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Rhythmisches Haarekämmen

Auftakt des MaerzMusik-Festivals Berlin

18.03.2022

Achtzehn junge afroamerikanische Frauen in weißen langen Kleidern und mit wie ein Heiligenschein auftoupierten Haaren schreiten in den Raum, nehmen Platz im Rund und ziehen auf Kommando einen roten oder grünen Kamm heraus, streichen damit über ihre Haare. Rhythmisches Haarekämmen, vielleicht als Referenz an die Corona-Zeit, wo man nicht mal zum Friseur durfte. Das Streicheln der kräuselnden Haare wird per Mikrofon über jedem Kopf leicht verstärkt, aber bleibt dennoch im großen Terrarium des Gropiusbaus-Innenhofs kaum hörbar. Das Ganze dauert mindestens zehn Minuten. Das war der erste Act fürs diesjährige MaerzMusik-Festival.

Satch Hoyt

Es gibt dann auch noch kleinere Gigs wie die von vier Flötist*innen gemeinsam geblasene „Circle Flute“, eine Rundflöte mit vier Labialzugängen. Oder ein Akkordeon-Act „Flash“ von Rebecca Saunders, der sich im weiten hohen Raum des Gropiusbaus anhört wie einst die Orgel-Aktionen von Gerd Zacher nach Kagel- und Ligeti-Vorlagen in Hamburg später Essen. Vom oberen Rang des Gropiusbaus gibt’s dann auch noch stärker mit der Halligkeit des Raums arbeitende Stückchen von Salvatore Sciarrino „Agitato Cantabile“ für Horn oder von Toshio Hosokawa „Voice“ für Posaune. Nette Improvisationen.

In der zweiten Hälfte des unter dem Motto "A Garden of Forking Paths" gestylten Abends dann auch noch die Wiederauflage des Wandelkonzert-Konzepts. In kleineren Räumen zu hören einzelne Stücke mit einzelnen Musiker*innen. In den 1970-iger Jahren waren Wandelkonzerte nach dem Vorbild von Eric Saties „Musique d‘ameublement“ erfunden worden, um den starren Konzert-Ritus aufzulockern und das Publikum mit einem offenen Konzept zu Ungewohntem anzulocken. Im Zeitalter von akustischer Dauerberieselung durch alle möglichen Medien scheint freilich eher das Gegenteil geboten.

Das Festival bietet bis 27.März noch einige weitere Angebote inklusive das schulterklopfende „Thinking together“. Dazu viel heiße Luft bei der Programm-Vorstellung. Was das Akustische betrifft – meist Rückblickendes anstatt, wofür es mal gedacht war: ein Forum für Uraufführungen und die Möglichkeit für Komponisten, sich bekannt zu machen und zu erproben. Unter der gegenwärtigen Leitung wird man das nicht mehr erwarten dürfen. Allerdings bekommen die Berliner Festspiele im Herbst einen neuen Intendanten, der das bisherige pseudo-verkopfte bisherige Konzept des Hauses hoffentlich wieder zu einem Fest der Sinne macht und auf die Füße stellt.

Foto: © Camille Blake


Kampfplatz

Ein Splitter vom Musikfest Berlin mit Strawinsky und Messiaen

31.08.2021

Musikfest Berlin. Musik-Fest? Mühsam ist der Zugang mit einigen notwendigen und einigen überflüssigen Corona-Kontrollen. Und im großen Saal der Philharmonie obligatorischer Mundschutz. Kein Sitzen im Schachbrettmuster. Man bekommt Atemnot. Dabei ginge es anders. Und wenn’s am Geld liegt, dann eben mit konzentrierterem Programm.

Fleming-Concertgebouworkest_copyright Astrid Ackermann

Das erste von mir besuchte Konzert: das Gastspiel des Concertgebouworkest Amsterdam unter Daniel Harding. Interessant wegen des Programms mit Strawinskys später „Agon“-Ballettmusik (für George Balanchine) und Messiaens frühem „Poème pour Mi“ (1937). Renée Fleming singt mit ihrem wunderbar leichten, flirrenden Sopran die religiös konnotierten Orchesterlieder. Manchmal wie ein mönchisches Gebet, ein Graduale mit stark obertonhaltigen Akkord-Mixturen daherkommend, mal virtuos, eher streicherbetont.

(Blech-)Bläserbetont dagegen Strawinskys „Agon“-Suite aus dem Jahre 1957. Der Altmeister der Moderne blickt da janusköpfig zurück auf sein Schaffen, beginnend beim „Feuervogel“ und dem „Sacre“. Anklänge hört man auch an „Petruschka“, die „Geschichte vom Soldaten“ oder die Werke der Zwischenkriegszeit wie „Dumbarton Oaks“. Aber deutlich auch der Versuch, sich Schönbergs Dodekaphonie zu nähern, weswegen sein Lieblingsdirigent Ernest Ansermet mit seinem Orchestre de la Suisse Romande sich von ihm abwandte, aber Theodor W. Adorno in seiner den vermeintlichen Antipoden Schönberg und Strawinsky gewidmeten „Philosophie der Neuen Musik“ dem Russen ein bisschen verzieh.

Ein Aperçu, dass die Komponisten-Nachkriegsgeneration der Seriellen um Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez vor allem auf Messiaen, aber auch Strawinsky und weniger auf Schönberg sich berief. Stockhausens früher „Gesang der Jünglinge“ sogar mit dezidiert religiösem Unterton. Und dass die serielle Schule schon bald keine Schüler mehr fand, die Moderne an ihre Grenzen kam – wie heute ganz aktuell in der internationalen Politik die westliche Demokratie an ihre Grenzen der Vermittelbarkeit als alleinseligmachend für die ganze Welt kommt, um mal eine sicher sehr gewagte Analogie auszuprobieren.

αγών (agón), steht griechisch für Festplatz aber vor allem auch Kampf, Kampfplatz: Indes, die Kombattanten sind heute andere.

*

Masse und Individuum

Ein Saunders-Webern-Konzert mit jungen Musikern

09.09.2021

Harter Tobak: in einem Konzert Rebecca Saunders mit Anton Webern zu koppeln! So beim Konzert des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO) unter Enno Poppe. Etwas unglücklich die Programmreihenfolge. Vor der Pause ein knapp halbstündiges Werk von Saunders aus den Jahren 2013/14 „void“. Nach der Pause Weberns Symphonie op.27 (1927/28) und dann die Variationen für Orchester op.30, kurze, knappe Ausformungen von Verlorenheit, Einsamkeit. Dann eine gefühlte Ewigkeit ein Podiumsumbau, um den Flügel aus dem Keller zu hieven für Saunders‘ eben in Luzern uraufgeführtes „to an utterance“ für Klavier und Orchester. Und dabei hatte man ursprünglich eine Werkfolge programmiert, die diese peinlichen Flügel-Exhumierung vermieden hätte, angekündigt unter einem anderen Dirigenten.

Nicolas Hodges und LFCO. copyright Adam Janisch

Die filigran-pointilistischen Linien Weberns also kontrastiert mit den Klangballungen von Rebecca Saunders. Das könnte man interpretieren als Aussage über Masse und Individuum. Der durchsichtige Klang löst sich bei Saunders immer erst aus einem Cluster. Das Individuum wird nicht wahrgenommen in der Masse, ist zum Verstummen verdammt oder muss sich aus ihr lösen. Musikalisch gesprochen ist diese Dramaturgie leider zu wenig variabel. Auf eine halbstündige Dauer spannend ist das nicht. Aber vielleicht sollte dem/der Zuhörenden diese Botschaft eingehämmert werden. Die Kontrastierung mit Webern jedenfalls war Saunders‘ Wunsch. Immerhin in dem neuen Stück fügt Saunders mit dem Klavier dem Gesamtklang etwas mehr Mobilität hinzu. Der Pianist (Nicolas Hodges) bearbeitet die Tastatur allerdings auch hauptsächlich mit Faust und Ellbogen und rasanten Glissandi. Das frühere Stück empfindet man demgegenüber eher als rasenden Stillstand.

Zu bewundern die Professionalität des sehr jung besetzten großen Orchesters. Viel Beifall für die Beteiligten inklusive der anwesenden Komponistin. Und da die eigentlich fürs Zeitgenössische zuständige MaerzMusik schon seit Jahren unter dem scheidenden Intendanten Oberender nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe diesbezüglich gerecht wird, ist solch ein Konzert ein Event fürs MusikFest.

Fotos: © Astrid Ackermann / Anton Janisch


Intendant Thomas Oberender geht zum Jahresende 2021

dpa 16.06.2021

Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, verlässt seinen Posten zum Jahresende. Er wolle seinen Vertrag als einer der Geschäftsführer der KBB - der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH - und als Festspiele-Chef nicht fortsetzen, teilten die Berliner Festspiele am Mittwochabend mit. „Er hat deshalb um eine Auflösung seines Vertrages gebeten", der erst im November 2020 um fünf Jahre verlängert worden war.“ Der 55-Jährige wolle sich neuen „Herausforderungen“ zuwenden.

Festspiele-Sprecherin Claudia Nola bestätigte, dass er den neuen, ab 1. Januar 2022 geltenden Vertrag nicht mehr antreten werde. Es sei eine persönliche Entscheidung gewesen. Zu den Gründen dafür machte sie keine Angaben. Oberender leitet die Festspiele seit 2012. Zuvor hatte er unter anderem bei den Salzburger Festspielen gearbeitet, bei der Ruhrtriennale oder den Schauspielhäusern Zürich und Bochum.

Die Berliner Festspiele wie die gesamten Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin werden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert, derzeit Monika Grütters, deren Amtszeit nach der Wahl im September 2021 auch enden könnte.

Kommentar: Oberender hat zwar einige positive Änderungen vollzogen, aber etwa im Bereich der Musik, zumal der neuen Musik nichts Positives bewirkt. Das Festival für Neue Musik, die "MaerzMusik" ist zum Palaver verkümmert. Im Bereich Theater ist das Theater-Treffen verkommen zum Schaulaufen von nickligen Eitelkeiten, die nur noch die Macher selbst interessieren und ihren meist flüchtigen Marktwert steigern sollen. Implosion statt Immersion. Änderung tut schon lange not. gfk


Zeit – und wie man sie (er)füllt

Splitter vom Corona-bedingt geschrumpften Musikfest Berlin 2020

25.08.-23.09.2020

Wirklich spaßig sind sie ja nicht: Konzerte in Corona-Zeiten. Die Vorschriften, die man beachten muss; die Leitwege, die man gehen muss – ein bisschen wie Verkehrsunterricht für I-Dötze oder Essengehen in der Ex-DDR oder in traditionsbewussten britischen Restaurants: „Sie werden platziert“. Aber das Wenige an zeitgenössischer Musik, was man in diesem Jahr geboten bekommt – ganz vergessen wollte ich es nicht. Und das Musikfest Berlin der Berliner Festspiele muss ja schon seit geraumer Zeit füllen, was die sogenannte und dafür eigentlich zuständige „MaerzMusik“ nicht mehr leistet: einen Blick in die musikalische Gegenwart.

Joonas Ahonen

Ein Porträt der aus Irland stammenden, in Berlin ansässigen Rebecca Saunders (*1967) steht u.a. auf dem Programm. Das Publikum verliert sich fast im weiten Rund der Philharmonie. Das Konzert I mit den Musikern des Klangforums Wien ist gerade mal eine Stunde kurz. Und doch wirkt es länglich. Saunders arbeitet in den vier hier vorgestellten Stücken im Grunde das immer gleiche Kompositionsmodell ab: ein explosiver Klang-Cluster, und wie dessen angestoßene Farb-Wellen auslaufen. Am prägnantesten ist das in der uraufgeführten „to an utterance – study“ für Klavier. Joonas Ahonen, der Pianist, hämmert dazu (mit durch Gleitschonern geschützten Händen) Glissandi oder Cluster in die Tasten, und spürt (mit dem dritten Pedal) deren Echowirkung nach – eine beliebte Oberton-Spektralklang-Technik seit spätestens den 1970iger Jahren.

Oder zum Auftakt gibt es „Flesh“ für Akkordeon (Krassimir Sterev), das an die von Gerd Zacher einst virtuos zelebrierten Orgelstücke von Mauricio Kagel und György Ligeti erinnert. Da wird ein fff-Clusterakkord angeschlagen, und durch das Verebben des Schalldrucks werden die nachklingenden Obertöne erlauschbar. Im anschließenden Trio „Sole“ ist noch ein Flügel einbezogen, was ein bisschen an Cage’s Im-Klavier-Spielen erinnert. Nach dem gleichen dramaturgischen Muster gearbeitet ist das abschließende „Scar“ für die 15 Instrumentalsolisten des Klangforums. Am eindrücklichsten hier noch die virtuos-elegante Zeichengebung des Dirigenten Emilio Pomàrico.

Marco Blaauw

Am Beginn des Konzerts I der Musikfabrik unter Peter Rundel steht ein Kompositionsauftrag des Musikfests. „Either“ für zwei Trompeten ist der Titel. Das Stück wirkt wie eine dramaturgisch umgekehrte Version. Marco Blaauw und Nathan Plante sind die Solisten. Ihre Trompeten haben zwei Schalltrichter, an einem ist jeweils ein Stopfer zur Nuancierung angelegt. Die Spektren entfalten sich hier meist aus einem leisen lang gezogenen Ton. Das antwortende Instrument imitiert dann oft einen Halbton höher oder tiefer. Es gibt auch virtuose Wirbel oder rasche Glissandi. Aber insgesamt – bei 21 Minuten Gesamtdauer – ist da doch viel Leerlauf. Anton (von) Webern fällt einem ein und welche Tugenden er einst in die neue Musik einbrachte.

Die anderen beiden Stücke dieses Konzerts mit dem Ensemble der Musikfabrik („Fury II“ und „dichroic seventeen“) verstärken den Eindruck eines rasenden, auf der Stelle stampfenden Stilstands. Aber vielleicht ist das ja ein aktueller Ausdruck dieser unserer sehr speziellen Zeit.

Fotos: © Monika Karczmarczyk


MaerzMusik 2020 ausgefallen wegen Coronavirus-Pandemie

Das vorgesehene Programm war leider ohnehin nicht besonders aufregend - leider nicht verwunderlich, da die gegenwärtige Leitung dies Festival neuer Musik in den letzten Jahren mehr und mehr an die Wand gefahren hat. Ein Forum für junge Komponist*innen, das es mal sein sollte, ist es längst nicht mehr, eher ein Jahrmarkt für - ja was eigentlich ... ?


Iron Road Movie

Beethoven, Berlioz, Lachenmann u.a. beim Musikfest Berlin 2019

30.08-19.09.2019
(ausgewählt Konzerte vom 31.08.-06.09.19)

Ein toller Auftakt sollte das werden: Sir John Eliot Gardiner mit dem „Orchestre Révolutionnaire et Romantique“ erstmals in Berlin. Der Klang der historisierenden Instrumente: toll. Sogar eine Bass-Ophikleide, die Vorform der Bass Tuba, ist mit dabei. Sie klingt pfeffriger, „ordinärer“ könnte man auch sagen, als das spätere, voluminösere Instrument.

Aber warum Berlioz? Er hat heuer ein Jubiläum, 150 Jahre tot, und er ist dank seiner Instrumentallehre eine Ikone der Musikinstrumenten-Kunde des 19. Jahrhunderts. Aber warum seine frühe Oper „Benvenuto Cellini“? Man bekommt sie fast nie auf heutigen Musiktheater-Bühnen zu sehen. Ist vielleicht auch ganz gut so. Prickelnd ist der Stoff nicht. Und warum dieses prekäre „halbszenisch“?

Wer für diese Einrichtung verantwortlich zeichnet, lässt sich in dem Programmheft nicht herausfinden. Vielleicht hat man den Namen auch aus Scham verschwiegen. Das wäre noch eine nette Erklärung. Dass man so ein Gehopse, Arm-Recken, Grimassieren und Chargieren im 21. Jahrhundert auf die Bühne der Philharmonie lässt, ist allerdings ein Skandal.

Berlioz war ja gewiss kein Theater-Freak. Aber von dem Dilettantismus dieser „Aufführung“ hätte wohl auch er schaudernd sich abgewendet. Dabei waren die Stimmen von Solisten und Monteverdi-Chor so exzellent – zumal der Tenor Michael Spyres als Cellini und die Sopranistin Sophia Burgos als seine Geliebte Teresa –, dass es keiner weiteren „Theatralisierung“ bedurft hätte.

Eine andere Enttäuschung die Begegnung mit Louis Andriessens (*1939) zum 125-Jahrjubiläum des Concertgebouw Orchester Amsterdam komponierten „Mysteriën“. Der Titel bezieht sich auf eine mittelalterliche Frömmigkeitslehre des niederländischen Mönchs Thomas a Kempis. Unter der Leitung von Tugan Sokiev kamen die zur Deutschen Erstaufführung.

Andriessen, mal einer der bedeutendsten holländischen Avantgardisten komponiert hier Mixtur- und Clusterklänge unterschiedlicher Art, oft mit einem an mittelalterliche Gesänge erinnernden Metrum. Gelegentlich hört man Anklänge an den späten Stockhausen, aber auch an Messiaen oder Mahler. Zur Versenkung in Gott sollen diese in sechs Teile gegliederten Klänge anregen. Ein bisschen wirkt es eher wie eine Schulmeisterei – oder auch seine Unerfahrenheit im Umgang mit großen Symphonie-Orchestern; die nämlich hat er bisher gemieden.

Interessantestes Werk im Konzert des Ensembles Modern auch nicht Andriessens „De Stijl“ sondern ein sozusagen Klassiker, Edgard Varèses „Déserts“ (aus den 1950iger/60iger Jahren) mit seiner aufreizenden Rhythmik, den virtuos geschärften Clustern und manchmal einer energiegeladenen repetitiven Metrik, die gelegentlich an Steve Reichs Ensemble-Musiken denken lässt.

Schließlich das Klavier-Recital des ständigen Musikfest-Gastes Pierre-Laurent Aimard mit Helmut Lachenmanns „Serynade“; die experimentiert ebenfalls mit verschiedenen Klangschichtungen, Halte- und Echotönen. Und davor zur Einleitung quasi des „Beethoven-Jahrs“ die Hammerklaviersonate (op. 106 B-Dur, von 1817-19). Sehr scharf akzentuiert erklingt sie, mit erstaunlichen Rubati zumal im ersten Satz und den oft überraschenden, fast schon romantischen Harmonie-Wendungen. Gelegentlich, zumal im dritten choralartigen Satz hätte man sich einen noch weicheren Anschlag gewünscht. Im Ganzen aber eine beeindruckende Aufführung.

Geplant ist auch noch unter anderem die Rekonstruktion eines Abel-Gance-Stummfilms „La Roue“ (Das Rad) mit der Musik von Arthur Honegger, ein frühes gleichsam Iron-Road-Movie mit Musik von Arthur Honegger und Paul Fosse, die das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin spielt und viel Sitzfleisch und eckige Augen verlangt: acht Stunden. Der deutsch-französische TV-Sender arte bringt später im Oktober eine Aufnahme davon mit vielleicht publikumsfreundlicherer Zeiteinteilung.

Geschichtssuche

Auftakt zur „MaerzMusik“ 2019

22.03.2019

Frederic Rzewski

Ein alter Herr, schon fast 81 Jahre alt, tritt mit einem dicken Stapel Papieren unterm Arm an den Flügel. Setzt sich schon, steht wieder auf, dreht sich im Kreis: ob man das hört, dieses Geräusch? Ob man das nicht abstellen kann. Das brauchen wir, damit wir nicht ersticken, tönt es aus den ihn umgebenden Zuhörer-Reihen. Wäre schon schön, es abzustellen, beharrt er und fängt dann doch an, kräftig in die Tasten hauend mit seinen Variationen über „The People United Will Never Be Defeated“, die Hymne der chilenischen Linken in den 1970iger Jahren.

Man wundert sich, dass der US-Amerikanische Komponist Frederic Rzewski überhaupt noch damit selbst aufs Podium steigt. Das Stück komponierte er 1975 und trug es damals schon gleich in Berlin bei einem der „MetaMusik-Festivals“ – kraftvoller Vorläufer der heutigen dünnflüssigen „MaerzMusik“ – vor. Immerhin gibt’s auch einige virtuose Passagen in dem ausufernden Variationen-Werk. Aber das Tempo ist doch deutlich verlangsamt. Ca. 55‘ dauerte Rzewskis opus magnum ursprünglich, jetzt braucht er 90‘, davon geschätzt ein Drittel der Mehr-Zeit fürs Umblättern der Lose-Blatt-Noten. Denn das macht er selbst und setzt jeweils für ein paar Sekunden den Fluss der Musik aus.

Damals war das wirklich ein bahnbrechendes Werk, auch ein bisschen Eislers „Vorwärts und nicht vergessen“ klingt da gegen Ende immer wieder durch. Es war ein Bekenntnis zu der links-demokratischen Bewegung im Chile Salvador Allendes und der antifaschistischen Bewegung weltweit. Und es markierte zugleich eine Abkehr der damals jüngeren Komponisten-Generation von ihren Lehrern. Hier speziell Karlheinz Stockhausen, auch wenn einiges noch an seine seriellen Klavierwerke erinnert. Aber an diesem Abend wirkt Rzewskis Spiel mehr wie ein Suchen nach der Vergangenheit, auch pianistisch – wenn man das in aller gebotenen Ehrfurcht sagen darf.

Horatiu Radulescu

Das zweite Werk des Abends, „Clepsydra“ des Rumänischen Komponisten Horaţiu Rădulescu (1942-2006), ist da weit weniger prickelnd. 16 Flügel, zur Seite geneigt aufgestellt (hier konnte man immerhin acht Klaviere zusammenkarren) und präpariert, werden da an den Saiten angeschlagen, mit Geigenbögen oder Stricken angestrichen, bearbeitet. Ein grummeliger Klang entsteht, aus dem sich dann ein Grundton mittels Überlagerung herausbilden soll. Es ist einer der Versuche Rădulescus auf seinem Weg zum Spektralklang: Sehr experimentell und leider wenig sinnlich. Schön aber, mal daran erinnert zu haben. Und es lagert ja noch vieles mehr in den Speichern.

Überhaupt geht es der fünften Ausgabe der „MaerzMusik“ – mit dem unter der Maßgabe von Berno Odo Polzer einschränkenden Untertitel „Festival für Zeitfragen“ – um Geschichtliches. Die Zahl der Konzerte ist auf wenige Positionen zusammengeschnurrt. Gespart wurde dafür nicht am ausufernden Talk-Programm mit seinen  schwergewichtigen Themen. Auch nicht am Mitternachts-30-Stunden-Marathon im heimeligen Kraftwerk Mitte. Um den jüngeren Besuchern etwas zu vermitteln, was in der Szene mal vorging, hat man TV-Mitschnitte von Avantgarde-Veranstaltungen der letzten 70 Jahre aus den Archiven geholt – DDR inklusive, ja auch dort wurde gelegentlich das Fernsehen aktiv – und präsentiert die auf 5+1 Monitoren in der ehemaligen Leichenhalle „silent green“. Hoffentlich werden die Besucher heute ja nicht neidisch auf das, was da mal abging im Vergleich zu den blumig umschriebenen, mehr oder minder Nickligkeiten-Now.

Eigentlich wäre die ganze Veranstaltung ja ein Fall für die Festspiele-Leitung. Aber die hat andere Prioritäten immersiver Geschichtssuche. Das MaeMu-Logo ist sicherheitshalber schon in eine Seifenblase verpackt.

Foto: © Camille Blake


Spreu & Weizen

Das Musikfest 2018
mit einem Stockhausen-Schwerpunkt

31.08.-18.09.2018

Der Vorabend, eine Klavier-Session mit dem russischen Pianisten Alexander Melnikov. Im Debussy-Gedenkjahr (150. Geburtstag) ist er gebeten zu den „Préludes pour piano“. Fast zeremoniell sein Auftreten im schwarzen Stehkragenrock. Demütig blickt er zu Beginn und zwischendurch immer wieder nach oben, wie sich seiner Eingebung versichernd. Er spielt an einem eigenen, wieder aufgearbeiteten historischen Erard-Flügel. Etwas schwachbrüstig klingt der im Kammermusiksaal der Philharmonie gegenüber den gewohnten Steinways. Aber durchaus im Sinne des französischen Komponisten. Und der Klang des Instruments tut etwas zu dem, was Melnikov offenbar weniger liegt: Empathie. Eher kalt, aber durchaus hochvirtuos ist sein Spiel. Als Notenstütze hat er ein kleines Tablet. Als Zugabe spielt er nochmal das bekannte „Mädchen mit dem flachsblonden Haar“. Insgesamt ein etwas gekünstelt wirkender Abend – ganz im Gegensatz zu der angenehm unprätentiösen Matinee mit Florent Boffard und seinem gemischten Debussy-Skrjabin-u.a.-Programm später.

Pierre-Laurand Aimar

Ein Kontrast in sich das Konzert mit dem Ensemble Modern unter Enno Poppe. Im ersten Teil reihen die Musiker einige der ja überaus konzisen Piecen von Anton Webern (von op.8 bis op.30) wie an einer Perlenkette auf. Insgesamt wirkt diese Musik heute aber doch merkwürdig starr, am berührendsten noch die Bagatellen op.9: aus der vor-dodekaphonen Periode. Leider hat man auch mehrere Lieder im Programm, und leider mit einer Sängerin (Caroline Melzer), deren Gesangs-Stil so gar nicht zu Weberns kristallklarem Kompositions-Stil passt. Viel Vibrato, viele angeschliffene Töne. Einige Unsauberkeiten. Die Umkehrung dann: Matthias Spahlingers „passage/paysage“, ein Auftragswerk einst (1990) für Michael Gielen und das SWR-Sinfonieorchester. Eine Orgie von Tuttiklängen in größtmöglicher Besetzung. Dann ein Vertropfen und Wieder-Ausfransen. Vierzig etwas lange Minuten. Eigentlich wären solche Konzerte eher Sache der „MaerzMusik“. Aber die hat sich ja von ihrer eigentlichen Aufgabe in einen Schwatzverein verabschiedet.

Von den Konzerten angereister Symphonieorchester war neben etwa Andris Nelsons und dem Boston Symphony Orchestra mit einer gefeierten Mahler-Dritten vor allem das Gastspiel aus München mit den Philharmonikern unter Valery Gergiev interessant. Die „Ekklesiastische Aktion“ (1970) des ebenfalls Jubilars Bernd Alois Zimmermann (100. Geburtstag) allerdings wirkt doch merkwürdig fremd heute mit ihrem emphatischen Endzeit-Prediger-Ton. Damals wohl der Atomgefahr geschuldet, hat die Technik des melodramatischen Sprechgesangs mit Textverdoppelung per Sprecher und viel Posaunen-Getöse einigen Rost angesetzt. Textverdeutlichung etwa wäre heute leicht mit Overheadprojektionen möglich. Das andere Endzeitwerk, Bruckners dem lieben Gott gewidmete Neunte, kam bei Gergiev einigermaßen pauschal über die Rampe. 60‘ brauchte es bei ihm nur. Die legendären Celibidache-Bruckner-Gottesdienste musste man schmerzlich vermissen.

Zum Abschluss dann der Stockhausen-Komplex. Am lehrreichsten noch der Klavierabend mit Pierre-Laurand Aimar (bewundernswert, wie grandios dieser Pianist sein Riesen-Pensum insgesamt bewältigte) und den 11 Klavierstücken. Da konnte man verfolgen, wie sich Stockhausens Technik immer mehr entwickelte. In den frühen Stücken (1952/53) das fast penetrante Buchstabieren der seriellen 12-Tontechnik, bis sich in Nummer VI (1954/55) ein freierer Umgang zeigt und zu höchster Virtuosität sich steigert in Nummer X (1954/61). In der elektronischen „Telemusik“ (1966) dann erkennt man die Vorboten zu einer kommerzialisierten Starwars-Filmmusik. In „Mantra“ (1970) für 2 Klaviere das Abschweifen ins Meditative. Im als Höhepunkt gedachten „Inori“ (1973/74) der peinliche Versuch mit dem Theatralischen. Zwei Tänzer (eine Frau, ein Mann) müssen zum Takt der Musik auf einem flügelähnlichen Podest parallele Gebetsgesten absolvieren. Im vollbesetzten Orchester Minuten lang ein Ein-Ton-Trompeten. Erst gegen Ende werden die Musiker zu mehr als Repetitionen bemüht. Und dennoch werden sie eigentlich permanent unterfordert, während die beiden Protagonisten mit aber immer Gleichem 60‘ lang überfordert werden. Gebet? Öde.

Im frühen „Gesang der Jünglinge“ hatte der Kürtener Meister mit viel einfacheren Mitteln wesentlich Eindringlicheres geleistet. Hier kann man den Gedanken an ein qualvoll-permanentes Abarbeiten der eigenen Familiengeschichte Stockhausens (in einem autoritären Elternhaus mit einem Nazi-Vater, der seine Frau den Schergen des NS-Euthanasie-Regimes preisgab) nicht los werden. Und eine andere überraschende Erkenntnis: die Stockhausen-Konzerte wurden überwiegend von älterem Publikum besucht, nicht von jungen Leuten, die diese Musik vielleicht mal kennenlernen wollten. Stockhausen scheint für Ältere ein Teil ihrer Jugend-Sozialisation. Und indem man sich seiner früheren Erfahrungen versichert, lernt man die Spreu vom Weizen trennen. Was durchaus auch für den Schreiber gilt.

Foto: © Adam Janisch

MaerzMusik 2018 -
kein Kommentar mangels Masse


Odysseus auf der Suche
nach Gott und Kaiser

Bruckner und anderes beim Musikfest 2017 Berlin

31.08.-17.09.2017


Als Sternstunde in die Annalen eingehen dürfte dieser Musikfest-Jahrgang sicher nicht. Jedenfalls nicht in meine, zu dürftig die Ideen. Freilich die meisten Finanz-Ressourcen hat wohl die Einladung an Sir John Eliot Gardiner gefressen. Der wollte den 450.Geburtstag Claudio Monteverdis feiern mit der konzertanten Aufführung seiner drei überlieferten Opern, „L‘Orfeo“, „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ und „L‘incoronazione di Poppea“ und damit den Namensgeber des von ihm gegründeten Chores, aber letztlich sich selbst. Als vor Jahrzehnten Nikolaus Harnoncourt diese Musik mit seinem Concentus Musicus und dann dem Zürcher Opernhaus wiederentdeckte, war das eine Tat. Heute sind Monteverdi-Opern gern aufgeführte Werke in jedem besseren städtischen Theater. Und dort in wirklichen Inszenierungen. Gardiner konnte nur sogenannte „halbszenische“ Aufführungen anbieten, auf die ich dann doch lieber verzichtete.

Saunders: YES

Immerhin gab es aber etwa einige herausragende Orchesterkonzerte und die Uraufführung eines eigentlich abendfüllenden 75-minütigen Werks. Dies stammt von der englischen Komponistin Rebecca Saunders (geb. 1967). Aber leider wurde der Abend unerträglich in die Länge gezogen durch einige öde Stücke von Sir Harrison Birtwistle – die denn auch viele Besucher in die Flucht trieben. Saunders‘ „Yes“, angekündigt als „räumliche Performance für Sopran, 19 Solisten und Dirigent nach dem letzten Kapitel aus ‚Ulisse‘ von James Joyce“, wurde aufgeführt vom Ensemble Musikfabrik in der kleinen Philharmonie. Es ist ein Werk, das vor allem die Räumlichkeit des Aufführungsortes nutzt. Die Musiker, die Sängerin (Donatienne Michel-Dansac) und der Dirigent (Enno Poppe) agieren an wechselnden Orten in dem Rundbau und auch immer wieder zum Pausieren vom Podium verschwindend dazwischen. Der raumakustische Ertrag dieses Wandelkonzerts ist aber relativ bescheiden. Saunders wollte wohl „analog“ replizieren, was einst Karlheinz Stockhausen mit seinen Multikanal-Einrichtungen elektronisch ungleich wirkungsvoller herstellen konnte. Insofern vermittelt sich vor allem Unruhe. Oder sollte die vielleicht den Joyce’schen Odysseus charakterisieren?

L.Kavakas_R.Chailly_FilarmonicaScala

Eröffnet wurde das Musikfest diesmal mit der heimischen Staatskapelle unter Daniel Barenboim und Bruckners dem Kaiser Franz-Joseph I gewidmeten Achten Symphonie. Großer Atem und eher gemessene Tempi zeichnen Barenboims Interpretation aus, wobei die Brucknerschen Aufgipfelungen der Klangmassen ebenso klar herausgearbeitet werden wie die sehr zarten lyrischen Teile. Eindrucksvoll auch die dem lieben Gott gewidmete Brucknersche Neunte, die das Amsterdamer Concertgebouworkest unter Daniele Gatti spielte. Die schroffen Übergänge wie auch die fast ins Nichts verendenden Melodie-Floskeln des Adagios kamen hier sehr prägnant zur Geltung. Im Konzert des Orchesters der Mailänder Scala unter Riccardo Chailly hörte man neben Brahms‘ Violinkonzert (so kraftvoll wie sensibel gespielt von Leonidas Kavakas als Solist) kürzere Piecen von Giuseppe Verdi. Schillernd die Ouvertüre zu „Les Vêpres siciliennes“ („Die Sizilianische Vesper“), gefolgt von zwei Abschnitten aus den seltsam homophonen „Quattro Pezzi Sacri“ (mit dem Rundfunkchor Berlin). Ein eher ausgefallenes Programm. Ihre ganze Klangpracht und interpretatorische Brillanz allerdings entfalteten die Italiener mit ihrer Zugabe, Verdis Ouvertüre zu „La forza del destino“ („Die Macht des Schicksals“). Hier arbeitet Verdi die verschiedenen Motive auch wunderbar durch, wo er in den „pezzi sacri“ eher nebeneinandersetzt, montiert – Hinweis darauf, dass ihm das „Heilige“ doch eher fern, der kalte Tod aber ziemlich nah war.

Fotos: © Kai Bienert

Maerzmusik wohin?

Die Ausgabe 2017 vom 16.-26.03.

Besucht: Konzerte im Zeitraum 16.-23.03.2017

Auftakt im großen nach beiden Seiten geöffneten Saal des Hauses der Berliner Festspiele mit einem Komponisten, dessen Namen man wohl kaum je gehört hat: Julius Eastman. Vorgestellt wird er als ein Schwarzer, aktiv in der Bürgerrechtsbewegung und in der Gay Community. Ästhetisch verankert bei Cage, im Jazz, in der New Yorker Szene. Die Musikstücke, die man zu hören bekommt nennen sich „Evil Nigger“, „Gay Guerilla“, „Crazy Nigger“. Sie stammen aus den Jahren 1978/79. Gespielt werden sie an vier und mehr Klavieren.

Es ist Musik, beeinflusst von der Minimal Music, der repetitiven Abteilung. Die vier Pianisten hämmern mit oft konstanten Metren oder Rhythmen in die Tasten. Bei „Evil Nigger“ hört man immer mal einen wiederkehrenden Bordun-Bass, wie eine Kadenz, bei „Gay Guerilla“ den Luther-Choral „Ein feste Burg“, bei „Crazy Nigger“ wird das Spielerpersonal erweitert. Die Polyphonie ergibt sich zum Teil aus den Obertönen. Die Harmonik ist ähnlich wie bei Charles Ives übereinander geschichtet. Die scheinbare unmerklich sich verändernde Monotonie könnte einen in Trance setzen. Spätestens draußen an den computerisierten Ausstellungsvideos – ohne geht’s wohl nicht mehr – verflüchtigt sich die.

Julius Eastman an 4 Klavieren

Die MaerzMusik 2017, die dritte des Berno Odo Polzer, will vor allem vergessene Komponisten des 20.Jahrjunderts präsentieren. Etwas zurückgedrängt, auch wenn das öffentlich nicht thematisiert wird, ist die interdisziplinäre Allerwelts-Weisheits-Vermittlungs-Bude „thinking together“. Offenbar gab es nach der vielen Kritik daran doch einen Wink von oben das zurückzufahren. Schließlich soll dies ein Festival sein, das der an den Rand gedrängt zeitgenössischen Musik ein Forum öffnet, nicht eines der unendlichen Talkrunden.

Als Eröffnung am Vorabend steht mit „The Electric Harpsichord“ eine Art Lounge-Konzert auf dem Programm. Die Komposition aus den 1970iger Jahren stammt von der schwedisch-amerikanischen Klangkünstlerin Catherine Christer Hennix. Sie lebt in Berlin-Neuköllln, hat in den 60iger Jahren bei einigen Avantgarde-Größen wie Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen studiert, orientierte sich dann bei La Monte Young und dem Raga Meister Pandit Pran Nath und ging weiter zu Studien der Gagaku- und der frühen Renaissancemusik.

Was man in dem zu einem Kulturraum umgestalteten ehemaligen Krematorium „Silent Green“ in Wedding zu hören bekommt, ist Minimalmusik der schlichteren Art. Über Bordun-artigen Bässen zu hören ein Geflimmer und Gewisper gurgelnd-blubbernder Synthesizer-Töne. Man konsumiert die am besten in liegend-schlafender Haltung, wie es das Publikum in dem Andachts-Oktogon auf Teppichen zumeist auch tat. Die Suggestivkraft dieser Komposition erreicht allerdings bei weitem nicht die etwa der Ensemble-Musiken von Steve Reich. So wandern schon nach fünfzehn Minuten die ersten Besucher ab. Mit einer neueren Komposition ist Hennix im Verlauf des Festivals noch einmal im Programm.

Ein weiterer Abend ist mit einem Video u.a. Charlemagne Palestine gewidmet. Ich erlebte in den 1970iger Jahren ihn mit einer Session bei den legendären Bremer Tagen für neue Musik, als er an einem Flügel einzelne Töne anschlug oder besser gesagt anhämmerte (Eastman hat davon offenbar gelernt) – und man dann den mitschwingenden Obertönen nachlauschen konnte. Das Video, das hier eingespielt wird, zeigt eine mit Handkamera aufgenommene rasante Motorradfahrt über Schotterstraßen in Island. Düsteres Wetter, hier und da ein Haus, ein Dorf. Das Motorengeräusch: ohrenbetäubend, und darüber einzelne gelallte Laute wie Okay oder indianisch klingende Gesänge. Zuletzt zu Fuß, schon fast im Dunkeln, endet die Rallye an einem Leuchtturm. Auf seine Weise waren diese 30 Minuten faszinierend, wenn auch manchen vielleicht nervend. Jedenfalls sehr authentisch.

Das konnte man von dem zweiten Teil des Abends nun gar nicht behaupten. Der gehörte Eva Reiter, einer jazzig animierten Sängerin, die eher in Science Fiction Formate passt. Sie arbeitet mit elektronischen Verfremdungen und der elfköpfigen „Ictus“-Band, raunt, intoniert, mümmelt Texte (von Lichtenberg!), lässt ein bisserl Licht dazu aufblenden. Gegen Ende steht sie auf ihrem hohen Podest im roten Lichtkegel, was wohl magisch wirken sollte. Tut’s aber nicht. Reiter wurde im Vorfeld anempfohlen als besonderes, kommendes Talent. Viel davon zu merken ist an dem Abend nicht. Das Ganze war recht angeschafft, aufgesetzt, sollte wohl irgendwie ober-cool wirken, und bleibt doch ganz und gar äußerlich.

Ein anderer „Ausgegrabener“ dieses Festivals: Walter Smetak. Dieser gebürtige Schweizer Cellist und Komponist mit tschechischen Wurzeln wanderte in den 1930iger Jahren nach Brasilien aus. Bekannt wurde er als Klangtüftler und Instrumentenbauer. Mit vielerlei lokalen Materialien bastelte er diverse Streich- und Zupfinstrumente, u.a. eine Art Kürbis-Cello. „Re-inventing Smetak“ war der Abend des von Vimbayi Kaziboni geleiteten Ensemble Modern getitelt. In einem Film konnte man Smetak auch auf diesen selbst geschaffenen Instrumenten allein sowie mit einer Gruppe streichen und zupfen sehen und hören. Es klang eher rau und roh. Mehr als ein Hinweis war das nicht.

Und auch nicht, was als Rahmen-Programm in dem Konzert des ja immerhin renommiertesten deutschen Neue-Musik-Ensembles im Haus der Berliner Festspiele zu hören war: Zum Auftakt etwa „…tak-tak…tak…“ (2017) von Arthur Kampela: ein räumlich konzipiertes Stück mit diversen Schlaginstrumenten, das auch schön räumlich exekutiert wurde. Benutzt wurden da etwa bloße Haushalts-Utensilien wie eine Bohrmaschine, die zu Klanginstrumenten „geadelt“ wurden. Alles nicht so furchtbar originell. Oder von Liza Lim gab es eine „Ronda“ mit drei Blechblasinstrumenten (teilweise ersetzt durch Gummischläuche mit Plastiktrichter), halbwegs lustig. Aber weltbewegend gewiss auch nicht.

Die 30-Stunden-Nacht im kalten Kraftwerk habe ich mir erspart – Quantität ersetzt nicht Qualität –, wie auch das „together“-Geschwätz. Es sind Ausflüchte um zu verbergen, dass die Leitung mit ihrer eigentlichen Aufgabe „neue Musik“ zu präsentieren bzw. zu inspirieren nichts anzufangen weiß. Dass man den Besuchern, jüngeren Menschen und gealterten Jungen, diesen Diskurs verweigert, zeigt auch die Tatsache, dass fast keine Hintergrund-Information außer den dürftigen Laufzetteln und dem schmalen Programm-Büchlein mehr an die Hand gegeben werden – wo man anfangs mit kleinst-gedruckten, fast unleserlichen Texten von vielen grauen Buchstaben auf viel grauem Papier gleichsam zugeschüttet wurde.

„Festival für Zeitfragen“ nennt sich der Frühjahrs-Event der Berliner Festspiele im Untertitel. Die eigentliche Zeitfrage wäre wohl: MaerzMusik, wohin? Gewiss es ist schwer heute, ein spannendes Festival zu kreieren. Aber so viel selbstgefälliger Leerlauf müsste auch nicht sein.

Foto: © Camille Blake


München leuchtet
(mal nicht schwarz)

Die drei Spitzenorchester der Bayerischen Landeshauptstadt beim Musikfest Berlin

02.-20.Sept. 2016

Kirill PetrenkoDas war wohl das Konzert, auf das man besonders gespannt war: Kirill Petrenko, der designierte Chef der Berliner Philharmoniker, mit seinem derzeitigen Ensemble, dem Bayerischen Staatsorchester. Und es war ein Konzert, das allerhöchste Erwartungen erfüllte: wie bei György Ligetis „Lontano“ (1967) die feinnervigen Farbwechsel der Klänge im Geiste von Schönbergs Farbenstück opus 16/3, gleichsam aus dem pppp-Nichts kommend; wie bei Béla Bartóks sehr rarem, erst spät überhaupt bekannt gewordenem „Konzert für Violine und Orchester Nr.1“, eine Liebeserinnerung, beginnend wie ein fast melancholisches In-die-Ferne-Hören der Solo-Violine (Frank Peter Zimmermann) und dann im zweiten Satz die immer wieder rhythmisch-tänzerische Erregtheit des ganzen Ensembles. Schließlich bei Richard Strauss‘ etwas patriarchalisch anmutender „Symphonia Domestica“, in der das Orchester seine volle Farbpracht entfalten konnte und Petrenko mit wahren Schaukünsten der Zeichengebung und Akzentsetzung ein höchst modern anmutendes Klanguniversum entfaltete. Schon das ein Genuss.

Eingebettet war dies Konzert in einen Dreiklang der Münchener Orchester mit dem des Bayerischen Rundfunks zum Auftakt. Mutig war es, das Berliner Musikfest mit Wolfgang Rihms über dreißig Jahre altem Poème dansé „Tutuguri“ zu eröffnen. Das Werk, einst von Götz Friedrich für die Deutsche Oper in Auftrag gegeben und inszeniert als abendfüllendes Ballett, hat es, was den erforderten Orchesterapparat anlangt, in sich. Und das BR-Symphonie-Orchester unter Daniel Harding kann man nur bewundern für die Präzision und den Klangreichtum, mit dem die Musiker das über zweistündige Opus aufführten. Aber ist es wirklich ein Werk, das für den Konzertsaal taugt?
Eher nicht. Rihm macht mancherlei Anleihen, etwa bei Strawinskys Tanztheater-Stück der Moderne schlechthin „Le sacre du printemps“ mit seinen stampfenden Anfangs-Rhythmen, aus denen sich das Werk aufbaut. Bei Rihm aber entwickelt sich nichts. Rihm setzt in seinem Orchesterklang auf möglichste Abwechslung in kurzen Partikeln. Lediglich Perioden mit Repetitionen gibt es immer wieder, oder es gibt das grandiose Ensemble der Pauken und Trommeln im ersten Teil – und dann zum Schluss, der allein ihnen gehört. Das Stück beginnt „trocken“ mit einem wild gestikulierenden Schauspieler Graham Forbes Valentine und seinen Tiraden. Im zweiten Teil kommen dann auch noch chorische Stimmen dazu (hier vom Band). Zudem weitet sich das Orchester mit vier im Raum platzierten großen Tamtams. Auch der Schauspieler wandert. Einen Konzertabend trägt es nicht.

Grandios der Klang, den die Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev bei Dmitri Schostakwitschs Vierter Symphonie (c-Moll, op. 43, 1935/36) entfalteten. Mit voller Geigenbesetzung war auch dies Orchester podiumfüllend angetreten. Schostakowitschs Vierte ist die Symphonie, die er angesichts der stalinistischen Angriffe zunächst zurückzog, deren Partitur dann „verloren ging“ und die Schostakowitsch „rekonstruierte“. Erst in der Tauwetter-Zeit konnte diese Vierte uraufgeführt werden. Gergiev ließ sie spielen mit der vorgespannten Sinfonie Nr. 3 „Isése Messija, Spasi nas!“ von Galina Ustwolskaja, die Schostakowitsch als eine der wichtigsten Komponist*innen neben ihm in der damaligen Sowjetunion schätzte. Allerdings musste das Publikum 18 Minuten warten, bis Gergiev mit dem Rezitator Alexei Petrenko auf dem Podium eintraf. Warum?
1995 konnte die St. Petersburger Komponistin Ustwolskaja, lange im Westen ein Geheimtipp, erstmals ins westliche Ausland ausreisen. Auf Einladung von Reinbert de Leeuw kam sie nach Amsterdam. Gergiev leitete damals mit dem Concertgebouw Orchestra die Uraufführung dieser Sindonie. Das Werk, gespielt mit Bläsern, Kontrabässen und Trommeln, gleicht in seinem dumpfen Kondukt eher einer Totenmesse mit (wohl) Gottes-Anrufungen des obligaten Sprechers, der Texte des Herrmann von Reichenau (1013-1054) rezitiert, hier in russischer Sprache. Demgegenüber wirkt Schostakowitschs oft an Mahler anknüpfender episodischer Klanggestus der ständigen Wechsel wie ein hochartifizielles Produkt mit gelegentlichen lyrischen Ausblicken. Gewaltig die pompöse Schlussapotheose in D-Dur, die dann aber doch nach Moll zurückgenommen wird.

München leuchtet, mal ausnahmsweise nicht schwarz, und das beim Musikfest Berlin.

Foto: © Monika Rittershaus


Heilschlaf?

Das zweite „Zeitfragen“- MaerzMusik-Festival (Nr.15) mit Blick ins digitale Universum

12.-20.März 2016 (Zeitraum: bis 17.03.16)

Als Festival für ZEITFRAGEN versteht der neue, aus Österreich stammende Leiter Berno Odo Polzer die „MaerzMusik“. Musik, neue Musik, hat sich verkrochen in die Ritzen und Ränder, ist zur Nischenerscheinung geworden wie generell in der öffentlichen Wahrnehmung. Stattdessen: talken, talken, talken. Luftblasen, Rauchwolken.

Marino Formenti & friends

Gleich das Eröffnungs-„Konzert“ mit dem Pianisten Marino Formenti machte das klar. Eine Klavier-„Party“ wollte das viel lieber sein. Das Publikum konnte sich lässig in Sesseln oder auf Matratzen um den Flügel herum niederlassen, oder auch konventioneller in den Sesseln des Parketts oder auf den ansteigenden Bankreihen in der geöffneten Hinterbühne.

Und der Pianist wollte nicht wirklich ein Programm spielen, sondern sich mit den Besuchern unterhalten, sie neben sich auf dem Klavierschemel Platz nehmen lassen oder Anfragen nach Musikstücken von ihnen entgegen nehmen. Selber begann er mit einer Cluster-schweren Klaviersonate der Galina Ustwolskaja und als pfiffigem Kontrast einem hauchdünnen Gespinst von Franz Liszt.

Laut Programmzettel sollte mit dieser Konzert-Party die Distanz zwischen Interpret und Publikum überwunden werden. Oder in dem geschwollenen Deutsch Formentis sollte das Publikum eingeladen werden, „den Zwischenraum, den wir Musik nennen, als solchen zu erfahren“. Ich habe dann ziemlich bald zu der laut Programm angebotenen Option – neben Schlafen, Kuscheln, Langweile – „Ignorieren“ gegriffen. Fokussieren, ebenfalls „erlaubt“, war in solchem Ambiente nicht möglich.

Vor allem wird auf diesem Festival also nachgedacht: „Thinking together“ heißt das neudeutsch. Geredet wird, laut Ankündigung, über so drängende Fragen wie das digitale Ganze. Nun ja. Immerhin durfte man auch da die Option „Ignorieren“ wählen. Beim Thema Computermusik, die bei Lejaren Hiller vor fünfzig Jahren schon öde klang, habe ich den nämlichen Knopf gedrückt.

Von der wenigen bedenkenswerten Musik könnte man die Variationen der Schubertschen „Winterreise“ von Bernhard Lang nennen, „The Cold Trip“. Oder, mit starken Abstufungen, das „Artificial Environment No. 8“ für Klavier und Tonband von Joanna Bailie, eine Art Einhören in Viertelton-Schwebungen. Streckenweise, zumal in den Stücken mit Instrumental-Ensemble, klang das aber auch wie ein etwas hilfloses Anknüpfen an Charles Ives oder die „Musique concrète“ Luc Ferraris.

Muss man da nicht nostalgisch werden? Ein bisschen schon, um die Relationen besser einzuschätzen, als Musikfestivals noch einer Sache dienten, als sie vor allem was mit Musik zu tun hatten und nicht mit dem Narzissmus einzelner Macher. In den 1970-iger Jahren gab es mal in Bremen ein kleines, feines Festival beim örtlichen Radio, kuratiert von einem wirklichen Komponisten, Hans Otte. Alle zwei Jahre an einem verlängerten Wochenende fand das statt. Vor allem die amerikanische Moderne um Cage wurde da präsentiert.

Nam June Paik etwa ließ da seine Partnerin Charlotte Moorman auf einem Eis-Cello spielen. Charlemagne Palestine hämmerte einzelne Töne ins Klavier, um den Oberton-Schwingungen nach zu lauschen. Wolf Vostell zelebrierte eine Kerzen-Session mit intuitiver Musik. Terry Riley und La Monte Young luden ein in ihre musikalischen Mediationsräume. Oder es gab grenzüberschreitende Events wie etwa einen Besuch im Schwimmbad, wo man die Ausbreitung der Schallwellen unter Wasser studieren konnte.

Klar – sowas ist heute „abgegessen“ wie auch die Ausflüge in die ethnologische Sparte, die Walter Bachauer bei seinen drei „Metamusik“-Festivals in den 70iger-Jahren programmierte. Heute lädt man zum öffentlichen Schlafen ein. 8 Stunden mit einem Max Richter oder 30 Stunden beim „Long Now“ auf Feldbetten im eiskalten Tresor. Den Heilschlaf der Erda? Mein eigenes Bett ist mir doch lieber, und neue Zeiterfahrungen gibt’s da jeden Morgen beim Erwachen zuhauf. Außerdem bietet das Internet-Radio inzwischen weltweit so viel Aufregendes, dass sich Festivals wie diese MaerzMusik erübrigen. Arbeitet man daran?

Ach – und noch ein köstlicher Joke am Rande des Konzerts mit dem Ensemblekollektiv Berlin unter Enno Poppe. Geboten wird Eduardo Moguillanskys „Jardin d’Acclimatation“, eine Uraufführung. Es ist ein (nicht ganz neuer) Versuch, mit der Umkehrung der Verhältnisse unerwartete Klangergebnisse zu zeitigen. Auf den Geigenbogen ist offenbar statt der Rosshaar-Fäden Magnetband gespannt. Es ergeben sich im ersten der vier Teile dezent gurgelnde, blubbernde Geräusche. Wie bei einem DJ, wenn er die Vinyls hin- und herruckelt, nicht besonders spannend. Leider kein Gefühl für Zeit bei diesem Komponisten wie bei vielen heute. Sie sollten mal wieder Webern studieren.

Ich sitze in der hintersten möglichen Reihe des Festspielhauses am Rande. Kurz vor Beginn kommen noch zwei junge Frauen und setzen sich auf die Plätze neben mir. Sie werden bald schon ungeduldig, kramen ihr Handy raus, lesen mit dem schwachen Licht der Benutzeroberfläche des Handys im Programmzettel, tuscheln miteinander. Nach dem gut viertelstündigen ersten Teil stehen sie entschlossen auf, drängen zur Tür. Die zweite der beiden Frauen will sich im Hinausgehen noch vergewissern und fragt mich: ist das hier wirklich die Bar jeglicher Vernunft? Ich beruhige sie und flüstere ihr den Weg: außen rechts um die Ecke und das Parkdeck hoch…

PS: Auch das Publikum scheint verstanden zu haben und blieb reserviert. Nur 9.500 Besucher zählte die offizielle Statistik. In den guten Jahren kamen auch mal über elftausend.

Foto: © Camille Blake


Königsweg in die Moderne?

Schönberg – Mahler – Nielsen: Das 11. Musikfest Berlin 2015

02.-20. Sept. 2015

Dre Trompeter des Michael Marco BlaauwGegen Ende und als Höhepunkt gedacht: Karlheinz Stockhausen, der gut einstündige zweite Akt aus DONNERSTANG aus LICHT „Michaels Reise“. Von Köln aus westwärts bis nach Jerusalem mit einem schönen Kreuz am Schluss. Merkwürdig gestrig wirkt dies Werk heute mit seiner naiv-kitschig-bedeutungs-huberischen Theatralik der Musiker, die da musikalische Duos, Duette, Duelle ausführen in eher lächerlichen Batman- oder Schwälbchen-Kostümen wie ran-gebeamt von der Musicalfront. Auch musikalisch ist das 1977-80 entstandene Opus dieses Stockhausenschen 7-Tag-über-Wagner-Rings nur mehr nette Post-Avantgarde. Wird man es je in Gänze aufführen, aufführen müssen? Wohl kaum. Jedenfalls nicht mit den pseudo-szenischen Vorgaben des Komponisten.

Begonnen hatte das Musikfest mit einem Schönberg-Programm der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim. Die dabei gespielte Streicherfassung der „Verklärten Nacht“ machte einmal mehr deutlich, wie heikel diese Umsetzung vom Streichsextett auf ein großes Ensemble ist. Vor allem am Anfang klang das alles eher verschwommen – auch durch Barenboims romantisierende Tempi. Erst gegen Schluss in den hohen Flageolett-Partien entfaltete sich so etwas wie Sinnhaftigkeit der Orchesterfassung.

Ein Monument von Orchester-Klanggewalt dann das Konzert des Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons mit Mahlers Sechster. Vor allem auf die scharfen Kontraste kam es Nelsons an, der sich wieder einmal eher störend durch Dirigierakrobatik hervortat. Die Zwischentöne gingen dabei unter, und mit ihnen der berühmte Hammerschlag. Der Kontrast dazu: Zubin Mehtas Konzert mit dem Israel Philharmonic Orchestra und Mahlers Neunter. Sehr differenziert bei sparsamster Zeichen-Gebung kam das über die Rampe.

SWR SO und die 6 1/12ton-Klaviere

Mit zeitgenössischer Musik wartete einmal mehr (und zum letzten Mal in dieser Formation) das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter François-Xavier Roth auf. Zuerst erklang da von dem Viertelton-Experimentator Iwan Wyschnegradsky (1893-1979) ein „Arc-en-ciel“ genanntes Stück für sechs im Zwölftel-Ton-Abstand gestimmte Klaviere. Zwischen 1956 und 1972 entstanden ist es wie ein analoger Versuch zur Elektronik, mit schwebenden Klängen. Und danach von Georg Friedrich Haas die „limited approximations“ (2010), ebenfalls mit diesen 1/12-tönig gestimmten Klavieren und Orchester, deren Musik gelegentlich wie durchhuschende Schwärme anmuteten.

Eine weitere gewisse Novität: die Carl-Nielsen-Linie im Musikfest-Programm. Prominent vertreten durch das Royal Danish Orchestra aus Kopenhagen unter Michael Boder. Nielsens Fünfte Symphonie aus den Jahren 1921/22 war da zu hören. Eine Musik voll des inneren und äußeren Kriegs mit enervierenden Repetitionen, stakkato-haften Märschen oder strengen Fugati – und mittendrin eine Wiesen-Idylle mit gleichsam weidenden Milchkühen. Der Däne Carl Nielsen (1865-1931), teilweise Zeitgenosse von Mahler und Schönberg, hatte eine schwierige Ehe und lebte in unruhigen Zeiten, aus denen er immer wieder zu fliehen suchte. Man hört es an seiner Musik: hochpsychotisch, nicht uninteressant, aber doch auch etwas abgelegen.

Eine Besonderheit auch das Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters unter Ingo Metzmacher. Zum Auftakt gab es da von Iannis Xenakis „Shaar“, eine Art musikalische Wirbelwind-Maschine für Streicher, danach Mahlers „Kindertotenlieder“ mit der in der Mittellage vielleicht etwas kraftlosen, aber besonders im Schlusslied „In diesem Wetter“ sehr farbig gestaltenden Altistin Wiebke Lehmkuhl. Und schließlich Schönbergs eigentlich szenisches Oratorium „Die Jakobsleiter“ (1915/22) mit im ganzen Raum verteilten Sängergruppen. Wie so manches andere Schönbergsche Großwerk blieb es Torso. Winfried Zillig besorgte die orchestrale Einrichtung nach dem Particell. Eigentlich ist es Theater-Musik. Durch die nur konzertante Aufführung blieb der Gesamteindruck zwiespältig. Sänger singen im Konzert anders als auf der Bühne, leicht outriert.

Insgesamt bot auch dieser Jahrgang wieder ein sehr interessant zusammengestelltes Programm. Gut besucht die Konzerte mit den bekannten Interpreten-Namen. Trotz auch weniger bekannter, sogenannt „sperriger“ Werke. Und einmal mehr stellt sich am Ende die Frage, sind Schönbergs Werke vor allem Festival-Werke, war Schönbergs Weg in die Zwölftönigkeit wirklich der Königsweg in die Moderne?

Fotos: © Kai Bienert


Haltung zur Welt“

Die neu als „Festival für Zeitfragen“ gestaltete „MaerzMusik“ 20.-29.März 2015

Zum 14.Mal veranstalten die Berliner Festspiele das Festival „MaerzMusik“. Ein Festival für „aktuelle Musik“ nannte es der bisherige Leiter MATTHIAS OSTERWOLD. Jetzt hat der Österreicher BERNO ODO POLZER die Leitung übernommen. Er programmierte es um zu einem „Festival für Zeitfragen“. Eine Zwischenbilanz.zum 27.3.
Musik: DANIEL KÖTTER & HANNES SEIDL „Ökonomien des Handelns 1: Kredit“: „Ich denke wir werden noch eine Zeitlang mit dem Monster Geld tanzen / Ja, ja…“

IctusEnsemble mit "Timer"Börsenmakler unterhalten sich bei einer Party über den jüngsten Crash. Der Filmemacher Daniel Kötter hat sie einen Arbeitstag lang filmisch begleitet. Die Gespräche am Telefon, auf Fluren, in der Bar werden live synchronisiert von zwei Sprechern, einem Geräuschemacher und weiteren Mitwirkenden, inklusive Chor, Musik: Hannes Seidl. Als „ästhetisches Labor“ will der neue Leiter Berno Odo Polzer sein neu gestaltetes Festival verstanden wissen, dabei vor allem Fragen der Gegenwart nachspüren. Ein gefilmtes Musiktheater wie das von Daniel Kötter und Hannes Seidl über die „Ökonomien des Handelns“ war da noch der bislang triftigste Programmpunkt dieser MaerzMusik.

Begonnen hatte das Festival lautstark mit einem „Liquid Room“ genannten Konzert auf der Haupt- und den Seitenbühnen des Hauses der Berliner Festspiele. Auf vier Podien wechselten die Ensembles und Solisten nahtlos. Festivalleiter Polzer hasst Umbaupausen. Das Publikum konnte frei flottieren wie in einer Disco, im Club, im Shopping-Center; oder man konnte auch hinausdriften an die Bar, was nicht wenige bevorzugten. Akzentuiert war das vierstündige Programm mit Licht- und Video-Flashs oder akustischen Kuriositäten. „Musique d‘ameublement“ nannte Eric Satie ein solches Konzept zur Lockerung des Konzert-Rituals – vor hundert Jahren. Polzers „flüssiger Raum“ klingt natürlich cooler und süffiger als Saties „Möblierungs-Musik“.

POLZER: Für mich ist Hören in erster Linie Haltung zur Welt. Eine Form, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, eine Haltung, die wir im Festivalprogramm in unterschiedlicher Weise entfalten.

Ein Schwerpunkt: die Hommage an den aus Griechenland stammenden, in Paris lebenden Komponisten Georges Aperghis. Neben frühen Solostücken waren als Hauptwerk zu hören die „Situations“. Musiker des Klangforums Wien spielten sie, eine Folge unterschiedlicher Klanggesten, in ihrer Cluster-Technik erinnernd an Aperghis‘ ebenfalls griechisch-stämmigen einstigen Mentor Iannis Xenakis. Daneben gab es auch Konzerte mit kleineren Stücken verschiedener Komponisten. Auch Uraufführungen: Zeena Parkins etwa erinnerte mit ihrer an den Sohn von Walter Benjamin.

Begleitet wurde das Programm durch Begegnungs-Möglichkeiten im Haus der Festspiele. Anfangs mit einer dreitägigen Konferenz unter dem Motto „Thinking Together“. Diverse Redner, teils per Skype aus Übersee herangebeamt, präsentierten ihre Theorien über ein bunteres Leben nach Kapitalismus und Neoliberalismus. Münden wird dies Festival in ein 30-(minus1)stündiges Event im eiskellerartigen Kraftwerk-Mitte, Feldbetten- und Frühstücks-Service inbegriffen. Neue Zeiträume und -dimensionen soll man da erträumen können. Titel: „The Long Now“. Um luftige Sprechblasen ist die Leitung ja nicht verlegen.

Aber das könnte vielleicht ein Thema sein für eine nächste MaerzMusik: Luft. Auch die geht uns alle an – und hat sogar was zu tun mit Musik. Am Rande. Und auch da dürfte das junge Publikum strömen, wie jetzt.

Foto: Martin Hufner mit Ensemble Ictus bei Liquid Room


Horn, Hörner - Alphorn

Das Musikfest Berlin 2014

02.-22.Sept. 2014

Die Romantik und das Instrument der Romantik, das Horn, ist das Hauptthema dieses zehnten Musikfests Berlin. Brahms und Schumann und ihre Haltung zum Horn in der Modernisierungsphase des 19.Jahrhunderts vom Natur- zum chromatischen Klappenhorn stehen im Mittelpunkt. Die damit verbundene Literatur ist weitgehend geläufig. Hier deshalb nur ein paar Glanzlichter am Rande.

Alphorn-TrichterMit dem Konzert für vier Alphornisten und Orchester des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas konnte Festival-Leiter Winrich Hopp einen besonderen Leckerbissen reichen. Begleitet vom SWR-Sinfonieorchester unter François-Xavier Roth erklang da in dem pseudo-barocken „concerto grosso Nr. 1“ eine Mischung aus Steve Reich und Edgard Varèse, um die Eckpunkte zu nennen. Pulsierende, an- und abschwellende, durch stringendo und rallentando charakterisierte Klänge baut Haas zu einem eindrucksvollen Gebäude. Und dazwischen immer wieder die gleichsam um ihr Echo buhlenden langgezogenen Klänge der Alphörner. Jede(r) SpielerIn hatte mehrere zu bedienen, um eine möglichst geschlossene chromatische Skala dieser Natur-Instrumente zu bedienen. Von besonderem Reiz auch die Schwebungen zwischen diesen Instrumenten.

Ein traditionelle Muster neu überprüfendes Konzert des Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst war das mit Kompositionen von Jörg Widmann. Sensationell das ppp in dem Orchesterwerk „Lied“, mit dem das Stück und zugleich das Konzert begann. So hauchzart wie hier kann man ein Orchester ganz selten hören. „Lied“ stützt sich weitgehend auf klangliche Modelle von Gustav Mahler. Viele einstimmige Streicher-Tutti beschwören auch etwas Nostalgisches. Das andere neuere von den insgesamt vier Werken des Abends „Flûte en suite“ lehnt sich an bei Bach. Die Schluss-„Badinerie“ seiner zweiten Suite h-Moll zitiert Widmann dann sogar original allerdings in einem maschinen-zeitalterlich ironischen Tempo und Duktus. Dazwischen gibt’s auch mal wieder eine Art Mahlerschen Trauermarsch, genannt Choral. Der gefeierte Virtuose an der Flöte Joshua Smith spielte übrigens vom Tablet nicht von gedruckten Noten, Umblättern per Fuß-Klick.

Etwas enttäuschend das Konzert mit den Bamberger Symphonikern unter Jonathan Nott. Merkwürdig schon die Programmzusammenstellung, beginnend mit einer Orgel-Fantasie von Max Reger, gespielt von Christian Schmitt. Die Philharmonie bietet eben nicht die Akustik einer Kirche und die Klangballungen dieses opus 135b kommen in einem solchen dafür zu trockenen Raum kaum zur Geltung. Erstaunlich gelungen dann aber die wunderbaren „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss mit der nur anfangs etwas eng klingenden, dann immer mehr ihr Organ weitenden Christine Schäfer als Solistin. Strauss‘ „Metamorphosen“ als Einleitungsstück dazu wären wohl viel passender gewesen. Helmut Lachenmanns „Ausklang“ zum Schluss – erstaunlich dass inzwischen ein solches auf Tradition getrimmtes Orchester ein derartiges Stück zu spielen vermag. Mir schien allerdings etwas zu viel an bloßen Hauch-Geräuschen der Orchesterinstrumente und pedalisiertem Echo-Heischen des Soloinstruments Klavier (Pierre-Laurand Aimard) zu dominieren und der dramaturgische Aufbau etwas wie aus dem Zettelkasten, zumal für fast 50 Minuten Dauer. Webern und seine Aphoristik scheinen heute leider ziemlich vergessen.

Am wenigsten beeindruckend für mich der Auftritt der Sächsischen Staatskapelle mit Christian Thielemann. Sofia Gubaidulinas etwa halbstündiges Violinkonzert „In Tempus praesens“ mit dem wundersamen Gidon Kremer als Solisten ist ein interessantes Kreis um den Halbton, der so viel wie Veränderung imaginiert. Und als Zugabe spielte der aus dem Baltikum stammende Kremer dann noch ein volksliedartiges Solo-Stück als Solidarität für die Ukraine. Bruckners „Neunte“ im zweiten Teil ließ Thielemann in dem von ihm bevorzugten kompakten Karajan-Klang, allerdings ohne dessen Feinheiten. Zumal die pp-Stellen waren bestenfalls ein Mezzopiano bis Piano. Die Schlusssteigerung aber wiederum sehr ausgreifend schön.

Das Musikfest Berlin ist gewiss eines von ganz wenigen noch sehr durchdacht programmierten Festivals. Schön dass es sie gibt. Bei der Neuordnung der Festwochen nach der Wende war mal gedacht an eine Dauer von ungefähr einer bis eineinhalb Wochen. Man sollte das auch endlich einmal versuchen, auch wenn dann die Tourneen der diversen internationalen Orchester, die man nach Berlin lenken will, vielleicht etwas schwerer zu koordinieren sind. Dem Gesamteindruck und der Programmatik würde es aber sicher helfen.

Foto: Kai Bienert


Erinnerungen

Die „MaerzMusik“ 2014 präsentiert nach Berlin Zugezogene

Bilanz zum 20.03.2014 (Dauer: 14.-23.März)

„Das Tripas Coração“, frei übersetzt: So hart wie möglich arbeiten. Ein Stück für zwei Pianisten und zwei Schlagzeuger, die rotieren zwischen ihren Instrumenten: die Schlagzeuger auch mal am offenen Klavier, die beiden Pianistinnen auch am Schlagzeug. Der Brasilianer Arthur Kampela hat sich das ausgedacht. Zeigen wollte er, wie Musiker auch mit ungewohnten Instrumenten in quasi existenzieller Not zurechtkommen müssen. Kampela war vor zwei Jahren Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin. Komponisten, die es nach der Wende nach Berlin gezogen hat, ist das diesjährige Festival „MaerzMusik“ gewidmet. Die letzte Ausgabe unter dem langjährigen Leiter Matthias Osterwold: mehr Rück- als Ausblick.

Am meisten versprochen hatte man sich von einer Produktion des Klangforums Wien, die in Schwetzingen Premiere hatte. Titel: „IQ –Testbatterie in acht Akten“. Zu sehen ist da auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele links ein Schalttisch mit (allerdings etwas betagten) Monitoren. Rechts stehen in zwei Reihen acht kleine Pulte für die Probanden. Sie sollen Aufgaben lösen wie: geometrische Figuren einander zuordnen oder Farben, Töne. Die Probanden sind Mitglieder des Instrumental-Ensembles, müssen auch singen. „Singen“ allerdings mit ungeübten Stimmen in der Manier à la Marthaler, auch chorisch. Inszeniert und ausgestattet hat das Anna Viebrock. Überraschungen erlebt man nicht. Und auch Enno Poppe, der die Musik dazu komponierte, hatte wenig Spielraum. Zwischen hysterischen Koloraturen für die eine der beiden Aufseherinnen und Sprechgesang war kaum Gelegenheit sich zu entfalten.

Geübter die acht Stimmen bei Mela Meierhans‘ „Shiva für Anne“, der dritte Teil ihrer sogenannten „Jenseits-Trilogie“. Hatte die aus der Schweiz stammende Komponistin im ersten Teil eine eindrucksvolle Dokumentation seltsamer Totenbräuche aus einem abgelegenen Teil ihrer Heimat erarbeitet, war der zweite Teil schon sehr viel schwächer. Jetzt im dritten Teil lässt sie Aufzeichnungen einer befreundeten englischen Literatin rezitieren, die an Krebs starb. Dazwischen gibt es Stimmübungen, die die einschlägigen Techniken der letzten 60 Jahre durchdeklinieren von Silben-Zergliedern bis Summen, inklusive linguistische Belehrung. Mit ein-dreiviertel-Stunden Dauer wirkt das Ganze ungeheuer geschwätzig. Dazu eine sogenannte Regie, der außer Paradieren der Sänger mit Tablets unterm Arm, Stehen, Sitzen, angestrengt Wichtigtun nichts einfällt.

Aber auch schon der Vor-Eröffnungsabend „Schau lange in den dunklen Himmel“ mit der nach einer Osttiroler Alm-Wiese benannten „Musicbanda FRANUI“ gehörte in diese Kategorie. Texte von Robert Walser bis Heinz Janosch wurden da vorgetragen, wobei mehr der Wunsch nach Bedeutung zu spüren war als das pure Vermögen. Untermalt immerhin von zehn Instrumentalisten, die zünftige Blasmusik mit Hackbrett, Harfe und Zither mischen. Auch nicht besonders originell, aber erfrischend eine geleitete Tour durchs Naturkundemuseum. In Vitrinen kann man da die Entwicklungs-Geschichte tierischen Lebens studieren, vom Lungenfisch bis zum Archäopteryx. In jedem der vier Räume, die man durchstreifte, sitzt eine Gruppe von Musikern des „Splitterorchesters“. Sie improvisieren zu Tonmodellen, meist elektronisch verfremdet – Typ: Wandelkonzert. Vor knapp hundert Jahren hatte Eric Satie schon die Idee zu einer solchen „Musique d’ameublement“. Eine nette Reminiszenz. Aber „aktuelle Musik“?


Die „MaerzMusik“ 2013

Schlagzeug-Minidrama-östliches Mittelmeer als Schwerpunkte

15.-24.März 2013 (Zeitraum: 15.-19.03.)

Beat Furrers „Xenos III“ war eines der wenigen Stücke bisher im Festival von Format. Das Ensemble Resonanz spielte die Deutsche Erstaufführung am 19.03. im Kammermusiksaal der Philharmonie. Eine Musik, die mit ihren glissandierenden Wellenbewegungen das Flirren von Wüstenwind imaginieren will.

Gordon_SlagwerkEröffnet worden war das MaerzMusik-Festival programmatisch mit „Timber“. Sechs Schlagzeuger lässt Michael Gordon mit Holz- oder Metallschlägeln hämmern auf Holzbalken, wie sie als „Stundentrommeln“ seit dem 8.Jahrhundert in Mittelosteuropa gebräuchlich waren. Im Rund stehen die Musiker unter einem Kranz von changierend aufleuchtenden Scheinwerfern. Auch der Klang changiert, bäumt sich auf und verebbt wieder, wobei wechselnde Obertonbereiche anklingen. Die Methode hat vor Jahrzehnten Steve Reich in seinem berühmten „Drumming“ erfunden und zugleich perfektioniert. Gordons „Timber“ wirkt dagegen matt.

Ein anderes déjà-vu der hochpreziöse Auftritt der Schweizer Performance-Künstlerin Charlotte Hug. Stimmakrobatische Laute à la Meredith Monk oder wie die Laurie Anderson der frühen Jahre mischt sie mit skurrilen Geigenklängen. Trippelnd unter „Son-Icons“ genannten großformatigen Zeichnungen auf halbtransparenten Pergamentbahnen versucht sie die Zuschauer auf einen „Slipway to Galaxies“ zu expedieren. Dort ankommen wird wohl niemand.

„Pills or Serenades“ heißt ein Minidrama, das der Brasilianische Komponist Chico Mello auf ein Libretto von Tobias Dutschke komponiert hat. Sprachfetzen werden da von neun Sängern und Instrumentalisten in einer mit fröhlichen Dilettantismen angereicherten halbszenischen Form präsentiert. Zu bewundern ist die Perfektion der Performance dieser Art „Scripted Reality“. Nach dem tieferen Sinn dieser abrupte Stimmungswechsel ausbreitenden „Studie“ fragen muss man nicht. Es ist (nur) eine Performance.

Von der Thematik anspruchsvoller: „Kassandra“ von Michael Jarrell. Eine eigene Sicht bietet Jarrells Monodrama indes nicht. Melodramatisch wird in den Klangteppich des Kammerorchesters „unitedberlin“ das von Christa Wolfs Text inspirierte Libretto eingesprochen. Dazu flimmern Bilder auf einer Riesen-Leinwand. Die Sängerin Anna Clementi, sowie gelegentlich ein Bewegungs-Chor, aber auch reale Bilder erscheinen da in Pamela Hunters dürrer Inszenierung: Die Trojanische Mauer als Berliner Mauer mit ihrem berüchtigten „Grenzregime“ gleichgesetzt – nur einer der Kurzschlüsse.

Für ein Portrait des Komponisten, Klarinettisten und Regisseurs Gene Coleman ist man in ein früheres Stummfilmkino, das derzeit aus dem Dornröschenschlaf geweckt wird, nach Berlin-Weißensee gezogen. Gezeigt wird dort ein einst avantgardistischer Stummfilm aus dem Jahre 1926 von Teinosuke Kinugasa. Es geht um Psychiatrien in Japan. Coleman hat dazu Live-Musik komponiert. Davor gibt es einen von Coleman selbst gedrehten abstrakten Film über Architektur in Japan, unterlegt ebenfalls mit Live-Musik, die, obwohl eineUraufführung, klingt wie aus den 60iger Jahren.

„Festival für aktuelle Musik“ nennt sich die MaerzMusik im Untertitel. Aktuell scheint vor allem ein gewisser Leerlauf der einst „Neuen“ Musik. Ihr Publikum findet sie dennoch. Oder vielleicht gerade deswegen?


Amerika!

Das Musikfest Berlin huldigt dem nördlichen Halb-Kontinent (31.08.-18.09.2012)

„Holiday Overture“ von Elliott Carter. Die St. Louis Symphony spielte dies Werk aus dem Jahre 1944. Serge Koussevitzky, der einst aus der Sowjetunion nach Boston emigrierte Komponist, Dirigent und Promoter neuer Musik hatte sie bestellt, aber dann lieber im Schrank schmoren lassen. Die St. Louis Symphony, das zweitälteste Symphonie-Orchester der USA, brachte das dann im Nachkriegs-Frankfurt uraufgeführte Carter-Werk jetzt mit zum Musikfest Berlin und bestätigte gewisse Vorurteile, die man gegenüber symphonischer Musik aus Amerika hegen kann mit ihrem fast schon penetranten Optimismus.

Aber da gibt’s ja auch das Amerika, wie es der Komponist und Versicherungs-Kaufmann Charles Ives sah: mit seinem Beschwören der amerikanischen Gründerväter und ihrer Vorstellung einer allen Schichten gerecht werdenden transzendenten Demokratie. In seiner monströsen 4.Symphonie, die Ingo Metzmacher mit den Berliner Philharmonikern höchst plastisch zu Gehör brachte, lässt Ives Choräle intonieren, Eisenbahnen rattern und Dampfmaschinen fauchen, bevor im Finale zum „Näher mein Gott zu Dir“ à la Untergang der Titanic alles im Nichts erlischt.

Die Wahlen in Amerika und der allerorten gefeierte hundertste Geburtstag von John Cage sind thematischer Fokus, um den das von Winrich Hopp mutig kompilierte und erstaunlich gut angenommene diesjährige Musikfest Berlin kreist. Ives, der die Ideen der Pilgrim Fathers auch musikalisch wach hielt mit seinem Übereinander-Türmen unterschiedlichster Schichten, war einer der großen Vorbilder Cages.

Der andere war Arnold Schönberg, bei dem Cage einige Zeit studierte. Schönberg suchte den musikalischen Kosmos zu bändigen mit einer Fülle strenger Regeln, die Cage später dann mit seiner Methode des Zufalls einfach vom Tisch wischte. Von Schönberg hörte man in einer Produktion des Südwestrundfunk-Orchesters unter Sylvain Cambreling konzertant die Torso gebliebene Oper „Moses und Aron“. Mit dieser wollte Schönberg seinem Gesetzeswerk ein Denkmal setzen, auch wenn die damit Beglückten sich diesem Glück verweigern.

Eine weitere Oper konzertant brachten BBC-Chor und -Symphonie-Orchester unter Leitung des Komponisten John Adams: „Nixon in China“. Adams hat darin die historische Reise des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon ins China Maos 1972 rekapituliert. In einer mit halbszenischen Elementen angereicherten Aufführung gelingt Adams mit seiner minimalistischen Musik ein durchaus eindrucksvolles Bild von dieser Begegnung zweier Welten: köstlich der dauer-grinsende Nixon (Robert Orth) vor Fähnchen-schwingender Kulisse beim Bankett.

Von der eher leichten Seite stellte sich auch der neue Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters vor, Tugan Shokiev, der neben Strawinskys in Boston einst uraufgeführter „Pulcinella“-Suite vor allem Songs von Copland bis Bernstein erklingen ließ. Zu einem der Höhepunkte wurde in der Interpretation des Amsterdamer Concertgebouw Orkest unter Mariss Jansons Edgard Varèse‘s „Amériques“. In strudelnden Klängen beschreibt Varèse darin das Amerika des Big Apple New York, wie er es nach dem Ersten Weltkrieg erlebte als pulsierend stampfenden Moloch.



Wanderungen im Cage-Museum

Die 11.MaerzMusik mit den Jubilaren Cage (100) und Rihm (60)

17.-25.03.2012

John CageEigentlich stellt man sich Klavier-Konzerte ja anders vor. Hier ist die Bühne anfangs dunkel. Kein Instrument zu sehen, kein Musiker. Sie tröpfeln langsam herein, bringen ihr Instrument mit: Cello, Harfe, Posaune, eine Schachtel mit Bällchen. Ein Flügel wird herein geschoben. Eine Schreibmaschine klappert rhythmisch. Die Lämpchen an den Pulten gehen an und aus, die Musiker kommen und gehen. Mal wird der Raum lichtgeflutet, und es pilgern aus dem Parkett Musiker auf die Bühne. Irgendwann erobert auch einer mit einer schwarzen Fahne den Raum und proklamiert, keine Regierung sei die beste Regierung.

Das Klavierkonzert von John Cage war 1958 bei seiner Uraufführung ein Fanal. Die Partitur war eine Sammlung graphischer Notationen, die Musiker sollten selber entscheiden, was sie in den vorgegebenen fünfzig Minuten machen wollten. Ein Affront gegen die in ihrer seriellen Determinierung erstickende europäische Nachkriegs-Avantgarde. Cage wollte die Kunst öffnen. Nicht um Ausdruck ging es ihm, sondern um den bloßen Klang. Bei Cage ging es immer ein bisschen nach dem Prinzip „Anything goes“, alles ist möglich, sagt einer seiner heute berühmtesten Schüler, La Monte Young, auf eine entsprechende Frage beim Presse-Gespräch. La Monte kam mit seinem Just Alap Raga Ensemble für einige Improvisationsabende zur MaerzMusik.

Was er Cage ankreidete, dass der etwas lässig mit seinen Zen-Prinzipien umging, während er, La Monte, immer sehr strenge Disziplin gewahrt habe, war an dem ersten Abend nicht zu spüren. Mit 40 Minuten Verspätung begannen er und die drei weiteren Musiker ihr Konzert mit arg variations-armen Oberton-Vokalisen. Interessanter fast war ein Blick in La Montes Schulstube. Das Arditti-Quartett grub ein frühes opus La Montes von 1956 aus, ganz noch im Stil Webernscher Miniaturen, wie er das beim Schönberg-Assistenten Leonard Stein studiert hatte.

Auch der andere Jubilar der MaerzMusik dieses Jahres wurzelt in der Wiener Moderne des 20.Jahrhunderts – und zeigt es bis heute: Wolfgang Rihm, in den 1970iger Jahren gestartet mit dem Weckruf nach einer wieder sanglichen Musik. Vor einigen Tagen wurde er 60. Mancherorts feierte man ihn. Prominent das Konzert des SWR-Sinfonieorchesters unter Lothar Zagrosek, bei dem Rihm konfrontiert wurde mit der amerikanischen Moderne des Cage-Umfelds: Christian Wolff, Morton Feldman. Rihms 3.Doppelgesang für Klarinette, Viola und Orchester erinnerte da doch sehr an die frühe Schönberg-Schule mit einem fast schwelgerischen Ton.

Cage und sein Kreis – hat er Relevanz noch heute, wo es für die Kunst kaum Grenzen mehr gibt? Für seinen Verlag war er das profitabelste Investment, bekannte sein Verleger bei einem Symposion. Denn wie sehr Cage den Werkbegriff zu durchlöchern suchte, hat er doch alle auch nur konzeptuellen Partituren signiert. Ohne Signatur kein Copyright und kein Honorar.

Viel junges Publikum war zu sehen, angelockt auch mit Performances in angesagten Szene-Lokalen. Dennoch, es blieb ein Blick ins Museum, historisch und kaum aktuell, wie der Untertitel des Festivals suggeriert. Es war die erste MaerzMusik auch unter der Intendanz von Thomas Oberender. Erstmals stand auch wieder das generalüberholte Festspielhaus zur Verfügung. Zumal bei der Cage-Eröffnung konnte die Technik brillieren. Weniger gut klappt es noch mit den ins neue mausgraue Festspiel-Design gezwängten Programmheften. Lesefreundlich wäre was Anderes.


Thoams Oberender 2012

Freieste Plattform

Thomas Oberender, der neue Intendant der Berliner Festspiele, stellt sich und sein Team vor

10.Januar 2012
Seit Anfang des Jahres ist Thomas Oberender der neue Intendant der Berliner Festspiele. Er übernimmt das Amt von Joachim Sartorius, der die Geschicke dieser Berliner Institution zehn Jahre lang geleitet hatte. Oberender, 1966 geboren in Jena, Dramaturg in Bochum und Zürich, die letzten fünf Jahre Leiter des Schauspiels bei den Salzburger Festspielen, stellte am 10,Januar 2012 sich in Berlin der Presse vor.

OBERENDER: Das ist, was die Berliner Festspiele sind: Wir setzen den Rahmen, und dieser Rahmen ist ein beweglicher, der sich auf die unterschiedlichsten Zusammenhänge legen kann und der Fokussierungen bildet.

Berl.Festspiele 2012 LogoThomas Oberender in seinem Eingangs-Statement. Von dem Zürcher Grafiker Christian Riis Ruggaber hat er sich dafür einen roten Rahmen entwerfen lassen als neues Logo. Es ziert auch eine neue Schriftenreihe, für deren erstes Heft Hans Zischler einen Text beigetragen hat "Großer Bahnhof". Aber nicht nur strukturell will Oberender mit seinen Mitarbeitern eine neue Linie entwickeln auch inhaltlich.

OBERENDER: Dass wir eine Form von Auseinandersetzung provozieren und stimulieren wollen, die Kunst in einem weiter greifenden Sinn versteht als etwas, dem immer ein widerständiges Moment innewohnt. Kunst ist das, was uns zur Auseinandersetzung und zum Verhalten zwingt; und der Kunst in ihrer Autonomie aber auch ihrer Form von Analyse und Chronik die freieste Plattform geben, die in dieser Stadt zu finden ist.

Weitestgehende Kontinuität wird es geben bei den Musik-Festivals MaerzMusik im Frühjahr und MusikFest im Herbst. Das JazzFest unter dem neuen Leiter Bert Noglik will Sparten-übergreifende Dialoge pflegen mit Tanz, Film, Bildender Kunst. Gänzlich neu strukturiert wird die bisherige „Spielzeit Europa“. Nicht mehr mit einzelnen Gastspielen, über drei Monate verteilt, aus Europa sondern als kompaktes dreiwöchiges Performing-Arts-Angebot im Oktober soll es laufen. Kontroverses aus aller Welt inklusive Eigenproduktionen soll zu sehen sein. Ein neuer Namen muss erst noch erbrütet werden [und ist inzwischen mit «Foreign Affairs» gefunden]. Programmiert wird es im ersten Jahr von Frie Leysen als eine Art weltoffener Ideen-Cluster.

LEYSEN: Ich finde es ganz wichtig, dass all diese Ideen und Standpunkte und Perspektiven kondensiert präsentiert werden und aufeinander reflektieren.

Das Theatertreffen im Mai möchte die neue Leiterin Yvonne Büdenhölzer erweitern auch um eine Art Fachmesse als Kontaktbörse für Theatermacher. Kommentierend begleiten soll das ein Theatermacher "in residence". Die Jugendwettbewerbe sollen auf weitere Sicht erweitert werden um die Sparte Tanz. Das Literaturfestival im September soll statt regionaler thematische Schwerpunkte setzen.
Das Festspielhaus mit seiner neuen Bühnen- und Filmtechnik soll vermehrt Zentrum aller Angebote werden. Auch die Berlinale wird es nutzen. Für die Zeiten dazwischen plant man Podien, bei denen junge Künstler etwa mit Video-Vorführungen oder -Arbeiten sich präsentieren können.
Mehr Geld hat Oberender nicht. Beim Ausstellungshaus Gropius-Bau drohen sogar Einschränkungen. Er sei unterfinanziert und dürfe nicht allein Abspielhaus bleiben, so noch einmal Thomas Oberender:

OBERENDER: Wir müssen produzieren können. Der Martin-Gropius-Bau muss in der Lage bleiben zu produzieren. Es ist kein Einladungshaus. Das ist ein Haus, das seinen Ruf und seine große Leistung immer wieder als Produzent erreicht hat. Und nur durch die Produktion werden wir uns die Mittel erwirtschaften, die wir brauchen, um diesen Standard zu halten und weiterzuentwickeln.


Th.Oberender Intendant