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Liebe unterm Schafott

Ottorino Respighis „Marie Victoire“

09.April 2009

Die Musik Ottorino Respighis entfaltet ein durchaus eigenes Flair zwischen den Polen Debussy und Puccini. Und mit der phänomenalen schwarzen amerikanischen Sängerin Takesha Meshé Kizart in der Titelpartie ist das auch immer wieder ein Genuss. Die Oper „Marie Victoire“ schrieb der heute nur noch als Symphoniker bekannte Respighi kurz vor dem ersten Weltkrieg. Es war seine vierte von insgesamt zehn Opern. Die für 1915 in Rom geplante Uraufführung fand nicht mehr statt. Man fürchtete hitzige Debatten um den noch nicht vollzogenen Kriegseintritt des damaligen Königreichs Italien. Erst 2004 wurde die Uraufführung des Werks nachgeholt. Man staunte über die dramatische Kraft dieser Musik.

„Marie Victoire“ spielt in der Zeit der Französischen Revolution. Die Jakobiner suchen nach untergetauchten Adeligen, die der Konter-Revolution beschuldigt werden. Auch Marie de Lanjallay und ihr kleiner Hofstaat geraten ins Visier. Ihr Mann kann vorher entwischen, sie wird mit ihren Freunden verhaftet. Ihr ehemaliger Gärtner, ein Sansculotte, wird ihr Gefängnisaufseher. In der Nacht vor der geplanten Hinrichtung gibt Marie sich ihrem langjährigen Freund und Verehrer Clorivière hin. Doch am Morgen wird bekannt, dass Robespierre selbst seinem Terrorregime zum Opfer fiel. Alle sind frei. Von Schuldgefühlen gepeinigt, will Marie dennoch sterben. Jahre später – sie nennt sich nun Marie Victoire, betreibt einen Modesalon und hat einen sechsjährigen Knaben – taucht ihr verschollen geglaubter Ehemann wieder auf. Aber auch der ehemalige Liebhaber, der sich inzwischen dem anti-republikanischen Widerstand angeschlossen hat und Napoleon töten will. Das Attentat wird ausgeführt vor Maries Salon, man beschuldigt Maries Mann als Täter. Am Ende taucht Clorivière, der wirkliche Attentäter auf, und erschießt sich vor aller Augen. Maurice, Maries Mann, der sich, als er merkt, dass er nicht der Vater ihres Kindes ist, von ihr trennen wollte, versöhnt sich mit ihr.

Das klingt reichlich kolportagehaft, ist im Libretto von Edmond Guiraud aber vor allem recht weitschweifig erzählt. Und auch musikalisch findet Respighi, anders etwa als Puccini in „Tosca“, zu keiner stringenten musikalischen Umsetzung des dramatischen Geschehens. Die deutsche Erstaufführung inszenieren sollte ursprünglich Katharina Wagner, sagte dann aber ab. Man holte Johannes Schaaf – wobei wohl der künftige Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, Donald Runnicles, schon kräftig mitgemischt haben dürfte. Er kennt Schaaf von einer Produktion in San Francisco. Schaaf inszeniert das in einem eher schauerlich-realistischen Bühnenbild von Susanne Thomasberger und mit ausgefeilt historisierenden Kostümen von Petra Reinhardt gleichsam buchstabengetreu vom Blatt. So quält sich der Abend über drei ½ Stunden bei zwei Pausen eher lustlos dahin. Letztlich geht es da um die sittliche „Reinheit“ von Frauen, eben dieser Marie, und ob sie am Abend vor der geplanten Hinrichtung noch ein bisschen Lebensglück mit aufs Schafott nehmen durfte. Nicht so ganz eine Frage von heute.

Michail Jurowski am Pult des glutvoll aber oft etwas zu laut aufspielenden Orchesters der Deutschen Oper gibt sein Bestes. Fürs Repertoire wieder erweckt haben dürfte man diese Ausgrabung aber nicht. Das Publikum bejubelte gleichwohl die Sänger, zumal Takesha Meshé Kizart mit ihrer an Jessye Norman erinnernden, höchst differenziert geführten, alles überstrahlenden Stimme. Schaaf und sein Team mussten einige Buhs einstecken.


Licht-Blick

Robert Carsen inszeniert „Ariadne auf Naxos“

8.Feb. 2009

Ballettstangen und Spiegel sind aufgebaut auf der Bühne. Mit einer Trainingseinheit und einer Probe für die Tänzer lassen Regisseur Robert Carsen und Choreograf Marco Santi die Strauss-Hofmannsthalsche „Ariadne“ beginnen. Die Komödianten-Truppe um Zerbinetta reist mit Rollkoffern und einer Kostprobe ihrer Verwandlungskünste per Gummi-Ganzgesichts-Masken an. Zerbinetta gewährt dem Tanzmeister auch schon mal gleich eine Gesamtansicht ihres nur in ein Badetuch verhüllten ranken Körpers. Mit Stentorstimme knallt der Haushofmeister die immer neuen Anweisungen seines vermögenden Herren dazwischen. Die anfängliche Verzweiflung darüber – mal erst Tanzmaskerade und danach die Opera Seria, dann umgekehrt und schließlich ineinander verschränkt – verfliegt bei dem Komponisten schnell, als Zerbinetta sich ihm offenbart. Nur auf der Bühne spiele sie – in schwarzem Unterkleid und roten Pumps – die Kokotte. In Wahrheit sei sie einsam und traurig. Und sie lüftet dafür ihre schicke schwarze Vamp-Perücke. Zärtlich legt der Komponist seine Jacke als Liebespfand um ihre nackten Schultern. Gespannt beobachtet er von der Seite der Bühnenrampe dann ihre und ihrer Truppe Auftritte.

Dass das ein „heikler“ Balance-Akt war, die Tragödie der auf ihrer Insel Naxos einsam und von Theseus verlassen den Tod herbei sehnenden Ariadne mit den Zauber-Kunststückchen von Zerbinetta und ihrer Vierertruppe zu verschränken, waren Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss sich sehr wohl bewusst. Carsen zeigt das einander Anverwandeln der beiden Sphären in der aufkeimenden Liebe zwischen dem Komponisten und Zerbinetta. Die lässt sich im Stück von einer ganzen Truppe gut gebauter Männer zwar anhimmeln und auf den Händen tragen. Am Ende schlendert sie mit des Komponisten Jackett um die Schultern über die Bühne, Ausschau haltend nach ihm. Die Opera Seria selbst legen Carsen und Santi an als die antike Tragödie parodierendes Mysterienspiel. Zerbinetta und ihre Komödianten reihen sich in langen schwarzen Gewändern ein in den Schweif von Ariadne-Dienerinnen, die da Steinen gleich den vermeintlichen Todesgott erwarten, der sich dann aber als neuer Liebhaber Bacchus entpuppt.

Einfallsreich und mit Liebe zum Detail ist das inszeniert, auch wenn die Spannung nicht immer hält. Für ihr großes Solo kommt Zerbinetta wie Kai aus der Kiste aus einem schwarzen Kastenklavier gesprungen. An vier Klavieren buhlen die mal transvestitischen, mal als Muskelmänner posierenden Komödianten um ihre Gunst. Zu Bacchus‘ und seiner Männer-Phalanx Eintritt öffnet sich in Peter Pabsts schwarzem Bühnenkasten ein gleißender Lichtspalt, der sich immer mehr weitet. Am Ende eilt der Komponist auf die schnell wieder leer geräumte Bühne, dirigiert die Applaus-Ordnung. Und schließlich verteilt der Haushofmeister unter den Künstlern die begehrten Geld-Briefe. Applaus vom Publikum gab es reichlich, sogar euphorischen und schon auf offener Szene für die wunderbar quirlig leichte Zerbinetta der Jane Archibald. Aber auch Violeta Urmana, mit freilich etwas scharfem Ton, Roberto Saccà als Bacchus, Ruxandra Donose als Komponist, der Dirigent Jacques Lacombe und das ganze Team wurden gefeiert.

Für die Deutsche Oper Berlin ist diese Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München ein Licht-Blick in der bisher ja eher flauen Bilanz.


Bei Frau Dr. Aithra Freud in der Etappe

Strauss-Hofmannsthal: „Die Ägyptische Helena“

18.Jan. 2009

Eine Operette sollte es werden, etwas à la Offenbach, „politisch-satirisch-parodistisch“, wie Strauss an seinen im Krieg eingezogenen Textdichter Hugo von Hofmannsthal schrieb. Aus den „Prachttypen“ des 1.Weltkriegs, den „Wucherern, Spionen, Diplomaten“, wollte er nach dem Zwitter „Ariadne auf Naxos“ eine Komödie destilliert wissen. Fündig wurde Hofmannsthal im Mythen-Vorrat des ersten Vernichtungskriegs der Antike, dem um Troja, und der bei Euripides ausgeführten und von Goethe aufgegriffenen Vermutung, Helena, um die man zehn Jahre sich bekriegte, sei gar nicht nach Troja entführt worden, sondern nach Ägypten, wo sie den Krieg im gleichsam komatösen Tief-Schlaf überlebte. In Troja habe man nur ein Double präsentiert. Der Krieg um sie war um ein Phantom. Was in Hofmannsthals Libretto in den 1920-iger Jahren daraus wurde, ist ein Freudianisches Ehedrama der Entfremdung und der psychischen Zerrüttung eines Kriegs-Heimkehrers, Menelaos oder wie er hier heißt Menelas, nach tausendfachem Morden. Und auch Strauss‘ Versprechen, er wolle den Wagnerschen „Musikpanzer“ künftig ganz ablegen, blieb Versprechen.

Was man von dieser (1928 in Dresden uraufgeführten) „Ägyptischen Helena“ an der Deutschen Oper Berlin zu sehen bekommt, ist im Arrangement und Bühnenbild von Marco Arturo Marelli eine Art Truppenbetreuung in der Etappe. Ein Wüsten-Casino mit Bordell-Betrieb, in dem die von der Front Heimkehrenden sich vergnügen. Eine „Muschel“ genannte Puffmutter überwacht per Videokamera-ähnlicher Leuchtmuschel den Verkehr. Auch der Spartaner-König Menelas, der seine vor zehn Jahren geraubte Frau Helena in Troja zurückerobert zu haben meinte, aber sie gerade für ihre vielfache Untreue mit dem Tod bestrafen wollte, strandet hier mit ihr. Aithra, mit zauberischen Kräfte begabt, die das Etablissement mit ihren zwei Schwestern führt, bringt die beiden Eheleute mit vielerlei Zaubertränken und Halluzinationen wieder zusammen. Einer der Tricks ist die Suggestion, dass eben die Helena von Troja gar nicht die wirkliche Helena ist, sondern dass die hier bei ihr den Krieg „verschlafen“ habe.

Marelli lässt das auf einer dreiteiligen Drehbühne spielen mit Ledersessel-bestücktem Empfangsraum, zauberisch verspiegeltem Schlafzimmer und gleichsam Psycho-Kino, in dem einige Kriegserlebnisse nachgespielt und psychisch verarbeitet werden sollen. Am Ende taucht die 11-jährige Tochter in der Drehtüre des Casinos auf. Familie Menelas ist glücklich wieder vereint, der Albtraum ausgeträumt. Viel szenische Konvention bekommt man zu sehen, Regie erschöpft sich im Organisieren von Auftritten. Mit Ricarda Merbeth als freilich etwas vibrato- intensiver Helena, Robert Chafin als schlank intonierendem Menelas und insbesondere Laura Akin als wunderbar schillernder Aithra hat man ein hervorragendes Protagonisten-Ensemble. Andrew Litton leitet mit Verve das Orchester der Deutschen Oper. Das Publikum war’s überaus zufrieden und spendete reichlich Beifall. Die Gesamtbilanz des Hauses hellt diese Produktion kaum auf. Man erfreut sich der selten gespielten Musik, zieht Querverbindungen zu anderen Strauss-Hofmannsthalschen Figuren des Umfelds, etwa vom Frauenpaar Helena-Aithra zu Ariadne und Zerbinetta. Zum Kern des Stücks dringt die Inszenierung nicht. Der Abend erschöpft sich in netten Gefälligkeiten. Große Oper in ganz kleiner Münze.


Pflanzenhafte Frauen- und gepanzerte Männerwelt -
oder: was uns die neue Bühnen-Maschinerie erzählt

Kirsten Harms inszeniert Richard Wagners „Tannhäuser“

30.11.08

Vielleicht muss man den Schlussakt ja als Metapher nehmen. Da streift eine weiß gewandete schmale Frau durch eine Armada von acht mal fünf Krankenbetten. Ein Mann in silbriger Ritterrüstung erscheint hoch zu Ross, steigt herab, versucht sich der Frau zu nähern. In den Betten ranken Arme empor. Die Bühnentechnik zeigt was sie kann. Der Krankensaal wird verfahren zur schiefen Ebene. Das Licht wechselt vom fahlen Blau ins gleißend-feurige Büßer-Rot. Die erschöpften Pilger säuseln ihren Chor. Wolfram, der Ritter, beugt sich über die nun schon zu Boden gesunkene Elisabeth. Beim Lied an den Venus-Abendstern entflechtet er ihr die knielangen blonden Zöpfe, packt dann die Leblose unter ein Tuch. Und erst als der aus Rom ohne Absolution heimgekehrte Tannhäuser wieder die Venus beschwört als Hort aller sinnlichen Lust, rappelt sie sich auf zu neuem Leben.

Was Kirsten Harms an der Deutschen Oper Berlin mit ihrem neuen „Tannhäuser“ zeigen will, ist eine durchaus eigene Sicht auf diese Wagner am Lebensende selbst unfertig erschienene Oper. Elisabeth, die keusche Reine und am Ende Krankenschwester (wie es auch die historische Elisabeth war), und Venus, das Eva-Urbild des Weibes, sind hier eine Figur. Das ist zwar nicht neu. Aber geschärft ist die Perspektive. Die Männerwelt zelebriert hier nicht ihr in Heilige und Hure gespaltenes Frauenbild. Umgekehrt. Die pflanzenhafte Frau blickt auf eine gepanzerte Männerwelt, will, philosophisch gesprochen, agape und eros, geistige und körperliche Liebe vereinen. Die Mittel, dies zu zeigen, die die Regisseurin und Intendantin, anwendet, sind freilich, verbunden mit der ans Kitschige grenzenden Ausstattung von Bernd Damovsky, fragwürdig.

Schon zur Ouvertüre sehen wir eine Figur in Ritterrüstung aus dem mit Beleuchtungstechnik zunächst verhängten Bühnenhimmel herabschweben. Aus dem Unterboden wedeln dem Mann viele Venus-Tentakeln entgegen, bis er sich mit einer der Lianen auf dem Altar der Liebe bettet. Teufelchen wie Flugsaurier stürzen hernieder, als Tannhäuser zurückkehrt in die Welt der Ritter mit ihren Pappmaché-Rüstungen und riesigen Spielzeugpferden. Für den Sängerkrieg wird kräftig an der mitunter scheppernden Bühnenmaschinerie gekurbelt. Die Frauen stehen da in züchtigen Historien-Kostümen, die Männer in Fantasie-Helmen mit meist geschlossenem Visier. Wenn Tannhäuser aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen wird mit seinem Venus-Lobpreis landet er auf der Vorbühne, während die Hubpodien sich formieren zu einer festen Wart-Burg.

Erzählt wird das alles mehr in stehenden Bildern als in Vorgängen, was das Ganze (außer den vielen Ritterrüstungen) so bleiern macht. Personenregie findet kaum statt: Nadja Michael als Venus-Elisabeth ist schön anzusehen, neigt den Kopf mal zur einen mal zur anderen Seite, krümmt den Körper mehr oder weniger, zupft an ihren Haaren oder am Zopf. Stimmlich übertrumpft sie alle mühelos, wenn auch mit dem bei ihr gefürchteten flattrigen Vibrato. Torsten Kerl als Tannhäuser hatte sich als indisponiert melden lassen, steht aber den Abend doch recht gut durch. Einzig Markus Brück als Wolfram kann mit rundem Ton sängerisch ganz überzeugen, bekommt am Ende neben dem Chor auch als einziger ungeteilten Beifall. Uwe Schirmer am Pult leitet das Orchester der Deutschen Oper solide. Immerhin das Orchester spielte, was an dem Abend wegen der (eher luxuriösen) Tarif-Streitigkeiten nicht in allen Premieren-Theatern der Fall war. Ein Buh-Gewitter mit nur spärlichen Bravos empfing die Intendantin und ihr Team am Ende.

Im Rang saß auch die Spitze der Berliner Kulturbürokratie. Sie dürfte ihre eigenen Schlüsse ziehen.


Ballett und Orchester sind die Stars

Das Mariinsky-Theater aus Sankt Petersburg in Berlin

Gastspiel vom 30.Sept. bis 08.Okt. 2008
Über 300 Jahre ist Sankt Petersburg alt, 225 Jahre das Marien-Theater. Mit 383 Mitwirkenden und 16 LKW Material kam das „Mariinsky“ für zehn Abende zu Gast nach Berlin. Man spielt im Haus der Deutschen Oper, die ihrerseits ein Gastspiel in Beijing gibt mit alten Götz-Friedrich-Inszenierungen von „Tannhäuser“ und Rosenkavalier“. Vor vier Jahren war das Mariinsky zuletzt in Berlin. Diesmal hatte man fünf Produktionen älteren und neueren Datums mit eher Raritäten mitgebracht, finanziert von Sponsoren der Energiebranche.

„Chowanschtschina“ ist jene Historienoper Modest Mussorgskys über das Russland des späten 17.Jahrhunderts, als mit dem Machtantritt Peters des Großen die Bewahrer und Reformer des alten Systems von Staat und Kirche in tödlichem Clinch miteinander lagen. Dazwischen zeigt Mussorgsky immer wieder das Volk, auf dessen Rücken die Machtkämpfe ausgetragen werden und das in dieser selten gespielten Oper mit Klagegesängen und der Bitte um Frieden sich immer wieder Gehör zu schaffen versucht.

Mussorgskys „Chowanschtschina“ ist die sicher eindrucksvollste Aufführung im Opernprogramm, das das Mariinsky Theater aus Sankt Petersburg zum 10-tägigen Gastspiel nach Berlin mitbrachte: Sängerisch, musikalisch – und überhaupt. Man spielt die unvollendet gebliebene Oper in der Orchestrierung von Dmitri Schostakowitsch. Die Inszenierung von Leonid Baratov stammt aus dem Jahr 2000, deckt die dargestellten Konflikte aber mit einer ähnlich dicken Staubschicht zu wie bei dem originalen Schostakowitsch-Werk, „Die Nase“, das man ebenfalls zeigte: jene Groteske um einen Barbier, der in seinem Frühstücksbrot eine Nase findet.

Mit enormem bühnentechnischen Aufwand ist hier gearbeitet. Da turnt auf einer riesigen U-Bahn-Röhre aus Gestängen immer wieder ein Vogel-artiger Geist. Hinter einer Hauswand wacht ein Polizeiinspektor von Ramses-Übermaßen, zu dessen Füßen es sich freilich zwei Bänkelsänger gemütlich machen. Mehr eine Materialschlacht ist das, denn eine Satire, wie Schostakowitsch sie sich in den 1920iger Jahren als Kritik am alt-neuen Polizeistaat dachte.

Schon der Auftaktabend geriet eher zum statuarischen Kostümfest mit Peter Tschaikowskys „Pique Dame“, jenem Drama über den jungen Offizier Herman, der alles tut, um hinter das Geheimnis der „drei Karten“ zu kommen, der seine Liebe verrät und über Leichen geht um Glückspiel zu gewinnen – und selbst dabei mit umkommt. So aktuell der Stoff – die Inszenierung stammt aus dem Jahre 1999. Regisseur Alexander Galibin belässt Tschaikowskys Oper in einem historisierenden Outfit. Das Bühnenbild arbeitet mit wehenden Tüchern. Personenregie findet nicht statt. Ein Juwel aber das Orchester, das Valery Gergiev an allen drei Abenden mit viel Temperament und Klangsinn zu Höchstleistungen anfeuert.

Bewundern darf man auch das Ballett des Mariinsky, über dessen technische Extraklasse man nicht weiter rechten muss: Sie ist überwältigend, manchmal atemberaubend in der Perfektion. Und das Publikum spendete immer wieder begeistert Szenen-Beifall. Die Choreografien, die man in Tschaikowskys obligatorischem „Schwanensee“ und in dem selteneren „Le Corsaire“ mit der Musik von Adolphe Adam geboten bekommt, fußen auf den originalen Petipas von vor über 100 Jahren.

Weniger verständlich ist, dass man auch an der schwülstig-überladenen Papp-Ausstattung fest hält. Sie degradiert diese Produktionen mit ihrer zumal im Fall des „Korsaren“ doch recht simplen Räuber-Romantik-Dramaturgie mit geraubten und wieder befreiten Frauen und einer meist bloß effekthaschenden Musik zur Abfolge von Zirkus-Bravour-Nummern. Szenische Frischluft, so das Fazit, täte dem 225 Jahre alten ehemals Zaristischen Marien-Theater sicher gut. Im Moskauer Bolschoi scheint man da schon, wenn auch gegen Widerstände, einen Schritt weiter.


Porgy and Bess“ im afrikanischen Township

Die Gershwin-Oper als Gastspiel aus Kapstadt

04. Juli 2008

Sportin‘ Life ist hier ein Drogendealer der üblichen Art. Wo er kann, streckt er den Kids und vor allem natürlich Bess, die er wieder als Nutte für sich krallen will, seine Tütchen hin. Doch Bess widersteht ihm lange. Bis sie dann am Ende, als Porgy untergetaucht ist wegen des Mords an seinem Nebenbuhler Crown, ihm doch nachgibt, den „happy dust“ schnieft und wie betorkelt neben sich tretend in der Holzhütte verschwindet. Als sie wieder herauskommt, hat sie ihr blass geblümtes Hausfrauenkleid ab- und ihr aufreizend rotes mit dem tiefen Dekolleté übergestreift. Und ab geht’s mit Sportin‘ Life in den magischen Hexenkessel New York. Lange nicht hat man George Gershwin’s „Volksoper“ vom versuchten Ausbruch aus der kaputten Welt der Großstadt in eine vermeintliche ländliche Idylle, „Porgy and Bess“, so authentisch auf einer Bühne musiziert bekommen wie hier. Die Akteure stammen indes nicht aus den USA sondern vom südlichen Afrika.

Für einen Monat gastiert die Cape Town Opera aus Kapstadt mit ihrer Produktion in der Deutschen Oper Berlin – und anschließend auch in der neuen Norske Opera Oslo. Hausregisseur Angelo Gobbato hat das Geschehen aus dem amerikanischen Süden ins Südafrika der 1970er Jahre verlegt, als die Apartheid-Gesetze mal wieder verschärft wurden. Zu Beginn sieht man eine Räumungsaktion per Abrissbirne gegen ein schwarzes Township. Die weißen Polizisten und Kommissare – sie haben nur Sprechrollen – kommen bewusst überheblich und mit stark britischem Cockney-Akzent daher. Das Wunder dieser Aufführung freilich sind die Stimmen der ausschließlich farbigen Sänger. Schon der berühmteste der Songs, „Summertime“, von der später ums Leben kommenden und ihr Baby zurücklassenden Clara (alias Pretty Yende) verbreitet dieses ganz besondere, kernige Flair.

Es gibt auch Ausnahmestimmen wie die der Miranda Tini als der alles kommentierenden und Porgy immer wieder vor der unsteten Bess warnenden Maria. Wenn diese Maria ihre durchdringende Stimme erhebt, scheinen alle anderen zu verstummen. Die Bess der Janinah Burgett ist dagegen eine ausgesprochen zierliche, sehr differenziert agierende Sängerdarstellerin, die blitzschnell die wechselhaften Gemütszustände dieser Frau verkörpern kann. Etwas im Gegensatz zu dem Porgy von Xolela Sixaba, der mehr mit Kraft die Rolle des behinderten, auf einem Skateboard kniend sich bewegenden Krüppels und Bettlers spielt, dessen Warmherzigkeit Bess aber in sich aufsaugt wie die letzte Neige aus dem Becher.

Was an der Aufführung dann aber doch etwas stört, ist das lähmend-penible Nachzeichnen des Genrehaften in Gershwins über 70 Jahre alter Partitur. Man spürt aus heutiger Sicht doch viel stärker die Übergänge zum Musical, was Gershwin stets vermeiden wollte, indem er keine singspielhafte Trennung von Dialog und Song sondern eine durchkomponierte „Oper“ schuf. So streift der Schluss, wenn Porgy seiner Bess ins tausend Meilen entfernte New York folgen will, symbolisch sich aufrichtet und ohne sein Skateboard sich voran zu schleppen versucht, doch fast das Kitschige. Überhaupt mangelt es der Regie an einer tieferen Durchformung des Stoffs. Die Chöre bleiben statisch. Und am besten wirken die Darsteller, wenn sie sich zeigen können, wie sie sind in ihrer fabelhaft fließenden Art sich zu bewegen. So gibt es am Ende der Aufführung in die standing ovations hinein für Sänger und Dirigent Willie Waters auch ein paar zaghafte Buhs.

Und eine weitere Überlegung drängt sich auf: Wie wäre es, Kurt Weills den früh verstorbenen Gershwin weiter führende „amerikanische“ Oper „Street Scene“ von diesem Ensemble interpretiert zu bekommen? Mit solchen Stimmen, mit solch einem Bewegungsvermögen der Sänger auf der Bühne könnte auch diese Oper „funktionieren“.


Geisterstunde auf den Börsenplanken mit Blutbad

Wagners „Fliegender Holländer“

08.Juni 2008

Das Schiff, das hier über die Weltmeere schippert, ist ein Börsensaal. Der Steuermann auf der Brücke nimmt die Orders entgegen. Die Männer sitzen vor ihren Computern um eine verglaste Weltkugel herum. Frauen bieten ihre Liebesdienste feil. Auch der Holländer taucht hier auf: Im schäbigen dicken Pelz, mit Bowler-Hut und einem kleinen Rucksack, in dem er seine Geldbündel und ein goldenes Kreuz gebunkert hat, eine Art russischer Oligarch, den man aus der Heimat vertrieben hat. Mit Daland wird er schnell handelseinig, dass der ihm seine Tochter verkauft. Geld regiert die Welt. Alle wagen ein Tänzchen drauf.

Auf Wagners Paris-Erlebnis, wo diese Romantische Oper entstanden ist, spielt Regisseurin Tatjana Gürbaca an. In gleichwohl heutigen Bildern will sie den „Fliegenden Holländer“ an Berlins Deutscher Oper zeigen. Für die Spinnstube des 2.Akts hat sie einen Beauty-Salon für Damen entwerfen lassen (Bühne: Gisbert Jäkel; Kostüme: Silke Willrett, Marc Weeger). Zu Sentas Ballade fallen die Frauen gleich reihenweise in schmachtende Ohnmacht. Bei Senta und Holländer geht’s schnell zur Sache. Die Hüllen fallen ein bisschen. Und anschließend wird ewige Treue mit (halbiertem) Kleidertausch besiegelt. Nur Senta schlüpft in des Partners Kleider, er nicht in ihre. Im 3.Akt, der geplanten Verlobung des frischen Paars, wird Party gefeiert. Die Frauen haben sich auch in schmucke Pelze gehüllt. Die Holländer-Matrosen kleben als Alkohol-Leichen auf ihren Stühlen. Zur Geisterstunde legen die Damen die Pelze ab und streuen Asche, Senta ritzt ihrem Ex-Liebhaber Erik und sich die Gurgel auf, und alle Damen machen reihenweise mit. Der Holländer kann sich nur schütten vor Lachen.

Es gibt aber auch durchaus poetischere Momente. Etwa zu Beginn, wenn ein kleines Mädchen, ein Senta-Double im roten Rock, einen Schieber öffnet, um gleichsam einen Blick zu erhaschen in ihre Traumwelt. Am Ende das Gleiche umgekehrt, wobei sie den Holländer mit an die Glasscheibe gepresster Hand verabschiedet. Auch die Begegnung Sentas mit ihrem Liebhaber Erik hat viel innere Spannung. Die Frauen necken sie da mit einem hinzu geschobenen Kinderwagen, der später in Brand gesteckt wird – wie auch ein Hochzeitsschleier, den Senta in petto hat. Doch derlei Szenen bleiben vereinzelt. Stattdessen wird beflissen und etwas altklug der ganze Wagner-Kosmos aufzublättern versucht, etwa auch wenn Holländer und Senta sich Treue geloben wie Gunter und Siegfried mit einer Vermählung ihres Bluts. Dass der globalisierte Holländer nicht nur Täter sondern vor allem Opfer ist, geht dagegen fast unter. Überhaupt wirkt vieles aufgesetzt, läuft neben der Musik lediglich her, funktioniert nicht. Spannung entsteht kaum. Und dies bei einer Oper, die wie wenige als ein einziger Spannungsbogen komponiert ist. Man spielt sie in der Dresdner Fassung ohne Pause.

Was aus dem Graben tönt, klingt auch mehr routiniert denn impulsiv. Jacque Lacombe steht am Pult, kann Chöre und Orchester immerhin gut zusammen halten. Von den Sängern beeindrucken vor allem Johan Reuter als klangvoll-souveräner Holländer und Matthias Klink als Erik; Ricarda Merbeth singt die Senta mit allzu viel Vibrato. Das Publikum, schon zwischendurch mal höhnisch glucksend, empfing das Regieteam am Ende mit einem frenetischen Buh-Konzert. Überhaupt erinnerte vieles an diesem Abend an die ähnlich leitartikelnd-papierene, ähnlich vehement vom Publikum abgelehnte „Aida“-Inszenierung im März. Es gibt ein offensichtliches Dramaturgie-Problem an der Deutschen Oper. Der erhoffte glanzvolle Saison-Abschluss wurde dies jedenfalls nicht. Und nur die Turbulenzen um die Staatsoper lassen Berlins Deutsche Oper derzeit in milderem Licht erscheinen.


Wiedergeburtstag mit Wunderkerzen-Sahnetorte

Uraufführung der „Jeanne d‘Arc“-Oper von Walter Braunfels

27. April 2008

Man kann das lesen als persönliche Krankengeschichte des zum Ideengeber reduzierten Regisseurs, man kann es lesen als Komponisten-Kommentar zum in der Oper auch apostrophierten tausendjährigen Reich.

1938-1943 dichtete und komponierte der von den Nazis 1933 aus dem Amt des Kölner Musikhochschulrektors vertriebene und mit Aufführungsverbot belegte Walter Braunfels (1882-1954) seine „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“. 1937 war er übersiedelt nach Überlingen am Bodensee. Die Uraufführung von Hindemiths „Mathis der Maler“ 1938 in Zürich regte ihn an, noch einmal mit einer großen Figur der Geschichte sich zu befassen. Jeannes Prozessakten, aus denen er auch zitiert, waren erschienen. In der Zeit der inneren Emigration war das ein Stück „Schicksalsbewältigung“, wie Braunfels‘ Enkel Stephan, der bekannte Architekt, sagt. Die „Johanna“ war die neunte und letzte Oper des in den zwanziger Jahren ähnlich Richard Strauss erfolgreichen Komponisten. Trotz Restituierung in sein Kölner Amt nach dem Krieg, konnte er das Stück nicht einmal konzertant mehr erleben. Die konzertante Uraufführung erfolgte 2001 in Stockholm.

Die Szenische Uraufführung jetzt an der Deutschen Oper Berlin sollte Regisseur Christoph Schlingensief besorgen. Er ist schwer krank, konnte nur das Konzept erarbeiten. Ein Team um den „Parsifal“- und „Holländer“-erprobten Dramaturgen Carl Hegemann versuchte es umzusetzen. Der Kontakt mit dem Kranken lief per Video, Telefon und SMS. Die filmische Arbeitsweise Schlingensiefs kommt dem entgegen: Es müssen vor allem Abläufe organisiert werden. Vorgänge werden kaum entwickelt, was aber auch eine gewisse Spannungslosigkeit bewirkt. Dicht an dicht reihen sich die Bilder, die meist übervolle Drehbühne mit Totenverbrennungsstätten und Krankenzimmern rotiert, Video-Schleifen flimmern allenthalben, gleich zu Beginn Aufnahmen aus dem Nepalesischen Pashupatinath, wo Schlingensief Ende Dezember noch filmte, und wo Leben, Sterben, Kranksein, Dahinsiechen dicht nebeneinander sich drängt.

Ein Pandämonium hinduistischer und christlicher Totenrituale lässt Schlingensief auferstehen, die unheilige Inquisition inbegriffen. Prozessionen kreisen im Raum. Johannas bischöflicher Vater gleitet im Elch-Test vorbei. Der Schlingensiefsche Zoo mit Kuh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Hühnern wird aufgetrieben. Zwergwüchsige und ein behinderter Tänzer ergänzen das Personal. Vor Schreck hebt Jesus beim Abendmahl ab in den Himmel. Die gefangene, todgeweihte Johanna wird wie ein Praliné mit roter Brust-Schleife auf der Krankenbahre am Tropf präsentiert. Ihr unverbranntes Herz zirkuliert als Riesen-Monstranz. Immer wieder senkt sich eine Riesenlunge ins Bild. Ein „Blaubart“ genannter Satansbruder, Gilles de Rais, im schwarzledernen Biker-Outfit und mit Sternenhelm, umkreist Johanna bis zuletzt. Er hat’s mit Kindlein.

Mit dieser Figur leuchtet das Inszenierungsteam auch in den politischen Sub-Text der Oper. Johanna trägt ja Züge des unhinterfragten „Heilsbringers“ Lohengrin, Gilles de Rais ist auch historisch ein Massenmörder. Er finanzierte Johannas Feldzug und nach ihrem Tod Orgien mit Kindern, die er massenweise auf sein Schloss verschleppt, schändet und tötet. Und dann gibt’s da auch noch den Herzog von Trémouille, einen zynischen Manipulator, der Johanna benutzt für seine Ziele. Braunfels, nach dem Ersten Weltkrieg zum Katholizismus übergetreten, spielt mit diesen Selbstzweifeln an auf die Ambiguität national-religiöser Feldzüge, wie Johanna ihn initiiert. Oder frei nach Dostojewski: „Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt.“ Bei Schlingensief scheitert diese Johanna freilich nicht eigentlich auf dem Scheiterhaufen. Sie verduftet in den Wunderkerzen einer riesigen Wieder-Geburtstags-Torte, der sie am Ende entsteigt. Menschen wollen Wunder, Wunder immer wieder.

Braunfels‘ Musik entwickelt eine sehr eigenständige Kraft, sie changiert zwischen Strauss, Pfitzner und Othmar Schoeck. Auch Anklänge an Kurt Weill kann man entdecken und viel Liturgisches. Ulf Schirmer am Pult steuert sicher durch diese oft herb-düsteren Klangmassen. Eine wunderbar hellstimmige Johanna ist Marry Mills, Morten Frank Larsen ihr satanischer Begleiter Gilles. Paul McNamara gibt den naiven Künder himmlischen Heils Saint Michel. Und auch wenn es schwer ist, auf Anhieb sich in diesem personenreichen Stück und der verschlungenen Inszenierung zurecht zu finden, die Musik lohnt es allemal. Am Ende gab es einhelligen Beifall von einem Publikum mit etwas Glamour-Faktor, wie ihn sich Intendantin Kirsten Harms neuerdings so sehr wünscht.


In Sekten tot

Christopher Alden inszeniert Giuseppe Verdis „Aida“

02.März 2008

Eine tote Frau wird aus dem Taufbecken gefischt und von drei Männern abtransportiert. So wird’s am Ende auch Aida ergehen. Die Äthiopier-Prinzessin wird von ihrem Geliebten Radamès ersäuft. Auch sie wird man dann als „Unwürdige“ entsorgen.

In ein Sektenmilieu hat Regisseur Christopher Alden (älterer Zwillingsbruder von David Alden) an der Deutschen Oper Berlin die „Aida“ getaucht. Rechtgläubige und Abtrünnige kämpfen miteinander. Ein cleaner dumpfer Innenraum aus gelblichem Backstein und mit einem Friedenstauben-Emblem an den Wänden ist dieser Einheitsbühnenraum (Bühne: Andrew Lieberman). Dort wird vor allem gesessen, gestanden und mittels eines kleinen Büchleins auf Klappstühlen gebetet. Für den Vorbeter gibt’s eine Art Kanzel über dem Taufbecken, die auch mal Amonasro, Aidas Vater, erklimmt. Die Kostümbildnerin (Doey Lurthi) musste für diese Produktion keine große Fantasie entwickeln. Alle marschieren in diesem Einheits-Raum auf im wenig differenzierten Einheits-Look.

ALDEN: Interessant ist in diesem Stück, dass es  von einer sehr geschlossenen, religiös-fundamentalistischen Gesellschaft spricht.  In unserer Welt jetzt in den letzten zwanzig Jahren ist dieser religiöse Fundamentalismus leider sehr wichtig geworden. Hier In dieser „Aida“-Inszenierung schaffen wir keine spezifische Welt, sondern eine, die in Iran, in USA, auch in Europa sein könnte – so eine strenge, geschlossene, religiöse Gesellschaft.

Lebendiges Theater aus seinen Überlegungen zu saugen, gelingt Alden freilich nur ausnahmsweise, etwa bei einer Massentaufe, wenn eine Gruppe junger Äthiopier (sprich: Abtrünnige) bereit ist, zum Glauben überzutreten (oder: zurückzukehren), und sich vom Oberpriester rücklings ins Wasser tauchen lässt. Ansonsten klappert die Dramaturgie schmerzend laut in den Scharnieren. Vieles wirkt zufällig, unbegründet oder verströmt gähnende Langeweile. Vor allem die langen Ballettstrecken der Oper, musikalische Kernstücke, erscheinen bei Alden wie lästige Füllsel, mit denen er nichts anzufangen weiß.

Da lässt er Wett-Fressen veranstalten für kleine Jungs, die an langen weiß gedeckten Tischen wie Hunde mit Lätzchen um den Hals Pies essen müssen. Und Aida – wieder mal die Putzhilfe vom Dienst seit den Zeiten von Hans Neuenfels – darf dann die Überreste in den Müllcontainer wischen. Oder kleine Mädchen zeigen in bonbon-bunten Tütüs ein Zwischending aus Ballett- und Cheerleader-Auftritten. Das Gericht über Radamès wird verlegt ins Off, währenddessen Grünzeug eingefahren wird in die Toten-Halle. Nicht ohne einen gewissen Charme sind die Anweisungen der im engen Kostüm mit langem Rock agierenden gouvernantenhaften Priesterin.

Und auch musikalisch hat der Abend seine Meriten. Es ist die letzte Premiere des ausgeschiedenen GMD Renato Palumbo. Und Palumbo zeigt hier noch einmal mit so seidigen wie kraftvollen Tönen, was seine Stärken sind: italienische Oper, zumal Verdi. Auch die Sänger machen gute Figur. Irina Mishura als Amneris kann mit einem gut timbrierten Mezzo brillieren. Carlo Ventre als Radamès hat kraftvolle Höhen, Annalisa Raspagliosi als Aida einen weichen, wenn auch in den Höhen etwas engen Sopran.

Im Rang saß viel Politprominenz, voran der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit. Der musste sich zu Beginn eine Petition der Angehörigen des „nicht-künstlerischen Personals“ anhören. Gefordert wird ein seit Jahren überfälliger Tarifvertrag. Viel Beifall gab es am Ende für die Sänger, den Chor, das Orchester, den Dirigenten. Ein Buh-Gewitter, wie selbst in diesem Hause lange nicht gehört, ergoss sich über das Regie-Team. Die Halbwertzeit dieser „Aida“ dürfte absehbar sein.

Es genügt eben nicht, einem Stück ein heutigeres Gesicht auf zu schminken. Ein Stück muss auch funktionieren, die Szene sollte die Musik zum Leben erwecken und nicht abtöten.


Schaf im Wolfspelz

Eugen d‘Alberts „Tiefland“

30. Nov. 2007

Mit halb oder ganz vergessenen Werken der Wende zum 20. Jahrhundert will die Deutsche Oper vor allem punkten. Nach dem „Elektra“-Vorläufer „Cassandra“ von Vittorio Gnecchi (1905) tauchte man nun ein in den deutschen Verismo. Roland Schwab, eines der vielen umtriebigen Gewächse aus der am diesem Hause so beliebten Hamburger Regieschule, durfte sich Eugen d’Alberts „Tiefland“ annehmen, einer Oper, der man in jüngerer Zeit wieder öfter begegnet. Bei der Uraufführung 1903 war dies Werk des vor allem als Tasten-Titan bekannten Liszt-Schülers glatt durchgefallen. Erst in der revidierten und gekürzten Form konnte es reüssieren.

Schwab erzählt die Geschichte vom Hirten Pedro, der vom Gutsbesitzer Sebastiano als Müller ins Tal gelockt wird, damit der seine Geliebte Marta bei ihm „entsorgen“ (sprich ehelichen) und sie zugleich weiter „besitzen“ kann, wie einen Fritz-Lang-Film. Hans Dieter Schaal hat für die Saga vom blütenreinen Bergland und der sumpfigen Tiefebene ein eindrucksvolles Bühnenbild gebaut: eine konkav bis in den Bühnenhimmel ragende Steilwand, die für die Mühle im Tal von bizarr verkeilten Riesenkristallen verstellt wird. Dies Bühnenbild ist der eigentliche „Hingucker“, Personenregie findet ansonsten bei Schwab kaum statt. Geduckte, eindimensional im Pulk geführte Dörfler lauern Pedro ständig auf. Sebastiano bekommt mit bissfestem Schäferhund und Lederstiefeln die Züge eines SS-Manns verpasst. Wenn Pedro ihn am Ende erwürgt, hinterlässt er, befreit sozusagen von seiner Obsession, ein ganzes Rudel toter Wölfe – eine Anspielung auf Hitler und seine Vorliebe für „Tiefland“. Sodann entschwindet Pedro mit Marta in die Höhenluft der Berge, das Schaf gleichsam im Wolfspelz.

Mit Nadja Michael als der verschacherten Marta hatte man zwar einen Star aufzubieten, doch die Sängerin enttäuschte stimmlich mit fast schepperndem Vibrato – am Ende bedankt mit schüchternen Buhs. Torsten Kerl mit seinem weichen, gut geführten Tenor konnte als Pedro ihr glatt die Schau stehlen. Etwas unterkühlt, was Yves Abel aus dem Graben tönen lässt; zu gleichförmig, emotionslos fließt das dahin. Und auch wenn das mit Star-News gefütterte Premierenpublikum überwiegend enthusiasmiert reagierte, bleibt doch ein zwiespältiger Eindruck. Zumal für die Regie. Da war (wieder mal) mehr Wollen als Können. Übers Achtbare kommt das nicht hinaus. Schwab bekam denn auch deutliche Buhs.


Einfühlung in die Mutter

„Cassandra“ (Vittorio Gnecchi) & „Elektra“ (Richard Strauss)

03. Nov. 2007

Stärkste Szene dieses Doppelabends ist zweifellos der Schluss, wenn Orest, der heimgekehrte Bruder der Elektra die Mutter Klytämnestra und ihren Liebhaber Ägisth ermordet hat. Wie ein bluttriefender Skalp erscheint er da im Burg-Türchen, einer Art Müllkippe: es ist die nämliche Maske, in der sein Vater, der Troja-Heimkehrer Agamemnon in der der Strauss-Hofmannsthalschen „Elektra“ vorangestellten „Cassandra“ auftrat. Unten im Vorhof, wo Elektra im schwarz-modrigen Abfall von Fleisch- und Knochenresten hauste, hat die Rache-brütende Agamemnon-Tochter ihren grauen Kittel ausgezogen. Im weißen Kleid wie die erinnerte und vom Vater für günstige Winde geopferte Schwester Iphigenie tanzt sie ihren Rache-Triumph. Und viele kleine Iphigenien kriechen wie Maden und Würmer in das knietief aus geschwärztem Kork bereitete Grab, bewegen sich, ihre Körper schlängelnd, krümmend – bis sie langsam ermatten und im Orchester das Agamemnon-Thema noch mal aufleuchtet, zum Schluss von Moll nach Dur sich verfärbend.

Dies Agamemnon-Thema, mit dem die Strausssche „Elektra“ auch beginnt – und das ist das Verblüffende – findet sich sehr ähnlich schon vorgebildet in der „Cassandra“-Oper von Vittorio Gnecchi. Gnecchis „Cassandra“, 1905 immerhin von Arturo Toscanini in Bologna uraufgeführt, hat Strauss wohl gekannt. Er stand damals in engem Kontakt mit Toscanini, der gern seine gerade fertige „Salome“ in Italien erstaufführen wollte. Gnecchi, heute vergessen, erzählt in „Cassandra“ gleichsam die Vorgeschichte zur Straussschen „Elektra“: Die Heimkehr des Agamemnon aus dem Krieg und seine Ermordung durch die noch junge Klytämnestra, die nicht verwinden kann, dass er die gemeinsame Tochter Iphigenie auf dem Altar des Kriegsglücks geopfert hat.

Gnecchis Musik ist eine Art Dauer-Espressivo, auf 50 Minuten verdichteter, italianisierter, singbarer Wagner, aber ungleich weniger raffiniert im Satz wie in der Instrumentation, vom ästhetischen Rang eigentlich inkompatibel mit dem Straussschen Monolithen „Elektra“. Kirsten Harms, die Regisseurin und Intendantin der Deutschen Oper Berlin, nennt denn vor allem dramaturgische Gründe, warum sie beide Stücke zu einem mehr als dreistündigen Abend zusammen spannt.

HARMS: Ich möchte den Zuschauer auf eine Spur setzen, die ihn später Elektra nicht nur erleben lässt als Opfer, Mutter grauenvoll und grausam – und dann ist eigentlich klar, was am Ende dabei raus kommt. Sondern ich wollte zeigen, dass die Mutter bereits eine ähnliche Geschichte erlebt hat, um den Zuschauer in die Einfühlung in diese Figur zu schicken.

Aber nicht nur musikalisch ist der erste Teil des Abends ungleich schwächer, auch szenisch kommt er übers Schablonenhaft-„Eindeutige“ nicht hinaus. Interessant ist lediglich die Figur der Seherin Cassandra, die zwar das kommende Unheil sich fortpflanzender Rache und Gewalt ahnt aber nicht verbalisieren kann. Malgorzata Walewska als Kassandra gibt hier starke Impulse. Sängerisch und darstellerisch überragend in „Elektra“ die gealterte, ihr Beil wie eine Gehhilfe schwingende Klytämnestra der Jane Henschel. Bewundernswert, wie Jeanne-Michèle Charbonnet die Partie der Elektra durchsteht – und in der Mini-Rolle des Ägisth Reiner Goldberg als Einspringer. Bei ihm versteht man auch – alte Schule – jedes Wort, ohne dass man sich in die Übertitelungs-Anlage flüchten muss.

Leopold Hager am Pult liefert kaum mehr als Routine. Das Publikum applaudierte denn auch enthusiastisch vor allem den Sängern. Die Regisseurin musste auch einige Buhs einstecken – und mit ihr das Team: Silvana Schröder als Choreografin der Schlussszene und Bernd Damovsky für sein goldglänzendes Mykene-Einheits-Bühnenbild und die überwiegend in schwarz-weiß geschneiderten Kostüme. Für das in letzter Zeit gebeutelte Haus ist das immerhin ein Punkterfolg. Und zusammen mit der Nachricht über den (ab 2009) künftigen neuen Generalmusikdirektor Donald Runnicles darf man nun vielleicht hoffen, dass die Deutsche Oper das tiefe Tal der Tränen hinter sich lässt.


Parareligiöse Séance

Saisonstart mit Infinito nero und einer Pathos-Konferenz

Festlich, mit einer Bläser-Intrada in der Kassenhalle wollte man die Zuhörer auf den schmerzensreichen Weg in die Eingeweide der Hinterbühne einzustimmen. Als Prozession ohne Monstranz, vorbei an Kitsch-bunt erleuchteten Madonnen und vor sich hin staubenden Kulissen ging es ins hinterste Eck des Bühnen-Magazins der Deutschen Oper Berlin. Eine „Ekstase in einem Akt“, das „unendliche Schwarz“, im Original-Titel „Infinito nero“, war dort angekündigt, eine Kammeroper von Salvatore Sciarrino.

Mit vielen quälend langen Pausen vertont Sciarrino Visionen der später heilig gesprochenen Nonne Maria Maddalena de’ Pazzi aus dem 16. Jahrhundert. Mitschwestern haben ihre Worteruptionen aufgeschrieben. Die Aufführung ist halbszenisch. Die Sängerin streift zwischen den acht Instrumenten hin und her, steigt mal wie eine Predigerin auf eine quietschende Hebebühne, kritzelt was an die Wand, spielt die Entgeisterte und zugleich der göttlichen Offenbarung Hingegebene. Das Publikum steht oder sitzt auf kleinen steilen Podesten um den engen Spielraum. Viel zu sehen gibt es nicht. Es ist mehr ein Abtauchen in die Welt des Mystischen.

Etwas anders als gewohnt sollte die Saisoneröffnung an der Deutschen Oper nach renovierungsbedingtem Spätstart werden. Und den Haupt-Programmpunkt, eine sogenannte „Pathoskonferenz“, leitete diese parareligiöse Séance perfekt ein. Fünf kluge Köpfe sitzen da auf der Bühne, sinnieren über die Zukunft der Oper und die „Sehnsucht nach dem Grandiosen“. Es ist freilich mehr ein Austauschen von Statements denn ein Gespräch. Man hört Kryptisches wie von Christoph Schlingensief. Der erzählt vom verunglückten Abschied-Nehmen von seinem sterbenden Vater.

SCHLINGENSIEF: Es ist vorbei und ich weiß, dass es vorbei ist, aber ich will, dass es wieder wird. Und das ist der Moment, der mir in der Benutzung und dem Missbrauch des Pathos so nah und wichtig erscheint, dass ich in meiner Existenz hier weiß, dass ich wahrscheinlich mal etwas war und jetzt etwas herstellen möchte. Und manchmal gibt’s auch Fragen, ab wann ist es dann wieder echt und wie kann ich das wieder werden, was ich mal war, weil ich ja weiß, dass es vorbei ist.

Oder der Ethnologe Hans-Jürgen Heinrichs kommt bei der Untersuchung der Zusammenhänge von Mythos, Musik und Pathos zu dem Schluss, wir gingen in die Oper, um unsere inneren Klangkörper anzudocken an das Pathos der Musik. Peter Sloterdijk blickt zurück in die griechische Antike, wo Theater der Ort war, an dem eine Gruppe von Menschen sich testen konnte auf das kathartische Zusammen-Schwingen ihrer Empfindungen.

SLOTERDIJK: Das Pathos ist ja bestelltes Gefühl und es muss zurückgehen auf einen künstlerischen Willen, dass an dieser Stelle gelitten wird. Es sind gewollte affektive Infektionen, die mit künstlerischen Mitteln in einem Publikum erzeugt werden mit dem Zweck, dass diese Gruppe in einer bestimmten Anschauung des Extremen sich aufeinander einstimmt und ihre Zusammengehörigkeit befestigt.

Der Komponist Wolfgang Rihm erinnert daran, dass der singende Mensch, dass Musik an sich Pathos pur sei. Und er kommentiert unfreiwillig auch die ganze Veranstaltung.

RIHM: Je pathetischer vor dem Empfänger etwas aufgeführt wird, umso distanzierter zieht er sich zurück. Je mehr Pathos behauptet und dadurch in sich pathetischer wird, umso mehr nähert es sich der Komik. Umso schneller wird der sagen, dem es gilt, auf den es hinzu berechnet ist: mit mir nicht.

Süffisant merkt Peter Sloterdijk zum Hauptthema, die Zukunft der Oper, noch an, dass es ihm darum nicht bange sei. In der globalisierten Welt habe sich die europäische Kultur zum eigentlichen Exportschlager gemausert. Nun könne die Oper ja ihre kathartische Wirkung in China und Japan verbreiten.