ab 2004

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Paul Dessaus "Lanzelot"
Rückkehr nach Halle: Händels "Cesare in Egitto"
Zum 70.Geburtstag
Alceste
Land des Lächelns
Æneas in Karthago
Cosi fan tutte
Titus
Moses und Aron
Peter Konwitschny

 

Drachen-Kämpfe

Paul Dessaus „Lanzelot“
am Weimarer DNT

23.11.2019 (gesehene Vorstellung: 28.12.2019)

Affen und Nagetiere grinsen einem anfangs vom Bühnenprospekt entgegen. Dann eine steinzeitliche Menschheit, die von einer rätselhaften Krankheit bedroht ist. Aber ein Drache hilft. Er erklärt ihnen, das Wasser sei Cholera-verseucht. Sie sollten nur abgekochtes Nass trinken. Und er hält sogleich seinen giftig-heißen Atem-Strahl wie einen Tauchsieder ins Wasser. Nun ist das Wasser keimfrei und jeder Urmensch bekommt einen kleinen Privat-Tauchsieder. Dann sieht man Mädels in blau-weißer Kleidung (Rock-Bluse) bei „Elektro-Müller“ einkaufen – wohl mit ihrem 100-DM-Nachwende-Begrüßungsgeld in der neuen Zeit. Und alle fühlen sich irgendwie pudelwohl. Nur eine nicht, Elsa. Sie soll mit dem Drachen verheiratet werden. Stattdessen wünscht sie sich einen Lohengrin oder Siegfried oder sowas Ähnliches als Befreier. Denn der Drache, der einst half, hält noch immer seine „schützende“ Hand über die kleine Menschheit. Alles ist geordnet, geregelt. die Menschen angeblich glücklich. Nur Freiheit – was immer das sei – gibt’s nicht.

„Lanzelot“ von Paul Dessau wurde 1969 uraufgeführt an der Berliner Staatsoper. Das Auftragswerk war ein Geschenk an den Komponisten zum 75.Geburtstag. Das Sujet nach Jewgeni Schwarz‘ „Der Drache“ ließ sich Dessau von Heiner Müller, als Schriftsteller damals verfemt, zum Libretto verarbeiten. Dessaus Frau, Ruth Berghaus, realisierte das Stück. Selbst gesehen habe ich diese Inszenierung nicht. Sie war nach Beschreibungen eine mit Puppen, märchenhaft auf die Bühne gebracht. Peter Konwitschny, einstiger Assistent bei Ruth Berghaus, hat das schon fast vergessene Werk in einer knapp dreistündigen Produktion nun am Weimarer Nationaltheater mit Weiterreichung an die Oper Erfurt neu herausgebracht. Ich sah eine spätere Vorstellung. Die Produktion ist perfekt, der Aufwand immens, ein wahrer Kraftakt.

Das Märchen ist auch eine Parabel auf all diese Regime, die „für“ die Menschen alles regeln und dabei ihre Freiheit verstümmeln, die DDR eingeschlossen. Und es ist eine Frage an die Menschen: wie gefeit sind sie solchen Verlockungen vermeintlicher „Sicherheit“ gegenüber? Gerade heute wieder verkünden rattenfängerische Populisten solche „Sicherheit“ und kassieren die Freiheit aber auch die Unbill eines selbstbestimmten Lebens. Etwa in Ungarn. Zum Glück gibt es auch Gegenbewegungen. Und Dessau hat listigerweise in seine Schlagwerk-schwangere Partitur auch jenen Song eingebaut, den einst die sozialistischen Thälmann-Brigaden im Kampf gegen die Franco-Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg als Losung auf den Lippen hatten: „Freiheit!“

Elsas Retter ist der Ritter Lanzelot. Aber die Menschen sind skeptisch ihm gegenüber. Es war doch alles so schön geordnet, so sicher unter dem Regime des „Drachen“. Dennoch tötet Lanzelot den „Drachen“. Und sogleich versucht sich der Bürgermeister als neuer Drachen. Die Menschen sind weiter unsicher, wem sie folgen sollen. Was ist mit dieser „Freiheit“, die Elsa wollte und Lanzelot ihnen brachte? Was können sie damit anfangen? Der Zuspruch von Presse und insbesondere Publikum zu dieser Inszenierung war euphorisch, wie es die Theaterleitung sich kaum erträumt hatte. Konwitschnys Inszenierung erinnert etwas an seine frühen Brechtischen Verfremdungs-Versuche zum Beispiel mit Offenbach und Lortzing. Sie gerät eher plakativ als witzig und leicht. Recht warm wird man damit nicht.

Zudem ist der Bühnen-Aufwand (Helmut Brade) so immens, dass die fünfzehn Bilder noch zerstückelt werden in einzelne Szenen. Ständig sind Umbauten nötig. So fehlt der Fluss, die Spannung. Unglücklich gelöst auch die Text-Übertitelung mit einer fast winzigen Schrift unterhalb der Bühne. Über der Bühne prangen dagegen Szenentitel, auf die man gern verzichtet hätte. Der Überwachungs-Film, an dem als Blick in seine Waffenkammer der Drache sich ergötzt, gerät überdeutlich zum Arsenal von Mini-Drohnen bis zu Raketen. Und Lanzelot bringt nach seinem Sieg über den Drachen auch noch Boots-Flüchtlinge mit; nach dem Kampf begegnete er überrascht seinem Alter Ego. Und Elsa, karikaturhaft immer in den allerhöchsten Höhen eher quiekend (Emily Hindrichs), erwartet von ihrem glatzköpfigen Retter (Máte Sólyom-Nagy) schon ein Kind – die Jungfrauengeburt, denn mit lebendigen Figuren hat man's hier kaum zu tun.

Blitzblank die musikalische Aufführung unter Dominik Beykirch, wobei die Schlagzeuger in zwei Musik-„Käfigen“, wenn sie gebraucht wurden, auf die nicht allzu große Weimarer Bühne hereingeschoben werden. Zum Drachenkampf rücken beide Käfige in der Mitte zusammen als wehrhafte Burg, die Lanzelot umkreist. Bei der (ausverkauften) Aufführung, die ich besuchte, gab es zur Pause allerdings auch einige Besucher, die den in der Tat etwas holprigen Schluss nicht mehr abwarten wollten. Der Schlussbeifall dennoch herzlich und langanhaltend. Immerhin eine Rückblende, die zeigt, dass die Avantgarde auch in der DDR zuhause war, wenn auch gegen immer neue „Drachen“ kämpfend. Und es gibt weitere Opern von Dessau, die der Wiederentdeckung harren. „Lanzelot“, von der spielbares Notenmaterial teilweise erst erarbeitet werden musste, ist nicht Dessaus stärkste.


Im U-Boot an die Saale

Peter Konwitschny kehrt zurück nach Halle und eröffnet die Händel-Festspiele 2019 mit „Cesare in Egitto“ (Caesar in Ägypten)

31.Mai 2019

Es schien eine gute Idee des jungen Intendanten der Oper Halle, Florian Lutz, den früheren Hallenser Regie-Champion Peter Konwitschny für eine neue Händel-Inszenierung zu gewinnen. Vor dreißig Jahren hatte Konwitschny dort seinen Ruhm begründet. Und Lutz, der in der Saale-Stadt mit forschem Umkrempeln des Betriebs so sehr aneckte, dass inzwischen sein Vertrag auf Nicht-Verlängerung begrenzt wurde, konnte eine Unterstützung gut brauchen. Das Haus hatte zwar gerade in dieser Woche auch eine Belobigung durch die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, erfahren. Sie vergab den Theaterpreis des Bundes diesmal u.a. nach Halle. Allerdings hatte der Intendant für seinen Kampf gegen die lokalen Windmühlen sich Hilfe geholt bei Fürsprechern, die zwar für andersartiges aber nicht gerade für hoch-artifizielles Regie-Theater stehen. Nicht so überzeugend.

Die Rückkehr Konwitschnys nach Halle hat nun zwar die in den letzten Jahren arg mittelmäßige Riege von Regisseuren der alljährlichen Händel-Festspiele aufgehübscht. Eine wirklich spannender Opern-Abend ist mit Händel „Cesare in Egitto“ (1724) allerdings daraus nicht geworden. Was man an Konwitschnys Musiktheater früher immer bewundern konnte, die von der Musik und der Dramaturgie her inspirierte Personenführung und Durchdringung des Stoffes auf der Bühne, sucht man hier vergebens. Stattdessen viel spielastischer Leerlauf, Bewegung um der Bewegung willen, müde déja-vues. So etwa, wenn die Witwe des ermordeten Römer-Feldherren Pompeius, Cornelia, als Mutter Courage mit Warenkarren einrollt; oder, wenn sie sich der Trauer um den geliebten Mann hingeben will, ein hinzugefügter kleiner Sohn im Freibeuter-Kostüm ständig mit einem Spielzeug-Jeep ihr dazwischen fahren und kecke Sprüche ablassen muss.

Die Idee, den Einzug Caesars und seiner kleinen Truppe per U-Boot zu gestalten – eine U-Boot-Attrappe fährt da zu Beginn aus dem Bühnen-Boden hoch –, ist zwar ganz witzig, holt die mehr als 2000 Jahre alte Geschichte sozusagen näher heran ans Heute. Auch den toten Pompejus (musikalisch die Partie des Sextus) als Johanaan-Kopf auf der Salatschüssel singen zu lassen, hat Pfiff. Das Ägypten Helmut Brades mit Papp-Palmen/-Pyramiden und Knebelbart-Finsterlingen allerdings wirkt doch arg Fantasy-Kindertheater-artig. Caesar darf an der als Lydia-Putzmaid sich verkleidenden Cleopatra in einem gold-türkis glitzernden Alkoven seine Männlichkeit erproben. Auch ein Staats-Bankett zwischen Cleo-Bruder Ptolemäus und Caesar ist arrangiert, wobei natürlich am Ende die mitwirkenden Vorkoster ins Jenseits sich verabschieden und die beiden Potentaten darob ein fröhliches Saufgelage zelebrieren.

Vieles wirkt arg aufgesetzt. Und leider versöhnt einen auch nicht die musikalische Seite. Das Händel-Festspiel-Orchester wird von Michael Hofstetter zwar durchaus feinfühlig, wenn auch oft etwas breit geführt. Aber alle Arien voll im ABA-Format singen zu lassen, das erstickt noch den Rest an dramatischer Spannung und Feuer. Und sängerisch kann nur der Caesar (ursprünglich eine Kastratenstimme) von Grga Peroš überzeugen; er hat zwar kein sehr weiches Organ, aber die Koloraturen perlen geschliffen sauber. Vanessa Waldhart als Cleopatra prunkt zwar mit schlanken Höhen, aber ihre Stimme klingt etwas scharf und gepresst. Bei Svitlana Slyvia als Cornelia wünschte man sich etwas weniger Vibrato. Gesungen wird (wie üblich bei Konwitschny) in einer deutschen Übersetzung von Werner Hintze, was dann doch den Touch von Kindertheater noch verstärkt.

Vor Beginn der Vorstellung gab es noch drei Reden, zuletzt die des englischen Botschafters. Der rühmte die enge, gerade auch durch Händel verkörperte Verbundenheit von Deutschland und England. Ob ein Brexiteer, für den die Botschaft vielleicht hilfreich sein könnte, im Publikum saß? Man weiß es nicht.


"Rennfahrer
gegen die Beliebigkeit

Peter Konwitschny zum 70.Geburtstag

21. Januar 2015

Seine wohl glücklichste Zeit war die ab 1998 mit Ingo Metzmacher an der Hamburgischen Staatsoper. Inszenierungen waren da zu bestaunen wie ein ins Klassenzimmer ploppender „Lohengrin“; ein „Wozzeck“, dessen Titelfigur verelendet an der heutigen Überflussgesellschaft; ein „Rosenkavalier“, dessen Schlussterzett an einer tristen Imbissbude im Winter nachhallt. Man wagte Verdis „Don Carlos“ in der fünfaktigen Urfassung oder zeigte in „Moses und Aron“ den Gottsucher unter blökenden Schafen. Aber auch die Serie von Produktionen, zu der ihn der damalige Grazer Intendant Gerhard Brunner einlud, zählt zu den Glanzlichtern seiner Regietätigkeit, vielfach nachgespielt die „Aida“.

Peter Konwitschny in GrazAufgefallen war Peter Konwitschny 1977, als er die Uraufführung von Friedrich Goldmanns „R.Hot“ nach Jakob Michael Reinhold Lenz im Apollosaal der Berliner Staatsoper auf die Bühne brachte. Die damalige Intendantin des Berliner Ensembles, Ruth Berghaus, deren Assistent er war, überließ ihm diese heikle Oper über einen jungen Aussteiger und Wehrdienstverweigerer. Eine spätere Operetten-Inszenierung von „Gräfin Mariza“ in Greifswald wirbelte die DDR-Szene auf. Der Altenburger „Freischütz“ und der Beginn einer Händel-Serie in Halle mit „Floridante“ rückten Konwitschny neu ins Rampenlicht. 1985 holte ihn Harry Kupfer an die Komische Oper für eine „Verkaufte Braut“. Aber auf halber Strecke war Schluss; Konwitschny wollte den Kuhhandel um den Brautverkauf passend ins Pissoir verlegen. In Montepulciano traf ich ihn dann erstmals persönlich. Busonis „Arlecchino“ inszenierte er dort bei Hans Werner Henzes Werkstattfestival.

Der Weg nach „draußen“ war offen. Und er öffnete sich weiter, zumal seine neuartigen Händel-Produktionen machten Furore. Kassel lud ihn ein, Basel. Die Wende schien für ihn erst einmal ein Bruch. Existenzängste breiteten sich aus. Würde sein Inszenierungsmodell, das listige Behaupten individueller Freiheit gegen Anpassungszwang noch funktionieren? Rennfahrer wollte er ja mal werden – in der DDR! Es kamen neue Angebote, etwa von Gerard Mortier aus Brüssel; sie platzten. Aber dann die Fast-Residenz in Graz, wo Konwitschny die an der Komischen Oper verhinderte „Verkaufte Braut“ realisieren konnte und vieles mehr, wie den wunderbaren Verdi-„Macbeth“. Dazu Gastspiele etwa in Barcelona, Moskau, Tokio, Kopenhagen, Amsterdam.

Konwitschny 70Konwitschny ist einer der sensibelsten Musiktheater-Regisseure, schwierig, hochmusikalisch, von einer kindlich-schelmischen Neugier. Sogar die beiden Münchner Wagner-Inszenierungen „Parsifal“ und „Tristan“ (1995/98) oder die Stuttgarter „Götterdämmerung“ (2000) zeugen von seinem vielschichtigen Changieren zwischen Komödie und Tragödie. Immer war da auch der tiefe Ernst zu spüren, die Suche nach dem, was hinter den Noten steht, was sie uns heute sagen – der Kampf gegen die Beliebigkeit. Kurz und erfolglos war der Ausflug in eine Leitungsfunktion an der Leipziger Oper, trotz der eigenen engen Bindungen an die Stadt, in der sein Vater, der Dirigent Franz Konwitschny, lange Gewandhauskapellmeister war. Ein dort nach andernorts vergeblichen Anläufen begonnener Gluck-„Ring“ wurde auf halber Strecke abgebrochen. Auch ein mit ihm unter der Intendanz von Andreas Homoki an der Berliner Komischen Oper begonnener Mozart-Zyklus mit Kirill Petrenko am Pult rundete sich nicht. Überhaupt notiert sein umfangreiches Werkverzeichnis oft: „abgebrochen“, „nicht realisiert“ und bei der in die Schützengräben des 1.Weltkriegs verlegten Dresdner „Csárdásfürstin“ 1999 „teils zensiert“.

In den letzten Jahren neigt Konwitschny immer mehr zu stärkeren Eingriffen in die Struktur von Werken. Im Schauspiel sowieso, mit dem er angefangen hat und zu dem er immer wieder zurückkehrt. Zuletzt bei einem völlig umgekrempelten „Lear“ in Graz. Gegen „die Väter“, inklusive den eigenen, hat er immer gekämpft. Heute ist er selber einer, hat Regie- und Gesangsstudenten von Berlin bis Wien, Zürich bis Tokio zuhauf unterrichtet. Jetzt ist er siebzig Jahre alt geworden. Bayreuth hat ihn nicht gerufen, Zürich einmal mit „Aus einem Totenhaus“ 2011. Salzburg kündigt für Sommer eine erste Arbeit an, wieder mit Ingo Metzmacher, „Die Eroberung von Mexico“ von Wolfgang Rihm. Und im österreichischen Verlag Bibliothek der Provinz erscheint ein großer Portraitband.


Konwitschny schmeißt Leipziger Posten als Chefregisseur

01.01.2012

Ein Gott-Schalk mit Döner-Keule

Peter Konwitschny beginnt in Leipzig seinen Gluck-Zyklus mit „Alceste“

17.04.2010

Schafe, Fernsehshows – das Theater von Peter Konwitschny sucht sich seltsame Begierden. Bei Christoph Willibald Gluck ging es 1767 in „Alceste“ um ein neues Ethos des Dramas, der Oper, der zwischenmenschlichen Beziehungen. Mit dem Rückgriff auf die Alkestis-Sage wollten Gluck und Calzabigi ihren Herrschenden ein neues, quasi „bürgerliches“ Ideal von Liebe und Treue aufzeigen. Alkestis ist bereit zu sterben für ihren Mann, den König Admetos. Aber als der genesene König davon erfährt, sucht er sie abzuhalten, will selber oder mit ihr sterben. Bis Herakles erscheint und sie beide aus dem Hades rettet, und Apollo den Göttersegen gibt.

Bei Konwitschny in Leipzig – es ist seine erste große Neuinszenierung als Leipziger Chefregisseur – sehen wir in den ersten zwei Dritteln eine Art Parodie antikischer Tragödie. Volk umkreist einen Opferstein, auf dem ein Schäfchen vergeblich Gras knabbert und dann rituell im dichten Weihrauchdampf geschlachtet wird (Bühne: Jörg Kossdorff, Kostüme: Michaela Mayer-Michnay). Alkestis wird sich später nach viel hin und her auf den glühenden Opferstock legen, sich wie eine indische Witwe mit blauen Binden und Blumen schmücken und von einem priesterlichen Kapuzenmann per sorgfältig poliertem Messer metzgern lassen. Ja, so war'n s', die alten Griechenleut‘.

Für die Errettung durch Herakles greift Konwitschny zurück auf das seit seiner Stuttgarter „Zauberflöte“ beliebte Mittel der Fernsehshow. Die Regie wechselt dafür von Glucks italienischer in die spätere französische Fassung. Ein blondgelockter Wünsch-dir-was-Gott-Schalk-Herakles mit Döner-Spieß-Keule, in deren Spitze ein Donner-Mikrofon steckt, mäht seine Widersacher nieder. Die händeringend trauernden Griechen sind zu neonfarben bekleidetem Applaus-Maschinen-Publikum mutiert, dem die (deutschen) Sprechtexte per Anzeigentafel vorbuchstabiert werden. Charon paddelt im Roll-Kahn herbei. Damen des Fernsehballetts schwingen dazu die Beine. Am Ende Versöhnung. Das gerettete Paar wird showgerecht eingekleidet, samt Kindern auf ein Podest gesetzt und mit Frischhalte-Folie umwickelt. Prasselnder Beifall – aber später dann doch auch ein zaghaftes Buh.

Einen ganzen Zyklus von Glucks griechischen Tragödien will Konwitschny in Leipzig stemmen. Geplant war das Paket vor vielen Jahren schon mal in Wien und Frankfurt. Sein Lieblingsthema Patriarchat und Frauenopfer will Konwitschny daran abhandeln. Dabei ist Admetos ja zum Beispiel ein recht aufgeklärter Mann und Herrscher, der das Opfer seiner Gattin verschmäht. Zweifel weckt auch der musikalische Zuschnitt dieser „Alceste“. Nicht mal von „historisch informierter“ Aufführungspraxis möchte man hier sprechen. Am Pult steht mit George Petrou allerdings der zweite Einspringer-Dirigent. Viel verwackelt ihm, bleibt unscharf. Chiara Angella in der Titelpartie verwechselt Dramatik mit gesteigertem Vibrato. Yves Saelens als Admetos punktet immerhin mit Bühnenpräsenz.

„Subversiv“ müsse Theater sein, beschwor Konwitschny erst kürzlich in einem Aufsatz sein hohes Ethos von Theater. Aber was ist wohl subversiv an einem parodistisch gemeinten Imitat von Oberammergau plus TV-Show, das nur mäßig amüsiert und Keulen nach Athen trägt?


Peter Konwitschny wird Chefregisseur der Oper Leipzig

Peter Konwitschny wird von der Spielzeit 2008/09 an Chefregisseur am Leipziger Opernhaus, das dann von Alexander von Maravic, dem gegenwärtigen kommissarischen Intendanten, geführt werden soll. Konwitschny, in Leipzig aufgewachsen, hat einen Sechs-Jahres-Vertrag unterschrieben. Pro Spielzeit soll er jeweils zwei Produktionen selbst betreuen, in Fragen der Spielplangestaltung und bei Besetzungen mitentscheiden. Seine wichtigste Dramaturgin, Bettina Bartz, bringt er als Chefdramaturgin mit. Vor allem um den Regie-Nachwuchs will er sich kümmern. Nach rund zehnjähriger Abwesenheit als Regisseur kehrt er damit in leitender Funktion nach Leipzig zurück.


Im Land des Abmurksens

Peter Konwitschny und Kirill Petrenko mit Franz Lehárs „Land des Lächelns“ in der Berliner Komischen Oper

1. Juli 2007

Am Ende sieht man dann doch noch ein bisschen von dem, was der Regisseur wohl eigentlich zeigen wollte: eine Liebe, die nicht glückt, nicht glücken kann. Der chinesische Prinz Sou-Chong lässt seine fluchtwillige europäische Frau Lisa und ihren Fluchthelfer Gustl von seinen Blaugardisten per Genickbruch abmurksen. Und das liebe Schwesterlein Mi, verkleidet als indianische Pfadfinder-Squaw, ist untröstlich. Sie hat nicht nur die österreichische Lotosblüte Lisa sondern auch deren tennisspielenden früheren Liebhaber Gustl lieb gewonnen, auch wenn sie dessen Annäherungsversuche zuerst mit Rippenstößen beantwortet.

„Immer nur lächeln“ – das aufgezwungene Motto des Prinzen in der europäischen Fremde: zum Ouvertüren-Beginn lässt Peter Konwitschny kurz das ganze Ensemble mit gefrorenem Lächeln bei halb geöffnetem Vorhang posieren. Dann gibt es neben einigen triftigen Szenen viel Klamauk und aufgesetzten Witz. Kaum einer im Publikum lacht. Per Feuerwehrstange rutscht die junge Witwe Lisa zu der zwischen Miniatur-Riesenrad und –Stephansdom walzernden Wiener k&k-Gesellschaft, wehrt die Ehewünsche ihres stotternden Liebhabers Gustl mit Degengefechten ab. Prinz Sou-Chong lässt sich vor seinem Auftritt bei ihr erst vom Visagisten vor dem Spiegel auf Chinesisch umfrisieren - eine schöne Metapher, die das Maskenhafte der Figuren zeigt. Wenn sich die beiden neuen Liebenden erst- und letztmals an die Wäsche gehen, fliegen auch die Perücken vom Kopf.

Für die Huldigung der Mandarine zuhause in China nimmt Konwitschny die von Lehár später hinzu komponierte erweiterte Fassung, veranstaltet dazu ein Politkabarett mit sich gegenseitig meuchelnden Diktatoren, von Cäsar über Barbarossa, Napoleon bis zu Hitler, Stalin, Mobutu und auch Texas-Bush. Sou-Chongs auf Ahnensitte achtender Onkel Tschang tritt - per Zeitsprung - in Mao-Look auf die dreistöckige, mit Jalousien verkleidete Empore. Das Zurücktauchen Sou-Chongs in seine atavistische Kultur zeigt Konwitschny mit einer wild-romantischen Kutschfahrt im Kreis mit dem Prinzen auf dem Bock und den vier Bräuten im Geschirr. Am Ende will der Prinz die eigene Frau vergewaltigen, die sich mit Peitschenhieben wehrt. Die Einkerkerung im Harem wird mit einem Heiner-Müller-Text garniert. Hysterische Frauen aller Weltkulturen meditieren über Herzen aus Stein in dem nun aller Tapeten entkleideten Bühnengerippe. Konwitschnys Schuldzuweisung für verlorene Liebe an die äußeren Umstände – sogar die Atombombe wird bemüht – scheint aber doch reichlich kurz gegriffen. Nicht Systeme lieben sich, sondern Menschen. Die sucht man auf der Bühne freilich lange vergebens.

Musikalisch ist das aber ein Abend von hohen Graden. Kirill Petrenko, der scheidende GMD der Komischen Oper, hat sich das Stück lange gewünscht und er musiziert es mit einer Raffinesse, die man bei Lehár sonst kaum zu hören bekommt. Von sämigen Straußschen Walzern bis hin zu den an Kurt Weill gemahnenden Aufmüpfigkeiten der Chinesen-Prinzessin Mi. Am Ende gab es viel Beifall, zumal für Petrenko und die Solisten – Tatjana Gadzik etwa als resolute Lisa und Stephan Rügamer als innerlich zerrissener, mit schlanker Stimme singender Prinz Sou-Chong -, aber auch für das Orchester und den fabelhaften Chor. Konwitschny und sein Team (Bühne: Jörg Koßdorff, Kostüme: Michaela Mayer-Michnay) mussten auch einige Buhs einstecken. Es bleibt auch vieles äußerlich in dieser Aufführung. Die Leichtigkeit, die selbst eine sogenannt „tragische“ Operette schon vom musikalischen Zuschnitt her braucht, wird ihr hier fast ganz genommen. Und eine neue Lesart zeigt Konwitschny kaum, nur eine verengte Perspektive - keine erweiterte jedenfalls wie bei der Csárdásfürstin einst in Dresden. Da können 2 ¾ Stunden dann doch sehr lang werden.

Gern würden wir von ihm wieder mal eine Produktion sehen, bei der ein Stück im Mittelpunkt steht und nicht ein Regisseur seine Allmachtsfantasien auszuleben versucht.

Vergleiche auch die Kritik in der Opernwelt 8 / 2007, die einen Vergleich zieht
mit der Produktion Arila Siegerts in Dresden 2005.


Politpropaganda auf schwedisch

Zu Æneas in Karthago von Joseph Martin Kraus

Deutsche Erstaufführung in Stuttgart am 02.07.2006
zum Ausklang der Intendanz von Klaus Zehelein nach dem szenischen Entwurf von Peter Konwitschny

Wie Konwitschny in einem Interview danach sagte, hatte er die Regie abgegeben, weil für ihn mit dem Stück nichts Vernünftiges zu machen war - was ja auch leider stimmt.


Elchtest bei der Swinger Safari

Mozarts „Così fan tutte“ an der Komischen Oper Berlin

20.Nov.2005

Schon Mozarts Zeitgenossen und erst recht das 19.Jahrhundert taten sich schwer damit. Wie soll man das glauben? Die Verlobten verabschieden sich mittags in den Krieg. Zwei Stunden später kommen sie zurück in einer etwas abenteuerlichen Verkleidung – und die Frauen, die sie verführen wollen oder sollen, erkennen sie, wenn’s dann wirklich zur Sache geht, nicht wieder? Die Antwort von Regisseur Peter Konwitschny: Ein bisschen die Komik übertreiben, so dass der Zuschauer bereit ist, dies als Spielregel gesetzt zu akzeptieren. Was dabei heraus kommt, ist Klamauk der höheren Art, für Konwitschny gleichwohl verbunden mit der ernsteren Frage, wie Mann und Frau miteinander umgehen, gerade heute, wo Fern-Ehen berufsbedingt an der Tagesordnung ist. Wie relevant ist da noch Treue, wo menschliche Bedürfnisse befriedigt werden wollen. Was passiert, wenn in eine Beziehung ein Dritter oder eine Dritte sich drängt?

Als eine Art Puppenspiel legt Konwitschny das an. Die Vier im Quartett spiegeln sich und ihre jeweiligen Partnerinnen oder Partner in einer Puppe, der sie ihre Treueschwüre zuflöten, die sie aber auch schon mal achtlos in die Ecke werfen oder in einen Karton mit rotem Seidenpapier wegpacken – wie die beiden Frauen, wenn sie dann doch den Sprung über die Klippe wagen. Auf die Drehbühne der Komischen Oper hat Jörg Koßdorf ein naiv-hässliches Gartenidyll à la Henri Rousseau als Damen-Refugium gebaut. Durch einen in die Wand gebrochenen Schlitz entschwinden die beiden Männer, während Maskierte die Barke mit Seilen heran winden. Das wohl innigste Ensemble der Oper, das Abschieds-Quartett, findet hier eine wunderbare Übersetzung. Auch die beginnende Auflösung der festen Paarbindungen ist optisch trefflich gelöst, wenn eine Insel von blühenden Blumen auseinanderdriftet und die Liebenden wie im Sturmwind verwehen, nur durch bunte Bänder zusammen gehalten.

Für den zweiten Akt hat Koßdorff als Grill, auf dem die Treueschwüre gegart werden, eine Art Glaskeramik-Kochplatte mit Waverspiegelung entworfen, deren Spiralen im jeweils erforderlichen Hitzegrad erglühen. Die Frauen decken diese immer wieder notdürftig mit Tüchern ab, wenn die Sache zu heiß wird. Das Ende lässt Konwitschny offen. Alfonso, der mit viel Raffinesse und dennoch immer mit dem Finger am Abzug seiner Schreckschuss-Pistole die Puppen-Fäden zog, unterbricht den Ablauf und fragt, wer nun eigentlich wen heiraten will, soll, könnte, möchte? Ferrando kommt auf die geniale Idee, er könnte ja vielleicht Guglielmo heiraten – und das wäre doch auch „gut so“. Und während die Solisten zum Finalgesang ins Parkett stieben, wird auf der Bühne ein Plakat entrollt, man solle das doch alles ein bisschen „philosophisch“ nehmen. Den moralischen Zeigefinger will Konwitschny jedenfalls nicht recken.

Aufhorchen lässt einmal mehr, wie Kirill Petrenko am Pult mit dem Orchester der Komischen Oper die Mozartsche Partitur in Richtung historische Aufführungspraxis schärft, wie er die Klanggruppen profiliert im Graben. Schon in der Ouvertüre ist der frische Zugriff zu spüren, wenn Konwitschny vor dem Vorhang eine Art Krieg der Papp-Plakate veranstaltet und die Frage ad absurdum führt, ob nun Frauen oder Männer oder Festplatten oder Brieföffner untreu sind. Aber auch der Innigkeit der Musik, wo Mozart die Komödien-Ebene verlässt, wo er aus dem notorischen Buffa-Getriebe aussteigt und die Musik gleichsam zu sich kommen lässt, bleibt Petrenko nichts schuldig.

Mit viel Spielwitz ist das alles gemacht, und so gab es am Ende viel Jubel. Von den Sängern konnte Dietrich Henschel als zwar diabolischer aber auch feinfühliger Strippenzieher Don Alfonso die meisten Punkte ernten. Seine Helferin, die Zofe Despina, die er sich mit ein paar Münzen kauft, gibt Anne Bolstad als eine Art Kohlhiesel-Tochter oder Wilhelm-Busch-Karikatur, etwas schlampig, etwas grob, aber als im Leben Zu-kurz-Gekommene auch durchtrieben schlau; ihren prolligen Fast-Sprechgesang der Rezitative kann sie allerdings in ihre Arien nicht verlängern. Eine stimmlich zumal in den Höhen exzellente Fiordiligi ist Maria Bengtson, die ihre Treue anfangs ins Statuenhafte einer Ariadne erstarren lässt. Verschmitzt und gewitzt beim Austasten der Möglichkeiten die Dorabella von Stella Doufexis. Nicht ganz so überzeugen können die Männer. Johannes Chum, der Ferrando, neigt doch zu sehr dazu, seine Töne zu verschlucken. Ein einsatzfreudiger Guglielmo ist mit baritonalem Wohllaut Michael Nagy.

Die Magenschmerzen, die man bei dieser Versteckspiel-Oper bekommen kann, werden einem freilich auch in dieser Inszenierung nicht ausgeräumt: trotz der drastisch zupackenden neuen Texte von Bettina Bartz und Werner Hintze. Und auch trotz der Kostüme, in die Michaela Mayer-Michnay die Männer für ihre Swinger-Safari als Geschenkpaket verpackt hat: mit Raubtierfellen auf den Rücken und immer wieder liebesbereit baumelnden Schwänzen, mit kürbisgroßen Turbanen und bindenartigen Schnurrbärten – oder auch in bloßen Unterhosen und roten Bändern. Fast ungekürzt lassen Konwitschny und Petrenko das kauzige Kasperltheater abschnurren. Mit nahezu vier Stunden Spielzeit ist das ein dann aber doch etwas langer Abend.


Abgefackelt

Konwitschny und Metzmacher verabschieden sich in Hamburg mit Mozarts „Titus“ (La clemenza di Tito)

08.Mai 2005

Sehr virtuos ist das gemacht, sehr unterhaltsam – Comedy eben mit eingebauten Stolpersteinchen. Schon gleich zu Beginn, wenn die Beleuchtung der Courtine flackert und der Herr Kapellmeister im Graben nach einem Dialog mit dem Bühnenmeister noch mal von vorn anfängt. Und auch am Ende bei der Applausordnung schmettert das Orchester wie im Musical noch einmal mit der Ouvertüre los. Das zentrale Örtchen der Aufführung wird vom verhinderten Liebespaar aufgesucht für besonders dringende Geschäfte. Dorthin auch hatte der Kaiser selbst sich zuletzt immer wieder geflüchtet, um die dankbaren Ovationen seines vor der Löwenverfütterung bewahrten Volks abzuwehren.

La clemenza di Tito – die Milde des (Kaisers) Titus, Mozarts vorletzte als kaum spielbar geltende Oper, in der Regie von Peter Konwitschny mit Ingo Metzmacher am Pult und Helmut Brades Ausstattung trägt sie den Untertitel „Zustände wie im alten Rom“. Und so geht’s auch zu. Der Kaiser als sein eigener Lauscher an den mit Zeitungspapier weiß übertünchten Wänden dieses Spielzeug-Rom hört immer selber mit, was die Untertanen von ihm denken. Und der Titus dieser Aufführung, Herbert Lippert, mit seinem so wunderbar hellen wie kraftvollen Tenor, trägt immer ein Lächeln auf den Lippen. Er genießt es, dass man ihn und seine Güte liebt. Er erträgt es gar nicht, dass ausgerechnet sein bester Freund Sextus (Yvi Jänicke) ihm nach dem Leben trachtet, angestiftet freilich von einer Frau, der verschmähten statuenhaften Vitellia (Daniela Halbwachs). Da schneidet er sich in einer Notfall-Selbstoperation wirklich das eigene Herz aus dem Leib. Und der Theaterarzt muss schnell ein neues aus Eisen einschrauben, nachdem Titus im Selbstgespräch mit seiner augenfunkelnden Statue (eine besonders schöne Szene) sich beraten hat. Und nach der Herzoperation hat der Arzt Schwierigkeiten mit dem Programmieren der Sprachen. Aber es geht ja ohnehin ganz schön drunter und drüber hier mit Deutsch (Rezitative) und Italienisch (Arien).

Nach des Sextus „Verrat“ sind sie alle lädiert. Rom abgefackelt – kleine Feuerchen auf den Mäuerchen und ein bisschen Rauch genügen. Die Wände des Forum Romanum sind angekokelt, die Figuren kommen mit angeschwärzten Kostümen auf die Bühne. Selbst der Herr Kapellmeister kommt mit angesengtem Frack über die Bühne in den Graben gestolpert. Der Kaiser ist ins Parkett geflohen und will sich alles erst mal aus der Ferne angucken. In der Küche der zuletzt vom Kaiser als Bettgenossin erkorenen gar nicht servilen Servilia (Aleksandra Kurzak) weint sich die Rivalin Vitellia aus, ein Todesbote (Rupert Wachter am Bassetthorn) schürzt ihr schon den Trauerflor und gibt ihr als „Erfolgsgemüse“ einen Bund Möhren mit auf den Weg. Zwischendurch hört man immer wieder Löwengebrüll. Und am Ende, wenn der Kaiser seinerseits noch mal zur Sanftmut sich entschließt, krabbeln zwei kleine Löwen herbei, um die zum Tod im Colosseum eigentlich Verurteilten schon mal anzuknabbern. Nach dem Sinneswandel des Titus setzen sie sich possierlich zu Sextus an die Rampe und bekommen – na was? – Mozart-Kugeln ins Mäulchen gestopft.

Mit dem zum fliegenden Klassenzimmer umgestalteten Wagnerschen Lohengrin hatte die Zusammenarbeit des Hamburger GMD Ingo Metzmacher mit dem Regisseur Peter Konwitschny begonnen. In einem zerfledderten Schulbuch-Rom endet nun die acht Jahre und elf Produktionen währende Erfolgsstory. Selbst Schönbergs Moses und Aron machten die beiden zum Theaterkassen-Goldesel. Metzmachers Nachfolgerin Simone Young wird daran Einiges zu knabbern haben. Reibereien bezüglich der Hinterlassenschaften der Metzmacher-Konwitschny-Ära sind vorprogrammiert. In seinen letzten Arbeiten hatte Konwitschny immer mehr auch den Dirigenten in seine szenischen Konzepte einbezogen. Seine wachsende Tendenz – oder Manie –, die Stücke immer mehr Castorfisch aufzubrechen, macht es Kapellmeistern ohne die verschmitzt-kumpelige Art eines Ingo Metzmacher nicht leicht „mitzuspielen“. Und auch im Publikum zeigten sich die Fraktionen des „Hosianna“ und „kreuzige ihn“ noch an diesem Abend durchaus gespalten.

In einem einzigartigen Finale lässt Metzmacher derzeit den gesamten Strauß der gemeinsamen Produktionen noch einmal Revue passieren, unter denen neben Lohengrin vor allem auch der im Geld statt in Erbsen watende Wozzeck herausragt. Seine Opernarbeit in Hamburg beendet Metzmacher mit dem Lohengrin. In einem Symphoniekonzert mit einem Mahler-Schostakowitsch-Programm verabschiedet er sich dann auch vom Konzertpublikum. Die Show geht weiter – mit einer kleinen und sicher notwendigen Konwitschny-Pause, nicht alles, was sie an Ideen hier präsentieren, ist ja taufrisch – demnächst in Amsterdam.


Kuchenbacken und die Idee davon

Peter Konwitschny inszeniert in Hamburg Schönbergs „Moses und Aron“

14.Nov. 2004

Es gibt auch eine wirklich komische Szene: Moses brütet über seinem Gesetzeswerk. In seinem härenen Schaffell sitzt er – wie weiland Schönberg – an seiner Schreibmaschine und spannt ein Blatt nach dem anderen in die Walze. Hinter ihm stapelt sich schon ein Tafelberg zerknüllten Papiers. Der Denker rauft sich die Haare, aber es will und will ihm nicht gelingen. Trotz sternflammendem Firmament über ihm, das seinen Schreibtisch nächtlich umwölbt.

Sein Volk, das Moses aus der Kantine entführen wollte, hat es sich derweil, noch immer dort seiner harrend, gemütlich gemacht. Aron mussten sie allerdings erst mit dem Galgenstrick bedrohen, damit er was springen lässt. Da hat er Geldmanna regnen lassen, was die entzückten Ausreisewilligen in eine Art Chanukka-Lichterschale legen und verbrennen lassen. Würstchen gibt’s dafür mit Cola und Ketchup. Bei soviel Gourmet-Glück steigt der erste auf ein Tischchen und beginnt verzückt zu tanzen. Immer mehr tun es ihm gleich. Einige, die ihr Glück gar nicht mehr fassen, greifen zur Pistole und schießen sich zu Tode. Der Berliner Politzirkus von Eichel bis Fischer, Clement, Thierse, Merz, Merkel und Schröder kommt als "Stammesfürsten"-Garde und Reitende Boten auf Holzpferderücken eingehopst und wagen ein Koalitionstänzchen. Dann fallen die ersten Hüllen. Einige Frauen versuchen Männer mit dem Messer zum Lustgewinn zu zwingen, bis die den Spieß umdrehen und den Frauen die Gurgeln aufschneiden. Nichts für ungut. Eine allgemeine Begattungs-Orgie beginnt, die sich dann auflöst via Parkett ins Foyer.

Am Ende, wenn Moses endlich kommt und den großen Empfangs-Bahnhof erwartet für seine 40tägige Hirnschmalz-Verbrennung, sind nur noch einige Besoffene zur lallenden Begrüßung übrig. Ein Foto wird eingeblendet von der Küche, wo Moses nach einer nächtlichen Séance bei seinen blökenden Schafen dem Aron beim Frühstück seine Eingebung von Volksbeglückung mitteilte, und dem dabei fast die Kaffeetasse aus den Händen glitt. Von wegen „auserwählt“ und „Befreiung“. Moses als der Fachmann für hirnrissige Ideen, Aron als der Mann der Umsetzung, der eben auch die Idee von Frühstück in Kuchenbacken und Kaffeekochen zu verwandeln weiß in den sinnlichen Genuss. Das war mal. Nun will Aron, gelangweilt von Moses’ Ideen, nichts mehr hören und versucht den Arm zu heben, als aus der Ferne das Volk seinem neuen Führergott huldigt. Moses, der sich schon selber erschießen wollte, bleibt nur noch die Ohnmacht. Gemeinsam sinken sie in die Tiefe. „O Wort, das mir fehlt“.

Standing ovations bereitete das Publikum dieser vorletzten Hamburger Konwitschny-Inszenierung. [Insgesamt ist es die zehnte Zusammenarbeit Konwitschny-Metzmacher, die achte in Hamburg.] Man spielt das zweiaktige Fragment der von Arnold Schönberg in den 30iger Jahren begonnenen, aber unvollendet hinterlassenen Moses und Aron-Oper. Und man hat zumal mit Frode Olsen als Moses einen in seiner in sich ruhenden Gewitztheit herrlichen Protagonisten. Reiner Goldberg als Aron wirkt wie ein beflissener Macher, eine Art Kultursenator auf Zuruf. Die passende Ergänzung, Berlins Kultursenator Thomas Flierl, fand sich übrigens tatsächlich im Parkett. Mächtig gefordert ist der Chor, der hier in den sandfarbenen Arbeiterkluften von Ausstatter Johannes Leiacker seine Aufgaben glänzend bewältigte. Gefeiert aber vor allem Ingo Metzmacher, der das Orchester über die oft trockenen Wüstenriffe der Partitur souverän bugsierte.

Dem Regisseur Peter Konwitschny freilich scheint es hier ein bisschen zu gehen wie seinem Protagonistenpaar. Das Thema der Oper wird zu einer Art Selbstversuch. Auf eine Kreidetafel schreibt Moses das Motto des Abends „Reinige dein Denken“. Wie weiter mit dem Inszenieren? – könnte es in der Übersetzung lauten. Auffallend viel arbeitet Konwitschny hier mit Versatzstücken. Schon die Bühne von Johannes Leiacker wirkt mit ihren durch teils rumpelige Umbaupausen gestückelten Plätzen (Sternenzelt, Kaffeeküche, Kantine) wie montiert. Frühere eigene Findungen werden hier einmontiert wie auch neuere der Szene, wie sie vor allem Calixto Bieito mit seinem „SM“-Theater propagiert. Nicht fehlen darf auch das Politkabarett von Konwitschnys eigener Einrichtung der Luigi-Nono-Theateraktion Al gran sole carico d’amore in Hannover. Was aber doch ganz schmerzlich fehlt, ist die zwingende Form für diese Fragmente.

Die eigentlich hoch aktuelle Frage des Stücks, die auch Schönberg selbst zwei Jahrzehnte umtrieb und dererwegen er nach dem Krieg nicht einwandern wollte in das gelobte Land, wird gar nicht wirklich berührt. Es ist die Frage nach dem Machtanspruch einer Religion, die sich im Besitz des einzig wahren Wegs wähnt ohne Rücksicht auf Verluste. In seiner Stuttgarter Zauberflöte-Inszenierung hat Konwitschny das Thema auch schon im Dreieck Kantine-Sektentempel-Fernsehstudio pendeln lassen. Hier wird es nun vollends in den Bereich des Absurden abgeschoben, was zumal im zweiten Akt doch einen eher schalen Beigeschmack hinterlässt. Dürfen wir also weiter glauben an Peter Konwitschny, möchte man ironisch die Gretchen-Frage seines Dramaturgen Werner Hintze im Programmheft wenden, wie er’s denn halte mit der Religion und die er eher symbolisch beantwortet? Wir müssen sie wohl offen lassen. Die Brüche seines Versuchs von Theater freilich werden immer deutlicher.


Interviews zu Verdi und Wagner

Literatur: Frank Kämpfer, "Sehnsucht nach unentfremdeter Produktion, Der Regisseur Peter Konwitschny", Berlin 1992 (ISBN 3-929333-11-2);
und ders. "Peter Konwitschny, Regisseur", EVA (2001)
Peter Konwitschny "Mensch, Mensch, Mensch!", Hrsg. Andrea Welker. ISBN: 978-3-99028-436-0, 528 Seiten, Verlag Bibliothek der Provinz / edition muenchen, 2015


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