mit Schwerpunkt Oper.  Händel-Feste gab es davor immer mal wieder zumal seit den 1920er Jahren, aber in unregelmäßiger Folge, mit unterschiedlichem Gewicht und ungezählt. Und weil die jetzigen auch schon die 68sten sein könnten, will man künftig ganz verzichten auf die Weiter-Nummerierung. Das Feiern wollte man sich gleichwohl nicht vermiesen lassen. Und nicht nur den Bundeskanzler konnte Händels Geburtsstadt zu ihren Jubiläums-Festspielen als Schirmherr gewinnen, auch den alten und neuen englischen Premier Tony Blair. Der freilich genoss doch lieber seinen frischen Wahlsieg fern der Saale. Opulent ist das Jubiläums-Programm bestückt. Auch Sir John Eliot Gardiner, erst- und einmalig im Musikjahr 1985 beim Händel-Fest in Halle (damals mit einer Aufführung des Oratoriums Israel in Egypt, von der die Besucher noch heute schwärmen), war gekommen mit Monteverdi Choir und Baroque Soloists. Sein Messiah wurde zumal mit so wunderbaren Solisten wie der knabenhaften Sopranistin Joanne Lunn und dem ungemein leicht intonierenden Altus Daniel Taylor zum Triumph.
Das wohl berühmteste Händelsche Chorstück indes, das die Politiker von Stadt und Land beim Festakt gern als heimliche Hymne auf Händels Geburtstadt, als "Halle Luja", interpretierten - bei Gardiner, der beim Festakt zum neuen Händel-Preisträger dekoriert wurde, klang es doch in durchaus "angel-sächsischer" Diktion. Aber man spürte auch: Gardiner hat durch seine Bach Cantata Pilgrimage, jene beispiellose Aufführungsserie sämtlicher 198 Bach-Kirchen-Kantaten im vergangenen Bach-Jahr quer durch Europa und Amerika, auch sein Händel-Bild geschärft. Was bedeutet für ihn Händel, gerade auch im Vergleich zu Bach nach diesem Kraftakt? Wie "Zwillinge", aber "im Grunde total verschieden" empfindet er beide, "der Händel war viel mehr ein Entertainer, mehr U-Musik als E-Musik", sagt er im Gespräch. Bach, zumal in seiner Vokalmusik sei zwar "ein bisschen undankbar für Sänger, aber vom musikalischen Standpunkt ist es noch vielfältiger, noch reicher, viel mehr eine Herausforderung als bei Händel. Ich liebe die Musik von Händel sehr, aber es ist nicht diese große Herausforderung wie bei Bach."
Weniger zu glänzen vermochte ein anderes vermeintliches "Highlight": Eine Neuproduktion der Oper, die 1952 beim ersten Händelfest der DDR auch auf dem Programm mit stand, Tamerlano, eine vom 3sat-Fernsehen aufgezeichnete Koproduktion mit den Theatern Champs Élysées in Paris und Sadlers Wells in London. So ausgefeilt musikalisch das im kleinen Goethe-Theater Bad Lauchstädt mit "The English Concert" unter Trevor Pinnock erklang, Regisseur Jonathan Miller erlaubte seinen Sängern nur ein Konzert in wenn auch sehr prächtigen Kostümen über diesen grausamen Mongolen-Fürsten Tamerlan oder auch Amir Temur, der seine Finger hier streckt bis nach der Türkei und Europa. Mit so manchem Arien-Juwel und vor allem auch mit mancher instrumentalen Leckerei prunkt diese Oper. Aber die Sänger waren offensichtlich ausgewählt für größere Räume, sangen mit viel zu starkem Vibrato. Und wenn in einer Inszenierung Knien, Sich-Setzen oder -an-eine-Säule-Lehnen schon optische Sensationen sind, verliert sich das Interesse schnell.
Unterhaltsamer immerhin die Eigenproduktion des Hallenser Opernhauses mit der frühen Oper Rodrigo über einen nicht minder blutrünstigen und sexgierigen Goten-Usurpator in Spanien, der schließlich von seinen eigenen Lendenschurz-Kriegern gestürzt wird und reumütig abdankt. Axel Köhler, bekannt vor allem als Counter, hat das szenisch arrangiert. Als Regie-Novize im zweiten Versuch gewinnt er dem Stoff vor allem juxige Züge ab. Vieles ist ungewöhnlich an dieser ersten von Händel in Italien eigentlich als Hochzeitsoper geschriebenen, zum Heiraten mit ihrem Wechselbad an bluttriefender Rache nicht gerade einladenden Oper: Eine überdimensionierte Ouvertüre ziert sie wie ein besonders ausgedehntes "happy end" oder auch "lieto fine". Uraufgeführt wohl 1707 in Florenz, ist der Notentext nur unvollständig erhalten. Zu den Jubiläums-Festspielen jetzt wurde Rodrigo erstmals gespielt in einer für die neue Händel-Ausgabe aus diversen Quellen rekonstruierten Fassung. Mit Temperament und Spannung leitete Andreas Spering am Pult diese Neuproduktion mit einem Solisten-Ensemble, grundsolide.
In kleineren Gastspielen beleuchtet wurde auch das zeitliche Umfeld des Händelschen Opernwerks. Hochkarätig der zusammen mit den Dresdner Musikfestspielen unternommene Versuch von René Jacobs und Concerto Köln, dem Dresdner Sturm-und-Drang-Komponisten Johann Gottlieb Naumann neuen Odem einzuhauchen. Seine um 1780 entstandene exotistische Indianeroper Cora über eine königliche Jungfrau, die gegen ihren Willen zur Sonnenpriesterin geweiht werden  und, als sie sich weigert, samt ihrer Familie den Opfertod sterben soll, trägt alle Züge von atavistischem Ritual, religiösem Wahn und Machtmissbrauch, die dringend eines Aufbäumens im Namen der Vernunft bedürfen. Retter ist hier ein aufgeklärter Spanier namens Alonzo. Musikalisch angesiedelt zwischen Gluck und Mozart, vom Sujet her etwas an Mozarts Idomeneo erinnernd, kann das drei-Stunden-opus freilich nur sehr bedingt überzeugen, ist insgesamt eher blässlich. Bodenständiger und derber zugleich ein Intermezzo des Bach-Schülers Johann Friedrich Agricola aus dem Jahre 1750: Il filosofo convinto in amore. Die mittlerweile nicht nur Kennern als Geheimtip geläufige Batzdorfer Hofkapelle hatte es ausgegraben und mit Verve im historischen Lauchstädter Kursaal musiziert. Es ist eine typische Geschichte der Zeit um einen Bücherstaub fressenden Philosophen, den eine junge Frau namens Lesbina heimsucht, um ihn für sich und die Liebe zu gewinnen. Inszeniert hat das auf einer Minibühne der Schauspieler Tom Quaas mit nicht nur den beiden Protagonisten sondern zusätzlich auch mit einem die inneren Vorgänge spiegelnden Tänzerpaar. Auf engstem Raum so kurzweilig wie amüsant.


vgl. auch Reinhard Keisers Masaniello