semperoper 2007-10

 

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Abschied im Rollstuhl

Gounods „Faust / Margarete“ in der Regie von Keith Warner zum Ende der Intendanz Gerd Uecker

05.Juni 2010

Die Kostümschneiderei hatte diesmal alle Hände voll zu tun. Fast in jeder Szene neues Personal: Leichtbekleidete Grisetten, ehrwürdige Hausfrauen, junge Mädchen in Frühlingskleidchen, Soldaten in Kampf- und Paradeuniform, Studenten im feinen Wichs, Geistliche im vollen Ornat, Schwestern als graues Psychiatrie-Personal. Aber auch die Abteilung Bühnenbild durfte aus dem Vollen schöpfen. Ein Riesen-Rasierspiegel schwebt da etwa bedrohlich über der ersten Szene. Dazu musste auf der fast permanent rotierenden Drehbühne eine Art Panorama aus zwei ineinander kreisenden, mit Türen sich öffnenden Wandelementen geschaffen werden. Für den Mittelteil dann herbstliche Bäume, die auch schon mal ihr Laub abrieseln lassen, gut verpackt in gläsernen Türmen. Und zum Schluss als quasi Conclusio beider Bildideen ein ganzer Wald von Spiegeln, fast wie beim Zahnarzt. Der hat zwar gar nicht gebohrt, aber ein bisschen weh tat’s schon, wie unserem Faust da auf den Zahn gefühlt wurde.

Anfangs sieht man den Grübler aller Grübler mit grauem Haar in einem Rollstuhl vor einem Haufen Bücher kauern, aber erst muss er mal zur Flasche greifen. Und er versucht es immer wieder, obwohl es ihm schwer fällt. Bis dann ein würdevoller Herr im dunklen Umhang auftaucht und mit elegantem Schnurrbärtchen sich als der Bringer allen Glücks der Welt vorstellt. Mit einem Hops sehen wir einen kindlichen Faust über die Bühne springen und staunen. Dann der erwachsener werdende junge Faust, der grauer und grauer wird und immer häufiger von Herrn Mefisto in seinen Rollstuhl verbannt wird. Gerade mal, dass er der Herzensdame Margarethe nicht nur aus fünf Metern Entfernung seine Liebeschwüre übermitteln darf. Ja und das Baby haben ihr wohl Mefistos Hunde in den Bauch gepflanzt, die sich über die junge Dame hermachen. Und sogleich hat Margarethe ihr Balg gegen rohe Soldatenhände und bösartige Schwestern zu verteidigen, bis sie auf dem Feuerstuhl landet, und ihr verpfuschtes Leben endet.

Nein, ein geistig-sinnlicher Höhenflug war diese Premiere an der Dresdner Semperoper nicht, mit der sich ihr Intendant Gerd Uecker in den Ruhestand verabschiedete. Einst als Operndirektor für den Dirigenten Giuseppe Sinopoli nach Dresden geholt, musste er nach Sinopolis plötzlichem tragischem Tod 2001 die ganze Verantwortung übernehmen und war damit immer überfordert. Keith Warner, der als Regisseur für diese Abschlusspremiere verantwortlich zeichnet, hatte schon die Faust-Version von Hector Berlioz an dem Haus in Szene gesetzt und dabei vor allem den Chor immer schön auf Tribünen verteilt. Hier in der Faust-Version von Charles Gounod dürfen die Choristen immerhin auch mal das Tanzbein schwingen. Aber nach einem irgendwie gearteten Interesse an dem Stoff sucht man bei Warner vergebens. Seine Bühnenbildnerin Es Devlin schafft dafür das kitschig-bunte Ambiente.

Immerhin hat man mit Wookyung Kim einen Faust-Sänger mit strahlendem Tenor, der auch die Spitzentöne glänzend meistert. Maria Fontosh als Margarethe wirkt anfangs etwas angestrengt, vermag sich aber zu steigern. Donnie Ray Albert ist ein alerter Mephistophéles. Am Pult der Staatskapelle waltet Alexander Joel, der den Riesenapparat gut zusammen und in Schwung hält. Leicht zeitversetzt in den ersten beiden Teilen wurde die Premiere auch auf den Vorplatz zum Public Viewing projiziert. Die Besuchermenge hielt sich in überschaubaren Grenzen. Durch Kameraschnitte war das auch wohl etwas interessanter als im Saal. Und der Jubel des Publikums war hier wie dort einhellig. Was will ein Intendant eigentlich noch mehr?


Wenn Wünsche wahr werden

Franz Schmidts „Notre Dame“ - oder: Zuflucht beim Hausmeister

18.04.2010

Die Dresdner Semperoper rüstet sich für einen Leitungswechsel. Da wollten der scheidende Intendant Gerd Uecker und sein allerdings nun vorzeitig entsprungener GMD Fabio Luisi noch mal heftig die Glocken läuten. Ihr Begehren richtete sich auf Franz Schmidts 1914 in Wien uraufgeführte Oper „Notre Dame“. Die ist heute nur noch präsent in Wunschkonzerten mit dem Zwischenspiel. Schmidt hat diese Geschichte über unerfüllte Männerfantasien Victor Hugos gleichnamigem Roman nachempfunden. Im Mittelpunkt: die „Zigeunerin“ Esmeralda, die, als „Hexe“ gebrandmarkt, von der Menge verfolgt wird und Kirchenasyl sucht in der mittelalterlichen Kathedrale Notre Dame.

In ein rauschendes Klangbad à la fin de siècle hat der Komponist das getaucht. Und Gerd Albrecht, der nach Luisis abruptem Abgang vom Pult das Projekt übernommen hat, kostet es in dem vergrößerten Graben der Semperoper voll aus. Zumal wenn das schillernd-sehrende Zwischenspiel erklingt, entfaltet sich die ganze Pracht der Staatskapelle. Leitmotivisch wie ein Ariadnefaden durchzieht diese der Esmeralda zugeordnete Musik die ansonsten eher liedhaft-schlicht komponierte Oper. Dass Schmidt kein genuiner Musikdramatiker war, merkt man der Musik leider an. Albrecht und Regisseur Günter Krämer haben sie denn auch gestrafft auf einen Zwei-Stunden-Abend.

Krämer zeigt die wegen eines Gelübdes bislang „keusch“ gebliebene Esmeralda von Anfang an als für den Elektrischen Beicht-Stuhl Stigmatisierte. Im orangenen Anstalts-Overall sitzt sie zu Beginn als Double sich selbst gegenüber vor einer Glasscheibe, gefesselt in diesem Stuhl. Hinter der Glasscheibe taucht immer mal wieder die echte Esmeralda auf als erotisches Objekt, nach dem die Männer grapschen. Das Kirchenasyl verlegt Bühnenbildner Herbert Schäfer in einen mit übergroßen Lettern wie Säulen oder Kirchtürmen vermüllten Raum. Esmeralda sitzt oben auf einem dieser neun Buchstaben. Unten geißelt sich der sie ebenfalls begehrende und zugleich ihre Hinrichtung betreibende Archidiakon vergeblich ob seiner „Sünde“.

Eher skizzenhaft bleibt ansonsten Krämers Regie. Die machtvollen Chöre fügt er nur als Oratorium ein. Camilla Nylund gibt mit heller Stimme die von Kostümbildner Falk Bauer als umschwärmte Marilyn Monroe gestylte Esmeralda. Markus Butter ist der seiner sexuellen Begierden nicht mächtig werdende Priester, Robert Gambill der letztlich auch unerfüllt bleibende, ihr aber am nächsten kommende Polizist Phoebus. Jan-Hendrik Rootering singt eindrucksvoll den buckligen Klöckner Quasimodo als Esemeralda schützenden Hausmeister im grauen Kittel. Musikalisch ist das gewiss eine interessante Fußnote. Großer Jubel denn auch am Ende beim Premieren-Publikum in der Semperoper.


Neustart

Thielemann vorgestellt als neuer Musikchef

10.Febr.2010

Der bisherige GMD der Semperoper und designierte Musikchef der Oper Zürich, Fabio Lusi, wird nicht mehr an das Dresdner Haus zurückkehren. Einen entsprechenden Brief Luisis bestätigte die Sächsische Kulturministerin Sabine von Schorlemer auf einer Pressekonferenz in Dresden, bei der Christian Thielemann, ab 2012 Chefdirigent der Semperoper, seine Projekte vorstellte. Zum Eklat mit Luisi war es gekommen, weil Thielemann auf Einladung des ZDF ab diesem Jahr die Silvesterkonzerte leiten soll mit der Staatskapelle als Orchester. Luisi war als deren GMD offenbar in die Planungen nicht einbezogen worden und hat nun seinen Dresdner Vertrag vorzeitig gekündigt. Die Juristen und gegebenenfalls die Gerichte müssen klären, ob diese Kündigung gültig ist, was der Freistaat bezweifelt.

Thielemann will, „aus Schaden klug geworden“, als künftiger Nur-Chefdirigent (nicht GMD) vor allem das „Dresdner“ Repertoire (Weber, Wagner, Strauss) weiter pflegen, dazu auch den späten Verdi und Puccini. Sein Konzert-Repertoire will er behutsam erweitern. Kooperationen mit dem Festspielhaus Baden-Baden sind geplant, wo es eine neue „Ariadne“ und auch einen neuen „Ring“ (2013) zuerst geben soll. Thielemann hofft, dass „die Besten der Besten“ (Sänger wie Solisten) in Dresden sich die Klinke in die Hand geben. Und auch das Publikum will man vor allem in das Dresdener Haus locken. Eine intensive Medien-Zusammenarbeit und auch Konzerttourneen, unter anderem 2011 zum Festival in Luzern, sind gleichwohl verabredet.

Die Zusammenarbeit mit der ab Herbst amtierenden künftigen Intendantin Ulrike Hessler verglich der 50-Jährige mit einer „Ehe“. Mitsprache bei den Regisseuren beanspruche er nur für „seine“ Stücke. Eine weitere Chefposition wolle er nicht annehmen. Bei der Dresdner Staatskapelle und ihrem spezifischen Klang habe er sich von Anfang an „aufgehoben“ gefühlt. Seit Giuseppe Sinopoli, der 2001 tragisch während einer Aufführung in Berlin am Pult zusammenbrach und starb, ist Thielemann der erste der Staatskapelle abgemessene Dirigent, auch wenn beide vom Temperament her unterschiedlicher nicht sein könnten. An Berlins Deutscher Oper begann beider große Karriere.


Fabio Luisi wirft in Dresden das Handtuch

03.Febr. 2010

Luisi geht. Das ließ der bisherige Dresdner Opern-GMD über sein Hamburger Medienunternehmen verlautbaren. Als Grund wurden «unterschiedliche Auffassungen zu den künstlerischen Kompetenzen und letztendlich zur künstlerischen Ausrichtung der Sächsischen Staatskapelle Dresden» genannt. Luisis Kündigung erreichte das Kulturministerium in Dresden per E-Mail erst nach der öffentlichen Verlautbarung.
Luisi hatte im Sommer 2009 angekündigt, nach 2012 nicht mehr länger in Dresden bleiben zu wollen. Etwas später gab er bekannt, dass er als Generalmusikdirekter ans Opernhaus Zürich wechseln werde. Als Nachfolger für das Amt des Chefdirigenten in Dresden steht Christian Thielemann bereits fest. Luisis vorzeitiger Abgang kommt nicht überraschend.
Allerdings sorgten die Umstände des Rückzugs an der Elbe für Staunen. Die Staatskapelle wurde in Kopenhagen auf einer Skandinavien-Tournee von der Meldung überrascht. Der 51-jährige Luisi hatte die Tour (wie auch schon andere geplanten Auftritte) aus gesundheitlichen Gründen abgesagt. Für ihn sprang Neeme Järvi ein.
Unklar ist jetzt, was aus den anstehenden Produktionen in der Oper wird. Luisis Medienberater Henry C. Brinker sprach von einer außerordentlichen Kündigung, da der bis 2012 geltende Vertrag keine Ausstiegsklausel enthalten habe. Offenbar gab das geplante ZDF-Silvesterkonzert mit der Staatskapelle den Ausschlag. Das Orchester wollte den publikumswirksamen Auftritt schon mit Thielemann absolvieren.
Besonders große Tränen muss man ihm in Dresden ohnehin nicht nachweinen. Schon seine Ernennung hatte Verwunderung ausgelöst. Lediglich mit seinen Dirigaten im italienischen Fach konnte Luisi einigermaßen überzeugen. Mit den Dresdner Lieblingskomponisten Wagner und Strauss tat er sich schwer - trotz der massiven PR, die zu seinen Gunsten immer wieder gestartet wurde.


Operette vom Nil

Jens-Daniel Herzog inszeniert Händels „Giulio Cesare in Egitto“

13.Dez. 2009

Da hat der Sicherheitsdienst wohl nicht richtig gecheckt. Zum „lieto fine“, dem glücklichen Ende für das neue Superpaar Caesar und Cleopatra, landet auch eine Koffer-Bombe auf dem Brautbett. Alle stieben auseinander, und der mörderische Streit zwischen Eroberern und Eroberten verschärft sich erneut. Caesars Armee tanzt hier in Rommels Uniformen an, auf dem Thron Ägyptens sitzt als Ptolemäus ein von seiner Schwester Cleopatra zum Gespött gemachter Faruk, der sich aber zu rächen weiß und an Grausamkeit es mit den Eroberern gern aufnimmt.

Turbulent geht’s zu in Jens-Daniel Herzogs Einrichtung des Händelschen „Giulio Cesare in Egitto“. Das Werk über den Ägypten-Eroberer Caesar stammt aus Händels glücklichster Zeit als Komponist italienischer Opern in London, uraufgeführt 1724. Sorgfältig wie nie zuvor strukturierte Händel die Handlungsfäden. An Dresdens Semperoper versucht man sich nach einem Dreiviertel-Jahrhundert erstmals wieder an einer Händel-Oper. Kraftlos kommt dieser Neu-Start nicht daher, wenn auch nicht gänzlich überzeugend. Zusammen mit dem Choreografen Ramses Sigl zeichnet Herzog die Ägypten-Eroberer eher als Operetten-Armee, die mit aufgesetzten Übungen ihrem Chef salutieren. Dabei sieht man gerade heute wieder, dass eher die Chefs die Lachnummern sind und das Fußvolk die bedauernswerten Opfer.

In einem Lauer-Ballett umschleichen sich Eroberer und Eroberter samt Anhang und wünschen sich heimlich den Tod. Cleopatra umzirzt den Cesare unter falschem Namen mal als Bauchtanz-Sirene, mal als Schaumbad-Venus. Tolomeo, alias Ptolemäus, knallt seine Verräter mit aufgesetztem Pistolenschuss alle einzeln ab – und die Wächter fleddern dann die Leichen nach Wertgegenständen. Als eine Art „running gag“ inszeniert Herzog die Parallelhandlung: wie Witwe und Sohn des Caesar-Konkurrenten und Ägypten-Flüchtlings Pompejus sich zu rächen versuchen an Tolomeo, dass er als Gastgeschenk für Caesar das Haupt ihres Ehemanns in einer Hutschachtel überreichen lässt. Pompejus steuert als Geist aus dem Jenseits gleichsam die ratternde Mordmaschinerie. Rache erzeugt Rache will das sagen, auch wenn es etwas unscharf bleibt.

Die Bühne von Mathis Neidhardt ist ein lehmfarbener Kubus mit fallbeilartigen Schiffsschotten. So ist der Raum leicht veränderbar, wenn auch oft zu wenig definiert. Am Pult sorgt Alessandro De Marchi mit der Staatskapelle für einen weichen, dem Barock angenäherten vibrato-armen Klang. Von den Sängern können insbesondere Anke Vondung als überaus koloraturen-gelenkiger Cesare beeindrucken, aber auch Christa Mayer als die Pompejus-Witwe Cornelia und Janja Vuletic als ihr zum Morden unbrauchbarer Sohn Sesto. Etwas enttäuschend Laura Aikin als Cleopatra. Händel zeichnet sie anfangs als ehr oberflächliches Wesen, das den Schmerz erst erfahren muss, um zu sich selbst zu finden. Überhaupt gibt es in dieser Oper neben den Kampfes-Arien Caesars überwiegend Nummern, die Einsamkeit und Todesqualen der Figuren beleuchten. Mit etwas leichter Hand geht die Regie darüber hinweg.

Auch hätte eine behutsame Kürzung der Partitur dem inneren Fluss des fast vierstündigen Abends gut getan. Das Regieteam musste denn auch am Ende einige Buhs einstecken für die ansonsten bejubelte Aufführung.


Thielemann ab 2012 Chefdirigent in Dresden

10.10.2009

Der Dirigent Christian Thielemann hat seine neue Heimat gefunden: Dresdens Staatskapelle wird er ab 2012 als Chefdirigent leiten. Dann kann er auch endlich wieder Oper machen. Und er bekommt das Leib- und Mageninstrument seines großen Vorbilds Karajan in die Hand, der Wagners "Wunderharfe" als reines Gold bezeichnete.
Eigentlich hätte man in Dresden ja einen GMD gebraucht, der auch für den Alltag mit zuständig ist. Aber da tun sich dann neue Jobs auf für Thielemann genehme Nachwuchskräfte. Dass er die Dirigenten neben sich in München nicht bestimmen konnte, hatte ja dort zum Eklat geführt und zur Nichtverlängerung seines Vertrags über 2011 hinaus dort.
Das Wagner-Strauss-Repertoire wird in Dresden nun sicher eine Gralsburg finden - was das Orchester anlangt. Ob auch die passenden Sänger gefunden werden, steht auf einem anderen Blatt. Sicher erhofft sich die künftige Semperoper-Intendantin Ulrike Hessler da kostengünstige Optionen durch die Attraktivität des Namens Thielemann. Denn die großen Namen leisten kann man sich nach wie vor nicht.
Eine zaghafte Erweiterung seines doch sehr schmalen Repertoires hat er ebenfalls angekündigt. Er will sich dem Archipel Schostakowitsch nähern. Vorher müsste er allerdings wohl erst noch in Mahler sich vertiefen.

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Christian Thielemann unterschreibt Vertrag als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden ab 2012

Christian Thielemann 16.12.09Christian Thielemann hat am Mittwoch, den 16. Dezember 2009, seinen Vertrag als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden ab 2012 unterschrieben. Dies tat er in Anwesenheit der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Sabine von Schorlemer, in einem nicht-öffentlichen Termin in der Dresdner Semperoper.

Thielemanns Vertrag beginnt am 1. August 2012 und läuft über sieben Jahre bis zum 31.Juli 2019. Er beinhaltet pro Spielzeit mindestens 45 Dirigate im Konzert- und Opernbereich, davon in Dresden mindestens zwölf Sinfoniekonzerte (vier Programme), drei Sonderkonzerte und zwölf Opernaufführungen. Außerdem sieht der Vertrag mindestens 18 Tourneekonzerte mit der Staatskapelle Dresden pro Saison vor.

Inhaltliche Details zu zukünftigen Konzert-, Opern- und Medienprojekten Thielemanns mit der Staatskapelle Dresden werden in einer Pressekonferenz Mitte Februar 2010 der Öffentlichkeit vorgestellt. Im gleichen Zeitraum dirigiert Christian Thielemann in der Semperoper anlässlich des Dresdner Gedenktages Beethovens «Missa solemnis» (Konzerte am 13. und 14. Februar 2010).


Typ Amy Winehouse oder: eine Schlange mit Speed

Fabio Luisi und Andreas Homoki mit Verdis „la traviata“

02. Okt. 2009

Eine Skandalnudel, Typ Amy Winehouse, ist diese Violetta. „Vom Weg abgekommen“, wie sie im Stück-Titel genannt wird, scheint sie nicht, sondern ganz bei sich. Mit kniekurzem giftgrünen, schwarz-rot gemusterten Kleidchen, halb schulterfrei und dem schwarzen Nest-Dutt als Langhaar-Teil stakst sie über die Bühne. In die Usancen der Partygesellschaft wird Neuling Alfredo gleich zu Beginn eingeweiht. Er muss ein Häufchen Koks in die Nase schniefen. Und alle krümmen sich schier vor Lachen darüber, wie er sich anstellt.

Das Liebesspiel, das vom ersten Show-Kuss des frischen Paars gekrönt wird, ist so kurz wie die Fummel der Rock-Lady. Die Folgen sind gleichwohl sichtbar. Fürs Ausnüchterungs-Landleben kleidet sich die junge Frau in Jeans-Röckchen mit Karojacke und Internats-Kniestrümpfen. Der Vater Alfredos, der seinen Sohn von ihr loseisen will, ist ein arg biederer Typ wie der Onkel von der Käse-Reklame. Sogar die ganze Rest-Familie hat er im Gepäck, um den Sohn heim zu holen. Der reißt seiner einstigen Geliebten, als er nach geraumer Zeit zu ihr zurückkehrt, das Haar-Teil vom Kopf und ihren nun modisch schwarz-gelben Fummel vom Leib. Da erst wird kenntlich, dass sie eine Moribunde ist. Krebskrank oder sowas, schleppt sie sich nur mühsam über die Bühne. Der Tod kommt schnell und plötzlich wie ihre Liebe. Eine Schlange mit Speed.

Andreas Homokis Inszenierung von Verdis „la traviata“ an der Dresdner Staatsoper gehört gewiss zu seinen stärkeren. Schnörkellos führt er die Titelfigur. Für die Chöre allerdings stützt er sich auf sein altes Rein-Raus-Rezept ohne Individualisierung. Dabei sind die Bewunderer der Violetta sehr unterschiedlich kostümiert. Bei Gideon Davey und Frauke Schernau ist von Base-Cap-Jungs bis zu Anzugträgern alles dabei, sogar ein Rudolf Mooshammer und seine Dasy dürfen mit jubeln. Der Arzt scheint auch eher ein Sektenbetreuer, denn aus dem örtlichen Krankenhaus. Eine eigentliche Hauptrolle auf der tiefschwarzen Bühne spielt eine sehr flexible rote Wand, stabil aus Fiberglas und biegbar wie eine Schlange, Wellblech suggerierend. Anfangs schiebt sie sich von der Seite herein, formt sich bei Alfredos erster Arie zum kreisrunden Colosseum. Im Landbild wird sie gezeigt von der schwarzen Rückseite. Und bei Floras Party im zweiten Akt kippt sie zu einer Gleitfläche, von der am Ende Violetta abrutscht wie auf eine Müllkippe. Diese Wand und ein roter Leder-Stahlrohr-Sessel sind die einzigen Requisiten dieses eindrucksvollen Bühnenbilds von Frank Philipp Schlößmann.

Fabio Luisi arbeitet hier zum zweiten Mal zusammen mit Homoki. Vor fünf Jahren war es Puccinis „Turandot“, mit der Luisi an der Semperoper antrat. 2012 werden sie gemeinsam die Zürcher Oper übernehmen. Hier bei Verdi zeigt sich GMD Luisi – im Unterscheid zu seinen Wagner-Strauss-Ausflügen – ganz in seinem Element. Schmiegsam, weich, mit gleitenden Tempi begleiten er und die Staatskapelle die Sänger. Rebecca Nelsen als kurzfristig eingesprungene Violetta bewegt sich sicher auf der Bühne, ihrer vibrato-geschärften Stimme fehlt allerdings etwas die Leichtigkeit. Auch der Alfredo von Wookyung Kim kann mehr mit Kraft als mit Zwischentönen beeindrucken. Und Roberto Servile als Vater Germont ist ein doch auch stimmlich allzu bodenständiger Typ. Fast einhellig ist dennoch der Beifall am Ende für die Sänger und den Dirigenten. Homoki und sein Team werden mit reichlich Buhs empfangen. Im nicht gerade aufregenden Premierenplan der letzten Spielzeit des scheidenden Intendanten Gerd Uecker dürfte diese Produktion dennoch ein dicker Pluspunkt sein.


Flug ins Ungewisse: der bunte Vogel Schönheit

Hans Werner Henzes „L’Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“

01.Juni 2009

Man hört es immer mal wieder, aber man sieht es nicht: Dies Vögelchen mit dem langen, gebogenen Schnabel, der fächerartig auffaltbaren Federhaube und dem schwarz-weißen Schwanzkleid. L’Upupa heißt das Vögelchen, nach dem der in Italien lebende Komponist Hans Werner Henze seine Oper nannte, ein Wiedehopf-Weibchen, in das ein alternder Großwesir sich vernarrt, das ihm entfleucht und das wieder zu fangen er seine drei Söhne ausschickt. Die zwei älteren schaffen’s nur bis zum Stadttor und vertun die Zeit dort mit Würfeln und Bechern. Der jüngste, Kasim, eine Art Prinz Tamino, macht sich brav auf, engagiert einen langhaarigen Dämon, um mit ihm auf die Suche loszufliegen. Es wird zwar so einiges gefunden bei diesem Flug ins märchenhafte Irgendwo, aber so recht mit abheben mag man nicht.

Uraufgeführt wurde „L’Upupa“ vor sechs Jahren in Salzburg. Die Kritiker zogen die Mundwinkel runter zumal ob des Librettos, das Henze aus arabischen Märchen sich selbst gebastelt hatte: etwas geschwätzig, breit, prätentiös. Aber es galt als Henzes letzte Oper. Dann schrieb er doch noch eine, die „Konzertoper“ „Phaedra“, uraufgeführt vor zwei Jahren in Berlin, furios durch das von Olafur Eliasson gestaltete Bühnenbild, die höchst plastische Musik, das stringente, von Henze nur inspirierte Libretto. Inzwischen schreibt der fast 83-Jährige wieder an einem Bühnen-Werk, einer „szenischen Kantate“, wie man hört. Seine musikalische Erfindungskraft, zumal in den instrumentalen Partien auch von „L‘Upupa“, scheint trotz einiger Schicksalsschläge und äußerer Gebrechlichkeit ungebrochen.

Die Dresdner „L’Upupa“-Produktion ist die dritte dieser Oper. Bunt wie die Salzburger und dann die Hamburger ist auch diese, aber mit mehr Geschmack. Die Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer rückt das arabische Ambiente mehr nach Fernost. Roland Aeschlimann hat auf die Drehbühne zwei in sich kreisende Treppen-Gebirge gebaut. Regisseur Nikolaus Lehnhoff muss da im Wesentlichen nur die Auf- und Abtritte arrangieren. Der Dämon, herausragend gesungen von John Mark Ainsley, ist ein zotteliger weißer Vogel, auf dessen Flügeln der brave Sohn Kasim seine Suchaktion startet und erst bei einem gütigen Konfuzius das Wiedehopf-Weibchen einsammelt. Etwas schwieriger bei diesem unendlichen Geschichtsflug ins Reich der Fantasie der Abstecher zu einem lila gewandeten Tyrannen mit gesichtslos schwarzen Security-Männern. Doch Tyrann Dijab entpuppt sich als eine Art Bassa Selim. Die Prinzessin, eine Pippi-Langstrumpf-Pamina in Lachsrosa, die er gefangen hält, erkennt nach einem Quicky mit Kasim in ihm sofort den Mann fürs Leben, und darf unter einer Bedingung auch mit ihm ziehen.

Am Ende freilich bleibt diese Badi‘at die Angeschmierte. Kasim findet es spannender, dem Dämon die Äpfelchen ewiger Jugend zu bringen, als die Prinzessin zu heiraten. Und auch der Großwesir muss den bunten Vogel Schönheit fliegen lassen; die lässt sich nicht einfangen. Henzes schillernde Partitur erklingt mit der Dresdner Staatskapelle unter Stefan Lano in ihrer ganzen farbigen Vogelpracht. Und auch die Sänger sind fast alle grandios. Das Publikum applaudierte am Ende dem in der Loge sitzenden Komponisten mit Standing Ovations. Das „deutsche Lustspiel“ „L‘Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“, wie Henze es im Untertitel nennt, seine Reverenz an Mozarts „Zauberflöte“ plus „Entführung“, harrt freilich noch immer der adäquaten Umsetzung auf der Bühne.


Geschichtsfälschung durch Geschichtsschreibung

Mussorgskis „Boris Godunow“ in der Frühfassung mit René Pape

17.Dez. 2008
Hat der historische Zar Boris Godunow (1598-1605) den eigentlichen Thron-Prätendenten, den Zarewitsch Dimitrij, dessen Geschäfte er führte, getötet, um selber an die Macht zu kommen, oder nicht? Eine Untersuchung damals hatte ergeben, dass nicht. Aber der Bericht darüber blieb geheim. Und der russische Geschichtsschreiber Nikolaj Karamsin, der den geheimen Bericht wohl kannte, schilderte dennoch den Zaren im 19.Jahrhundert als blutrünstigen Herrscher. Modest Mussorgski stützte sich in seiner Oper „Boris Godunow“ auf diese Version.

Das entschiedene Plus dieser Aufführung ist die musikalische Seite. René Pape in der Titelpartie singt einen Zaren Boris mit in allen Stimmregistern gerundetem Klang, voluminös und zart, nuanciert im Ausdruck zwischen Selbstzweifeln und Willen zur Macht, väterlich-fürsorglich und einer möglichen Schuld sich bewusst. Besser kann man diese Rolle sonst derzeit nicht hören und sehen. John Tomlinson als Mönch Pimen ist ein Gegenspieler mit voluminös-sonorer Stimme, der mit bürokratischer Härte Geschichte schreibt nach Gutdünken und eigenem Machtinteresse. Daneben erlebt man in kleineren Rollen eine resolute Hanna Schwarz als Amme der Zarenkinder, den Counter Martin Wölfel als verunsicherten Fjodor, der vom sterbenden Vater Boris am Ende zwar die Krone übernimmt, aber sie nicht halten kann. Wolfgang Schmidt ist mit etwas geschärftem Organ ein zwischen Intrigantentum und Machtstütze schwankender Fürst Schuiskij. Sebastian Weigle am Pult der Staatskapelle gewinnt der als eher spröde geltenden originalen Erstfassung von Modest Mussorgskis „Boris Godunow“ so viele Farben ab, dass man staunt.

Dagegen verblasst die Szene. Regisseur Christian Pahde und sein Ausstatter Alexander Lintl wollen mit ihrer Inszenierung neuere geschichtliche Erkenntnisse über den Regenten Boris Godunow umsetzen, die Mussorgski nicht kannte: Dass Boris nämlich den eigentlichen Thronprätendenten, den Zarewitsch Dimitrij, nicht ermordet habe, wie man ihm später in die Schuhe schob, sondern dass es ein Unfall war, bei dem der Zarewitsch, vom Volk gehetzt, zu Tode kam. Und alle wussten es. In einem längst schon wieder klischeehaften Moskau unserer Tage sieht man anfangs das Volk stochern auf einer Plastik-Müllhalde nach Verwertbarem. Schuiskij treibt den Zarewitsch dorthin, damit er sein Volk kennen lerne. Und dies hetzt den Unerkannten zu Tode. Eine kleine Gedenkstätte mit Totenlichtern wird ihm errichtet. Boris trägt den toten Jungen ratlos weg. Zum neuen Zaren erkoren, will er der gute Herrscher sein, Wohltaten verteilen unters Volk – und wird doch fremd gesteuert von einer mafiosen Halbwelt-Clique mit leichten Mädchen als Begleiterinnen. In schwarzer Putin-Freizeit-Lederjacke spielt der Zar mit seinen sportbegeisterten Kindern. Von seinem Sohn Fjodor, der lieber Männchen malt als Karten zu studieren, lässt er sich das russische Reich erklären, das es zu bewahren gilt.

Der Kreml ist abstrahiert zu einem blutbeschmierten goldenen Kubus. Um die eigene Achse gedreht wird daraus eine mit Fahndungsfotos übersäte Kaschemme an der Grenze nach Litauen. Mönch Pimen residiert in seinem Kloster vor einer Parament-artigen Schreibwand mit doppeltem Boden. Dahinter leuchten andere Bedeutungen auf, als vorn notiert. Immer wieder schreitet der Schreiber zum Shredder, um nicht genehme Blätter der Chronik zu vernichten. Der getötete rechtmäßige Zarewitsch Dimitrij wird am Ende auf ein Prokrustes-Bett geschnürt und wie ein Gekreuzigter als eine Art Menetekel dem Zaren Boris vorgehalten, der ob der Geister-Erscheinungen schließlich stirbt. Mit solchen Bildern arbeitet die Regie. Das ist interessant, auch wenn die eigentliche Frage nach der Legitimität von Zarenherrschaft nicht gestellt wird. Beträchtlich ist der Aufwand. Alle Chor-Ressourcen sind aufgeboten, aber wenig strukturiert. Eine eigentliche Personenführung findet kaum statt. So bleibt doch letztlich papieren, was Pahde und Lintl zeigen wollten: die Fälschung von Geschichte durch Geschichtsschreibung und daraus resultierende Massen-Manipulation.

Das Publikum reagierte am Ende denn auch mit heftigen Buhs fürs Inszenierungs-Team. Gefeiert wurden die Sänger. Und insbesondere René Pape. Zum ersten Mal war der gebürtige Dresdner Welt-Star an der Semperoper in einer Neuinszenierung zu erleben. Und wie er vorab versprach, würde er dorthin gern auch in Zukunft wieder zurückkommen.


Präsentation eines Stars - und was bleibt?

Der Tenor Juan Diego Flórez in Verdis „Rigoletto“

21. Juni 2008

Ein Staraufgebot an Sängern, die man sonst nur vom Namen kennt und für die man vielleicht auch ein bisschen tiefer in die Tasche greift; ein Publikum, das ganz offensichtlich zum Teil von weither angereist ist wegen der Sänger und nicht mit Applaus spart; das Fernsehen an Bord, das die Premiere aufzeichnet und leicht zeitversetzt über „arte“ sendet; eine Inszenierung, die einen geschmackvollen Rahmen bildet und nicht weiter auffällt. So macht Oper Spaß, oder könnte Spaß machen.

Angekündigt war ein musikalisches Großereignis: der erste Deutschland-Auftritt des als Pavarotti-Nachfolger gehandelten Peruanischen Tenors Juan Diego Flórez. Er ist in der Tat eine blendende Erscheinung: schmal, zierlich, leichtfüßig sich bewegend ganz im Unterschied zu seinem Vorbild. Seine Stimme freilich wirkt eher klein, eng, leicht gepresst mit wenigen Farben, kaum lyrischen Valeurs, aber durchdringend hell. Und die Regie hat offenbar wenig mit ihm gearbeitet oder arbeiten können oder wollen. Flórez‘ Gestik wirkt hilflos: Arme breiten, Arme strecken, mal mit wehendem Mantel über einen Tisch laufen und die Teufelshörnchen seiner Hofschranzen streifen.

Neben ihm die Gilda des Abends, Diana Damrau – sie macht eine viel strahlendere Figur, bewegt sich sehr viel differenzierter. Man merkt ihr die schon wesentlich gereiftere Bühnenerfahrung an. Ihre Stimme, wenn auch manchmal etwas breit angelegt, überzeugt mit dem verinnerlichten Ton einer jungen Frau, die von ihrem Vater ängstlich unter Verschluss gehalten wird als reiner Engel und die dann dem erstbesten jungen Mann verfällt, den sie in der Kirche erblickt und der ihr begehrliche Blicke wirft. Und die Gouvernante präsentiert ihr den als armer Student Verkleideten, aber alles andere als schüchternen Herzog direkt hinter ihrem Bett.

Sogar GMD Fabio Luisi, der mit knalligem Dirigat die Wagnerschen „Meistersinger“ zu Spielzeitbeginn in Dresden fast geschmissen und jedenfalls den Sänger des Stolzing zum Abbruch wegen Stimmversagens gebracht hatte, erinnert sich hier bei Verdis „Rigoletto“ der Opern-Tugenden, zumal italienischen Sänger-Theaters. Luisi atmet mit den Sängern, lässt ihnen ihren Raum, führt die Staatskapelle schlank, geschmeidig und mit Eleganz, auch wenn bei den Ensembles nicht immer alles harmoniert zwischen Bühne und Graben.

Was bleibt, wenn die Stars abgereist sind und der Alltag in der Semperoper zu Normalpreisen wieder einkehrt? Regisseur Nikolaus Lehnhoff hat mehr arrangiert als inszeniert. Von Raimund Bauer hat er sich ein schwarz glänzendes Ambiente mit eingehängter Gilda-Sternen-Kemenate bauen lassen. Bettina Walter kleidet die Figuren so, dass man immer gleich weiß, wer die Guten sind und wer die Bösen. Die Hofgesellschaft kommt anfangs in Vogelmasken, später als erweiterter Zoo. Tänzer mit Motorradfahrer-Brillen wirbeln über den Laufsteg-Tisch. Rigoletto, der bucklige Narr (Željko Lucic), zwängt sich anfangs – eine ganz schöne Idee – aus dem Souffleurkasten auf die Bühne, zieht dort erst sein lindgrünes Kostüm über und die Schminke auf. Am Ende, als er die tote Gilda in Armen hält, huschen Wesen in seiner Narrenkappe über die Bühne.

Nach viel Szenenbeifall gab es zum Schluss ‚standing ovations‘ für Sänger und Dirigent, zumal für Diana Damrau als Gilda, und ein paar Buhs für die Regie. Musiktheater, zumal auch was Verdi damit meinte und weswegen ihn der Stoff von Victor Hugo so faszinierte, sähe wohl etwas anders aus. Aber ob dafür dann auch das Fernsehen zu interessieren wäre?


Die Frau in der Kiste

Manfred Trojahns „La Grande Magia“ in Dresden uraufgeführt

10.Mai 2008

Die noch junge Ehe von Calogero und Marta Di Spelta ist brüchig. Er hindert sie an ihrer beruflichen Weiterentwicklung. Sie ist Sängerin, will zur Bühne, hat sich in einen anderen Mann verliebt. Eines Tags ist sie verschwunden. Angeblich wurde sie von einem etwas herunter gekommenen Zauber hinweg gezaubert in eine Kiste. Die kann Calogero nun bequem mit sich herum tragen. Und man verspricht ihm, in sieben Jahren könne er Marta wieder zurück gezaubert bekommen. Aber wird er sich dann noch für sie interessieren? Mit der realen braucht er sich jedenfalls nicht mehr zu befassen. Er hat sie sozusagen als Ersatzteil am Lager. Und Calogero glaubt unbesehen, was man ihm einredet.

Leicht schizoide Figuren haben es dem in Düsseldorf lebenden Komponisten Manfred Trojahn besonders angetan. Schon in seiner ersten Oper, „Enrico“ nach Pirandello, war das ein Thema. Nun fand er bei dem italienischen Komödienschreiber und Schauspieler Eduardo de Filippo in „La Grande Magia“ einen ähnlichen Stoff. Trojahn gilt als Produzent von „Literatur-Opern“; gegen die Kategorisierung wehrt er sich zu Recht. Zusammen mit seinem Wiener Librettisten Christian Martin Fuchs hat er, immer ein bisschen auch sein eigener Dramaturg, das Ganze gründlich umgestülpt, bedient sich lediglich des Plots und des Titels. Nur wenig von dem vielen Zirzensischen in de Filippos sechzig Jahre altem Stück ist beibehalten. Die mancherlei folkloristischen Momente der Vorlage wurden ausgedünnt. Leider hat man nicht auch die Personnage mit ausgedünnt. Als Zuschauer kämpft man sich den ganzen Abend durch dies verzweigte Figurengespinst, wer mit wem warum. Literarische Vorlagen lassen offenbar zu wenig Spielraum.

Mit ihrem parlando-artigen Konversationston changiert Trojahns neue Oper zwischen Komödie und Tragödie. Die Musik hat viele eindrucksvolle Momente, vor allem im Lyrischen. Sie gestattet sich aber auch gelegentliche Ausflüge ins Parodistische: Ein bisschen „Rosenkavalier“, ein bisschen „Ariadne auf Naxos“ klingt an, und auch ein Trio von Straßenmusikant mit Klezmer-ähnlichen Tönen streift über die Bühne der Auftrag gebenden Dresdner Semperoper. Am Ende nach den sieben Jahren – die Zeit ist „ein sonderbar Ding“, hört man im Zitat – taucht die verschwundene Marta tatsächlich wieder auf, singt ein berührendes Solo. Marta hat Karriere gemacht, sie ist anderen Männern begegnet. Und ob sie und Calogero wieder ein Paar werden, bleibt mehr als ungewiss.

Plastisch wird von dem komödiantisch-tragischen Spiel um Sein und Schein in Dresden wenig. Ausstatterin rosalie hat ein reichlich kunstgewerbliches Ambiente entworfen. Ineinander verknotete Plastik-Mülleimer dekorieren als zopfige Girlanden die Bühne – wohl als Anspielung auf den Uraufführungsort der Filippo-Vorlage Neapel gemeint. Riesige blaue seifenblasenartige Luftballons, die am Ende als zerplatzte Träume skulpturenartig die Bühne zieren, vermehren den Bühnenmüll. Regisseur Albert Lang hat lediglich Auf- und Abtritte der Figuren organisiert. Von Personenführung oder gar -charakterisierung spürt man wenig. Immerhin kann Jonathan Darlington im Graben der Semperoper die Staatskapelle zu einem sehr differenzierten Spiel animieren.

Einmal mehr zeigt Marlis Petersen in der Rolle der Marta ihre Extraklasse mit einem wunderbar agilen Sopran; schade, dass sie Libretto-bedingt die meiste Zeit die Bühne meiden muss. Neben ihr können sich vor allem Urban Malmberg als stimmgewaltiger Zauberer und Romy Petrick in einer Nebenrolle als quirlige Amelia profilieren. Rainer Trost gibt den düster-versponnenen Calogero Di Spelta. Das Publikum spendete dem zweistündigen Abend einhelligen Beifall. Man wünscht dem Stück jedoch eine triftigere szenische Weiter-Erprobung. In Dresden – was aber auch nicht besonders überraschte  – hatte man mit der Wahl des Uraufführungs-Teams wenig Gespür.


Vom Himmel hoch

Franz Lehárs „Die Lustige Witwe“

21. Dez. 2007

Operette kann so schmissig, so spritzig sein. Zumal wenn sie gespielt wird von einem so erstklassigen Orchester wie der Dresdner Staatskapelle, wo es eine Lust ist, den Instrumental-Soli zu lauschen mit den schmelzenden Kantilenen in Geige oder Violoncello. Operette kann so anödend-degoutant, unfreiwillig-komisch, ja ärgerlich sein, wenn sie so inszeniert wird wie hier in der Semperoper und man dann sieht, wie wenig Gespür für ästhetische Qualität die Verantwortlichen aufbringen, dass sie sie einem möglicherweise Millionenpublikum im Fernsehen anbieten zu müssen meinen wie hier in „arte“.

Franz Lehárs „Lustige Witwe“ ist die Operette des frühen 20.Jahrhunderts schlechthin. Nur drei Wochen nach Richard Strauss‘ „Salome“ uraufgeführt, etablierte sie mit einen neuen Weiblichkeits-Typus, den der emanzipierten, selbstbewussten, erotisch aktiven Frau. Kraft bis heute hat diese Geschichte von der jungen, reichen Bankiers-Witwe Hanna Glawari, die, aus verarmtem Landadel stammend, nach Paris kommt, um sich endlich zu amüsieren, dabei auf ihren früheren Liebhaber Danilo trifft, der sie von Staats wegen heiraten soll, damit ihr Vermögen dem bankrotten Balkanland erhalten bleibt. In der Dresdner Inszenierung von Jérôme Savary wird daraus eine Hollywood-Klamotte, die sich möglicherweise mit Ernst Lubitschs genialer Verfilmung messen will – es stimmt aber nichts.

Natürlich kommt diese Hanna vom Himmel hoch und dekorativ per Hubschrauber angeschwebt vor einem bühnenfüllenden Eiffelturm. Ihre Heimatfolklore am Beginn des zweiten Akts bekommt die anglisiert radebrechende Witwe per Video im Heimkino vorgeführt. Für das Vilja-Lied nimmt sie ein bereit stehendes Bettlerkind an die Hand, das am Ende dann auch noch den Hut herumreichen darf – und was der Peinlichkeiten mehr sind. Petra-Maria Schnitzer, die Witwe dieser Aufführung, versprüht denn auch alles andere als erotischen Charme, trifft kaum einen der hohen Töne. Aber auch ihrer Helferin beim Einfädeln der Staatshochzeit, der Botschafter-Gattin Valencienne, die für Danilos Hang zu den leichten Damen aus eigener Vergangenheit Verständnis zeigt, fehlt jegliche tiefere Charakter-Zeichnung.

Da man das MDR-Fernsehballett engagiert hat und möglichst viel Bein zeigen will, wird im 3.Akt aus dem einleitenden „Cake Walk“, einem Südstaaten-Schwarzentanz, ein rockwirbelnder CanCan. Und natürlich verzichtet man beim Chauvi-Männer-Septett „Ja das Studium der Weiber ist schwer“ auf die zweite Strophe, den Kontre-Gesang der Frauen. Savary macht eine Militär-Chorusline daraus mit Botschaftsdiener Njegus im Tütü. Eine Peinlichkeit von A bis Z in dieser Alte-Männer-Klamotte ist der pontevedrinische Botschaftsrat Zeta in Gestalt des reaktivierten Gunther Emmerlich; er musste allerdings auch selten platt „aktualisierte“ Texte aufsagen. Bo Skovhus als kurzfristig eingesprungener Danilo war Profi genug, um sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen, auch wenn ihm an stimmlicher Lyrik doch einiges fehlt.

Manfred Honeck im Graben hatte zwar das Orchester, seltener die Bühne im Griff. Der Beifall im ohnehin nicht voll besetzten Haus blieb spärlich. Die Buhs konzentrierten sich auf Emmerlich und die Darstellerin der Witwe. Die eigentlich Verantwortlichen für dies Desaster blieben freilich hinter den Kulissen. Aber, wie es in einer Anspielung in den Dialogen doch mal richtig hieß: man kann in Sachsen eine ganze Landesbank verzocken und dennoch auf seinem Minister-Stuhl kleben bleiben. Dabei hat das Haus mit Operette so seine Erfahrungen. Bei Peter Konwitschny und seiner „Csárdásfürstin“ mündeten sie in einen Rechtsstreit. Und hier? „Lippen schweigen“ suggeriert eine der berühmtesten Nummer.


Raus aus der Wagenburg

Fabio Luisi und Claus Guth mit Wagners Meistersingern

14. Oktober 2007

Die Singschule des ersten Akts ist hier eine Art Bierkneipe mit umlaufender Bank, großen Tischen und einem Riesen-Singstuhl, auf dem die Meister-Adepten zu Zwergen schrumpfen. In den Wänden Schränke mit Ordnern und den Meister-Kitteln. Der Raum ist ganz in Weiß. Zentimetergenau werden von den Lehrbuben mit dem Zollstock die Abstände der Maßkrüge vermessen. Wie ein Menetekel an der Wand erscheint in einer sonst von Spielzeug-Fachwerk-Häuschen belegten Vitrine die Powerpoint-animierte Singordnung.

Im zweiten Akt, eine Art Sommernachts-Alptraum, steht alles Kopf. Die Tische kleben an der Decke. Sachs bekommt von Eva einen Stierkopf, Beckmesser einen Eselskopf verpasst. Die von einer riesigen Flieder-Dolde benebelte Menge führt dem Stadtschreiber eine hübsches barbusiges Betthäschen zu, fesselt und kastriert Beckmesser zum Spott. Am Ende wankt Beckmesser von dannen, gezeichnet von den äußeren und inneren Verwundungen.

Für die Festwiese im dritten Akt rollt eine Putzkolonne mit Ausländern an. Zum Tanzen mit den Lehrbuben müssen die Frauen tätlich angeleitet werden, beim deutschen Zunftwesen verstehen sie nur Bahnhof. Seine Ansprache hält Sachs wie beim Parteitag per Video-Beamer. Dabei schließen seine „Nürenberger“ mit den kleinen weißen Monopoly-Häuschen, auf denen sie hocken, die Reihen immer dichter. Walther und Eva können nur mit Mühe aus dieser Wagenburg ausbrechen.

Regisseur Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt wollen mit seinen „Meistersingern“ vor allem bei der aktuellen Sicherheitsdebatte ansetzen. Die Kunstdebatte und die NS-Vergangenheit des Stücks, wie bei Katharina Wagner in Bayreuth oder Peter Konwitschny in Hamburg, interessieren ihn nur implizit. Im Moment gebe es ja „sehr starke Tendenzen sich wieder mehr zu verschotten“ mit Hinweis auf vorgebliche oder tatsächliche „Gefährdungen von außen“.

Guth hält sich in seiner Interpretation recht nahe am Text – heute ja auch schon fast eine Rarität. Beckmesser ist nicht wie bei Katharina Wagner in Bayreuth ein verkanntes Genie der Moderne. Und es wird auch nicht wie bei Peter Konwitschny über und mit Sachs und seine deutsche Kunst diskutiert. Es wird nur gezeigt, was es mit der deutschen Kunst heute auch auf sich hat, wie eng Regelwerke auslegbar sind oder wie weit – was vor allem die davon real Betroffenen spüren.

Fabio Luisi, der hier seine erste Premiere als neuer Dresdner GMD dirigiert, lässt die Staatskapelle in den Linien gut durchhörbar, aber wenig nuanciert und zumal in den beiden ersten Akten fast immer zu laut aufspielen. So hatte Camilla Nyland als Eva mit der Stimme zu kämpfen, musste in der Pause vor dem dritten Akt gar in ärztliche Behandlung. Robert Dean Smith als Walther versagte in der Schusterstube beim Preislied-Üben die Stimme ganz. Mit der Zweitbesetzung Raymond Very hatte man glücklicherweise einen Einspringer in der Kulisse für die Festwiese. Und sogar Alan Titus als Sachs schienen im dritten Akt die Kräfte etwas zu schwinden. Vorzüglich Bo Skovhus als aber vielleicht etwas zu verkrampfter Beckmesser.

Schon zur zweiten Pause gab es vom Rang heftige Buhs, am Ende aus allen Ecken und verstärkt vor allem fürs Regieteam. Guth war darauf gefasst, wie er im Gespräch vorher meinte:

GUTH: Die „Meistersinger“ sind für mich immer irgendwo im Scheitern anzusiedeln. „Meistersinger“ gelungen gibt’s glaube ich gar nicht. Insofern habe ich mir meine eigene Messlatte selber niedrig gesteckt, weil dieses Stück ist nicht wirklich zu knacken, ist sperrig, ein merkwürdiger Zwitter – auch schon in dem Versuch, es eine Komische Oper zu nennen.

Vor dem im März 2008 startenden Hamburger „Ring“ ist ihm gleichwohl nicht bange.

GUTH: Im „Ring“ fühle ich mich von den Themen, die mich zutiefst interessieren, extrem zuhause. Insofern ist das nicht solch ein Gefühl, mit dem ich hier bei den „Meistersingern“ dauernd konfrontiert war: was will er, was meint er da eigentlich, warum ist ihm das eine halbe Stunde wert. So ein Gefühl habe ich beim „Ring“ nie. Da fühle ich mich in einem Feld, in dem ich mich gerne bewege, und wenn ich so eine Intuition für mich selber im Vorfeld habe, fühle ich mich immer ganz ruhig.