07.Januar 2015
Zuerst
gesehen und erlebt habe ich ihn bei den Darmstädter Ferienkursen (wohl)
1965. Er war dort der klare, kühle Analytiker, der einem Schönberg,
Webern und Alban Berg nahebrachte, das Kontrast-Programm zu
Stockhausen-Seminaren. Für mich erschlossen sich damals ganz neue Welten
der Musik. Nur von Stockhausen hatte ich zuvor schon mal was gehört: den
"Gesang der Jünglinge".
Die neue Musik und ihr Herold Theodor W. Adorno, den ich dann ebenfalls in Darmstadt erleben konnte, wurden mir fast ein Evangelium - an dem ich heute allerdings eher zweifle. Später erlebte ich Boulez immer wieder in Konzerten oder bei Pressegesprächen. Als witzig - mit dem Schalk eines Jean-Paul Belmondo - und analytisch klar wie ein Mathematik-Professor die eigenen Werke und die der Schönberg-Schule erläuternd wurde er mir zum Inbegriff der Moderne in der Musik. Aber auch Debussy und Strawinsky wurden immer wieder mit einbezogen in seine Analysen. Süffisant seine Anmerkung übers Dirigieren von Strawinskys "Sacre" - trotz der rhythmisch-metrischen Rückungen im Grunde alles geradtaktig.
In seinen späten Jahren schien mir allerdings dieses Analytische zur Geste erstarrt zu sein. Sein Mahler, den er in späten Jahren als gleichsam Vater der Wiener Schönberg-Schule bevorzugt dirigierte, blieb mir da gegenüber den impulsiven Interpretationen Leonard Bernsteins ziemlich knöchern und fremd. Ich wusste damals nichts von seiner Erkrankung, die wohl einiges erklärt hätte. Die Oper, die er seinem Freund Daniel Barenboim und der Berliner Staatsoper versprochen hatte - erst mit Heiner Müller dann mit Jean Genet als Librettisten - und die eine Antwort hätte sein können auf sein frühes Diktum vom Sprengen der Opernhäuser, wurde nie fertig. Am 5.Januar ist er in seiner Wahlheimat Baden-Baden 90-jährig verstorben.
Immer hatte er ein schalkhaft-spöttisches Blitzen in den Augen. Von ihm konnte man die neuesten Sottisen über das bürokratische Räderwerk der DDR hören. Seine Opernfantasie „R.Hot“, nach Michael Reinhold Lenz‘ „Der Engländer“, uraufgeführt 1977 im Apollosaal der Berliner Staatsoper, inszeniert vom damals ebenfalls unbekannten Peter Konwitschny, war ein politischer Drahtseilakt: als Held ein Kriegsdienstverweigerer im Knast, über dem Suchscheinwerfer kreisen – wenige hundert Meter von der realen Grenze. Paul Dessau, der Doyen der damaligen DDR-Komponisten, hielt seine Hand über Friedrich Goldmann. Als Dessau zwei Jahre später starb, rückte Goldmann auf, wurde Mitglied der Akademie der Künste und neben Siegfried Matthus, Georg Katzer, Friedrich Schenker zum von den Funktionären freilich kaum geliebten DDR-Vorzeigekomponisten. Kontakt pflegte er zu Luigi Nono, wurde eingeladen in den Westen. Für Jüngere wie Jakob Ullmann war er Leitfigur.
Geboren wurde Goldmann am 27.04. 1941 in Siegmar-Schönau bei Chemnitz. Nach der Schule im Dresdner Kreuzchor fuhr er auf eigene Faust 1959 zu den Darmstädter Ferienkursen. Die Begegnung dort mit Karlheinz Stockhausen prägte ihn. Sein wichtigster Lehrer in der DDR war Rudolf Wagner-Régeny. Musikwissenschaft studierte er bei Georg Knepler. Erste Kompositionsaufträge erhielt er am Berliner Ensemble, arbeitete mit Heiner Müller. Früh begann er, seine eigenen Werke zu dirigieren. Im Kontakt mit den Musikern erkenne man am besten handwerkliche Fehler, sagte er. Konzerte mit ihm waren ein Geheimtipp. Eng arbeitete er zusammen mit der Leipziger Gruppe Neue Musik Hanns Eisler und der Berliner Bläservereinigung. Berühmt sein Dirigat von Schönbergs Oper „Moses und Aron“ in Ruth Berghaus‘ Inszenierung an der Berliner Staatsoper 1987. Und 1988 bei den Berliner Festwochen zusammen mit Ingo Metzmacher als Zweitdirigent die Aufführung von Nonos „Prometeo“ mit dem Ensemble Modern. Nach der Wende wurde Goldmann Präsident der DDR-, dann (bis 1997) der gesamtdeutschen Sektion der Gesellschaft für Neue Musik. Seit 1991 bis zu seiner Emeritierung 2006 war er Professor an der Berliner Universität der Künste; sein bekanntester Schüler dort Enno Poppe.
Goldmann hat in allen Genres komponiert, von der Kammermusik bis zur Sinfonik. Bekannt wurden vor allem seine Essays, Ensemblemusiken und Solokonzerte, wie das Burkhard Glaetzner gewidmete für Oboe. Seine Musik zeichnet sich aus durch eine an Boulez geschulte luzide Strenge. Für kommende Saison zum 20.Jahrestag des Mauerfalls waren Auftragswerke für Konzerthaus und Philharmonie avisiert.*) Am 24.Juli 2009 ist Friedrich Goldmann 68-jährig nach längerer Lungenkrankheit gestorben.
Es beginnt ganz leise, wie aus dem Nichts. Die Klänge kommen aus verschiedenen Richtungen. Nähe und Entfernung kann man spüren, wenn man im Stelenfeld steht. Die Musiker sind in konzentrischen Kreisen angeordnet um den Dirigenten. Einige können ihn direkt sehen, andere nur über Monitore. Im Zentrum vier Celli, weiter weg dann Holzbläser, Blechbläser, Pauken. Die Zuhörer können sich selbst im Stelenfeld, das zugleich wie ein Echo-Raum wirkt, bewegen, tun das aber kaum. Viele hundert sind gekommen, lauschen andächtig, manche mit gezückter Kamera. Irgendwann hört man auch eine Sängerin, die einige minimalistische Formeln singt. Sie nähert sich, sie entfernt sich wieder. Worte wie „Sehnsucht“ sind zu verstehen.
Fast genau drei Jahre nach Eröffnung dieses Monuments zum Gedenken an die ermordeten Juden Europas hat man dies Konzert initiiert. In kurzen Ansprachen davor wird an die Bedeutung, an den Streit um dies Monument zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz erinnert, an den geschichtsträchtigen Ort nahe der ehemaligen Reichskanzlei. Die Entscheidung des Bundestags dafür – es war die letzte vor dem Umzug des Parlaments aus Bonn nach Berlin – war richtig, sagt Vizepräsident Wolfgang Thierse.
THIERSE: Die Entscheidung war gut und das Denkmal ist richtig und angemessen. Und insofern ist dies Stelenfeld ein Zeichen für das Selbstverständnis dieses neuen Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt hat und hoffentlich diese Lektion niemals vergessen wird.
Die Idee zu einem solchen Konzert gab es schon gleich zu Beginn. Erst jetzt hat man es verwirklicht. Harald Weiss, der sich immer wieder mit Projekten im Freien befasst hat, wurde gebeten. Er hat vielfältige Kontakte zu jüdischen Künstlern, lebt seit 25 Jahren in einem kleinen Dorf auf Mallorca. Zu dem Stelenfeld musste er erst eine innere Beziehung finden. An einem Wintertag kam er nach Berlin.
WEISS: Das war sehr kalt und auch ziemlich einsam. Die Fußstapfen knisterten im Gefrorenen. Da fühlt sich das Denkmal noch stärker an. Da habe ich gesagt, da müsste man etwas erfinden, was diese Quader, die einzelnen Stelen - die einfach nur zum Schwingen bringen. Also keine Komposition, die von außen übergestülpt wird, dass man sich ein Musikstück anhört, sondern umgekehrt, die Musik soll auslösen, dass der, der sich dazwischen befindet, seine eigenen Gedanken oder sein Bewusstsein stärken kann.
Auf Verstärkung wurde bewusst verzichtet. Der Verkehr musste deshalb auch für einige Stunden still gelegt werden.
WEISS: Das war sogar Bedingung dabei. Weil ich denke, der Parameter der Ortung, dass Instrumente aus verschiedenen Bereichen kommen, kann nur dann wirken, wenn es keine PA gibt, die alles noch mal verstärkt. Dann ist es ja nur wieder dieser Einheitsmix.
Für Dirigent Lothar Zagrosek gab es nach den Proben im Saal nur eine Probe am Ort.
ZAGROSEK: Das ist ein Stück, das total den Raum aufnimmt. Ein Stück der Stille, des Gedenkens, ein Stück, das berichtet von dem, was dieses Stelenfeld auch berichtet: von einem unfassbaren, massenhaften Töten, das nur begriffen werden kann über individuelle Schicksale. Und das ist auch das Thema dieser Musik: Gedenken, Masse, Individuum.
Gleichwohl – wenn man kurz zuvor selber ein Konzentrationslager wieder besucht, die Orte des Folterns und Tötens gesehen hat – man konnte hier beim Konzert „Vor dem Verstummen“ sicher seine Gedanken sammeln. Aber was das Erinnern anlangt, zum Beispiel im Brandenburgischen Fürstenberg: Da findet man zwar gut sichtbare Hinweistafeln zur Draisinen-Bahn, nach wie vor aber nur mit Mühe zum früheren Frauen-KZ Ravensbrück.
Karlheinz
Stockhausen starb
am 5. Dezember 79jährig. Mit ihm ist einer der ganz großen Innovatoren der Musikszene
nach dem Krieg tot. Er war sowohl ein großer Selbstdarsteller wie auch ein unbedingt
Insistierender. Ihm in die stechenden Augen zu schauen, ihn zu beobachten beim
Einrichten am Mischpult, war immer ein besonderes Erlebnis. Stockhausen, das war
ab der Flower-Power-Zeit ein Familienunternehmen. Die ganze Familie mit den
verschiedenen Frauen, Geliebten, Kindern wurden eingespannt. Er blieb der
Boss.
Schwer erträglich manchmal seine
philosophischen Ergüsse. Berühmt-berüchtigt seine "Erkenntnisse" zum New Yorker
11.September 2001 als größtes
Kunstwerk schlechthin.
Im Unterschied zu Richard Wagner konnte er eine zyklische Aufführung seines
Gesamtkunstwerks "Sieben Tage aus
Licht" nicht erleben. Der Hügel bei seiner Villa in Kürten, den er für ein
Festspielhaus nach eigenem Gusto vorgesehen hatte, blieb unbebaut. Und von Udo
Zimmermanns "Grünem Hügel" in Dresden-Hellerau stiegen auch nur Luftblasen auf.
Sinn hätte das ohnehin nur gemacht, wenn er die Realisierung in wirkliche
künstlerische Hände gegeben hätte. Dazu war er nicht bereit. Die eigenen
szenischen Versuche zwischen Eurythmie und Technikshow grenzten nicht selten
an Kitsch. Die dennoch mit ihm arbeiteten, mussten es ertragen. Das
autoritäre Denken, in dem er in der Nazizeit aufwuchs konnte er nie ganz
überwinden. Aber daraus resultierte auch die Energie, die dieses Werk in
"Gruppen", wie er sein wohl wichtigstes Werk nannte, überhaupt erst
ermöglichte.
Mit ihrem „Tanzplan Deutschland“ konnte die Kulturstiftung des Bundes schon die Tanzszene revitalisieren. Nun will sie auch der zeitgenössischen Musik neue Impulse geben. „Netzwerk Neue Musik“ heisst das Projekt. Gefördert werden sollen damit 15 Initiativen, die, so der Pressetext, „eine nachhaltige Vernetzung und kreative Vermittlung der Neuen Musik an eine breite Öffentlichkeit versprechen.“ Von Kiel bis Passau, Freiburg bis Berlin reichen die von einer Jury vorgeschlagenen Projekte. 18 Millionen Euro werden dafür in den Jahren 2008 bis 2011 fliessen, gemeinsam finanziert von Bund, Ländern und Gemeinden, 12 Millionen kommen von der Stiftung. Man wolle hier, so Beat Furrer, Komponist und Kuratoriumsmitglied, einmal nicht Strukturen fördern, die „nur Geld verschlingen“, sondern die in die Zukunft wirken.
So wurden Projekte ausgesucht, die teils der intensiven Vorarbeit einzelner „Netzwerker“ entsprangen, wie im Raum Stuttgart oder in Passau, oder die gleichsam aus dem Nichts wuchsen wie in Kiel oder in Niedersachsen. Bestehende Förderinstitutionen wie „Villa Musica“ in der Pfalz wollen ihre Aktivitäten auf neue Musik ausweiten. Oder es sollen die zersplitterten Kräfte etwa in Köln und auf andere Weise in Dresden gebündelt werden – auch eine organisatorische Herausforderung. Zielgruppe sind auch die Vermittler. Denn wie sich bei einer Initiative im Rahmen des Kulturhauptstadt-Essen-2010-Programms zeigt, jedem Kind im Ruhrgebiet das Erlernen eines Instruments zu ermöglichen, ist das Interesse zwar riesig, aber nach dem Kulturabbau der letzten Jahre fehlt es nun an Pädagogen.
Die Anregung zu der „Neue Musik“-Initiative kam, wie Hortensia Völckers, Chefin der Kulturstiftung, im Gespräch sagte, von Bundestagspräsident Norbert Lammert. Neue Musik, die in den 70er Jahren eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit hatte aber nun selbst an Orten wie Donaueschingen in Bedrängnis geriet, soll wieder aus dem Nischendasein geholt werden. Und wichtig wird es sein, regionale Besonderheiten mit einzubeziehen. In einer Art Schneeball-Wirkung könnte das, wie sich im norddeutschen Raum schon zeigt, auch die tradierten Musikveranstalter wieder ermutigen zu neuen Initiativen.
Ein fast biblisches. Des Menschen Leben währet 70 Jahre und wenn’s hoch kommt, sind’s 80. Also ich bin schon über die Normlänge. Ja.
Cage ist, glaube ich, schon der wichtigste Neuerer in der Musik der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Was auch so sympathisch war an ihm auch als Mensch: Er hatte so eine große innere Freiheit und auch ’ne Fröhlichkeit.
Ich habe während meines Studiums eine Doktorarbeit über Dynamik bei Schönberg geschrieben. Und da fiel mir schon auf, dass die Musik Schönbergs etwas stark Gestisches hat; dass seine Melodien eigentlich fast unabhängig von den Tönen sind und auffahrende oder besänftigende oder weiß ich was Gesten sind, und deswegen konnte er dann ganz leicht solche Melodie-Linien mit 12-Tonreihen versehen, wo’s eigentlich gar nicht darauf ankam, welchen Ton jeweils die Melodie betraf. Und das hat sich dann fortgesetzt in Stücken, in denen ich das Optische einkomponiert habe: die Stücke „Visible Music“ oder „Nostalgie“ für Dirigenten und Spieler. Und das Interesse an der optischen Seite der Musik hat mich dann wohl auch zum Theater gebracht.
Ich habe schon gedacht, dass man das so empfinden wird. Ich finde das neue Stück noch doch auch konzepthaft und es ist fast auch eine Patchwork-Komposition. Sie hat auch mehrere Schlüsse, sie zerläuft. Aber insofern hat das Stück schon auch Summen-Charakter auf jeden Fall, als es die beiden Teile der „Sinfonie X“, die es seit der Uraufführung in Donaueschingen gibt, vervollständigt durch einen neuen Teil, der nun den Chor und die Solo-Stimmen einbezieht. Also es wird in gewisser Weise das Maß voll gemacht, ähnlich wie in der Neunten von Beethoven oder in Stücken von Mahler oder auch Skrjabin.
Es gibt schon Stücke, die ich sehr gerne höre. Also ich habe immer noch eine große Verehrung für den Großmeister Stockhausen. Vor zwei Jahren habe ich ein Konzert in München gehört mit neuen Stücken von Boulez, die ich auch wunderbar fand. Ich liebe Xenakis, ich liebe Feldman, ich liebe Scelsi. Ja, ich könnte da noch einiges weiter nennen.
Der Geburtstag ist ja der Tag nach dem Konzert, und die Einstudierung und die Proben – das hat mich schon ziemlich strapaziert. Und vorher war ja auch schon ein Jahr lang härteste Arbeit am Partitur-Schreiben und am Ausdenken und Entwerfen von Musik. Ich glaub’, ich werde am Geburtstag ziemlich kaputt sein und vielleicht ein bisschen was unternehmen mit Kindern und Enkel-Kindern, die anreisen.
Am 20.Mai 2018 (dem Pfingst-Sonntag)
verstarb Dieter Schnebel
88-jährig.
Das Volk verübt Lynchjustiz an dem als „Verursacher“ der Naturkatastrophe
geouteten Paar. Heinrich von Kleists Novelle über das Erdbeben in Chili
spart nicht mit kräftigen Bildern. Und gerade diese Drastik hat den
Komponisten und evangelischen Theologen Dieter Schnebel fasziniert. Die
Geschichte über die höhere Tochter, die an einem Fronleichnamstag mitten auf
den Stufen des Doms zu Santiago mit einem Kind von ihrem Hauslehrer
niederkommt, dann ins Kloster gesteckt wird und ihr Liebhaber ins Gefängnis,
bis das Erdebeben beide zunächst aus ihrer Gefangenschaft befreit – den Text
deutet Schnebel in einer Art gehobenem Sprechgesang wie eine „szenische
Lesung“. Was Kleist selbst „vorkomponiert“ hat, hat er noch gesteigert. Und
er bettet es ein in Zeugnisse aus dem Leben und Sterben Kleists. Einzelne
Punkte des Geschehens wie die Widerbegegnung der beiden Liebenden nach dem
Beben unter einem Granatapfelbaum werden in miniaturisierten musikalischen
Szenen besonders eindrucksvoll herausgearbeitet.
Inszeniert hat das Cornelia Heger. Der Regisseurin gelingt es freilich
nicht, der Erzählung eine eigene Schicht einzuziehen. Sie verlegt sich aufs
pantomimische Verdoppeln und Symbolisieren. Geweihe werden zitiert für die
Liebes-Sommernacht nach dem Beben, ein ganzer Hausrat vom Schneebesen bis
zum Kartoffelkorb wird bewegt, um die Zerstörung des Alltags der Menschen
durch das katastrophische Einbrechen der Natur anzudeuten. Die Passagen mit
den Kleist-Zitaten – am Ende aus Kleists berühmtem Text über das
Marionettentheater – müssen die Sängerdarsteller, abgehoben gleichsam vom
Boden, auf Feuerwehrleitern rezitieren. Eine fantasiereichere Umsetzung
seines St.Jago hätte man dem bald 75-jährigen Komponisten Schnebel
gewünscht. Die Uraufführung vor anderthalb Jahrzehnten besorgte Achim
Freyer. Kleist, der mit seiner Novelle wohl das Beben von Lissabon im Auge
hatte, macht die gerade heute bedenkenswerte Ambivalenz von Naturgewalten
deutlich.
In Berlin spielte man das Stück im Rahmen des als Wintertreff für
zeitgenössische Musik im siebenten Jahr sich mausernden, von den Sendern
Deutschlandradio und RBB getragenen „Ultraschall“-Festivals im Kleinen Saal
des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Der Kaufhausversender Otto hat dort
einen multimedial nutzbaren Raum gestiftet, der hier in seinen Möglichkeiten
gut genutzt wurde. Einiges versprochen hatte man sich auch von einer anderen
musiktheatralischen Expedition, einem Gemeinschaftsprojekt dreier
Komponisten Moritz Eggert, Helmut Oehring und der irischen
Improvisationskünstlerin Jennifer Walsh. Kommander Kobayashi nennt die sich,
eine Odyssee in den Weltraum. Musikalisch hat das von einer freien Truppe,
Novoflot, mit der Hamburger opera stabile und den Sophiensælen koproduzierte
Opus durchaus interessante Momente. Szenisch allerdings muss man viel
Grimassieren und albernen Außerirdischen-Kitsch ertragen. Auf drei Stunden
ist diese „Opernsaga“ schon jetzt übermäßig gedehnt.
Ein anderer Schwerpunkt des kleinen Festivals war die britische Szene. Zumal
das Konzert mit dem Deutschen Symphonie Orchester unter dem als „Composer in
residence“ hier derzeit lebenden George Benjamin ließ aufhorchen. Es gibt in
England eine junge sehr muntere Szene, die einen farbigen und auch
rhythmisch betonten Stil pflegt. Einer davon: Martin Suckling. Er ist 23,
ein Schüler von Benjamin. In seinem Play lässt der Schotte seiner
Spielfreude freien Lauf. Aber auch klanglich war das fast altmeisterlich
gekonnt.
Telefonnummern, Namen, Notizen. Fein säuberlich auf einem Dina-A4-Blatt. Umkringelt, abgehakt, durchgestrichen. Das sind die einen Ausstellungsstücke. Oder auch: Collagiertes. Fundstücke vom Schreibtisch, eine Briefmarke, eine Pillenhülle, der Aufkleber eines Markenapfels, farbige Zettelchen. Oder: der Entwurf einer Gitarrenstimme, über der Linie notiert die Reihe; dann abgebrochen und mit einer roten Schraffur verwandelt in eine bizarre Grafik. Abfälle heißt die Ausstellung der Galerie Gelbe Musik in der Berliner Schaperstraße. Eine kleine Hommage an Dieter Schnebel zu seinem 70.Geburtstag. "Abfälle" eingeführt ist der Begriff in die Kunst des 20.Jahrhunderts seit Marcel Duchamp. Bei Schnebel birgt er aber noch eine andere Bedeutung.
Als einen Konzeptualisten kennt man Schnebel, den Komponisten, früheren Gymnasiallehrer, Hochschulprofessor und Theologen. Eine Leitfigur war für ihn immer John Cage und seine Ästhetik der Gleichberechtigung des Gleich- und Ungleichzeitigen. Auch die materiellen Ab-Fälle auf dem Weg gehören für Schnebel mit zum ja immateriellen Werk.
Mit Symposien, Konzerten feiert man Dieter Schnebel. Auch ein informeller Gottesdienst gehörte mit zum von Freunden und Studenten organisierten Programm unter dem Motto Innehalten. Am Geburtstags-Abend kommt in der Hochschule der Künste unter dem Titel OrchesterUtopie ein Stück zu seiner erst zweiten Aufführung, das in den 70iger Jahren ein Versuch war, Eigenkreativität auch bei Orchestermusikern zu stimulieren. Musik als Prozess, Auflockerung von fest gefügten Strukturen und Hierarchien - das sind wiederkehrende Komponenten in der Arbeit Schnebels. Die Instrumentalisten des WDR-Sinfonieorchesters, für die die 21 Phasen dieser Konzept-Raum-Komposition entworfen wurden, waren zu Ungewohntem gefordert. Sie sollten improvisieren zu Abschnitten, die da etwa heißen: Ein-Klang, Aufbrüche, Rufe, Opfer, Sternmarsch, Natur, Trauermusik, Auseinander, Trommeln. Fast wäre die Aufführung, für die es nur rhythmische Modelle, Skalen, Tonlisten und verbale Anweisungen gibt zur klanglichen, räumlichen und dramaturgischen Gestaltung des Materials - fast wäre die Aufführung 1978 in Köln gescheitert. Was war so schwierig bei Orchestra?