Der Aufbau ist monströs. Ein riesiges Röhrensegment ist auf der Bühne installiert. Links und rechts davon Gerüste für den Chor. Regie-Arbeit sparend dürfen die Choristen dort immer mal wieder auf- und abtreten. Auch das tomografenartige, mit Formeln tapezierte Röhrensegment spart viel an konzeptionellem Denken. Tänzer und Statisten rennen dort gelegentlich die Wände hoch und runter und in Gruppen gegeneinander. Auf der Rückseite gibt es Video-Projektionen. Rasant des armen Faust Höllenfahrt-Roadmovie im irren Tempo über schmale Stege und unter beängstigenden Vorkrakungen hindurch. Faust ist in Keith Warners Einrichtung für die Dresdner Semperoper ein armer Irrer, der seinen Chefarzt als rothäutigen Mephisto und seine Krankenschwester als Margarete fantasiert. Sehr originell ist das nun wirklich nicht. Und was dieser ganze Bühnenzauber gekostet hat, möchte man bei dem ideell minimalen Ertrag denn doch gern wissen. Immerhin funktionierte alles technisch perfekt.
Hector Berlioz‘ Faust-Version „Fausts Verdammnis“ ist keine Oper im eigentlichen Sinn. Als ‚episches Theater‘ wird sie oft – und so auch im Programmheft der Dresdner Produktion – umschrieben. Ein Regieteam müsste sich also sehr genau überlegen, wie es eine eher für den konzertanten Gebrauch taugliche Partitur szenisch umsetzt, und nicht bloß bebildert. Regisseur Keith Warner, sein Bühnenbildner David Fielding, Kostümfrau Emma Ryott, die Damen und Herren Choreografen und Video-Installateure nehmen den Untertitel, eine „dramatische Legende“, einfach ganz wörtlich – Betonung auf ‚Legende‘. Sie schicken ihren Faust virtuell in den Krieg und ins irrlichternde Damen-Cabaret, lassen ihn in seiner Röhre zu Kennedy in die TV-Röhre glotzen, von einem Häuschen mit Vorgarten, Mickymäusen, schnuckligen Cheerleaders und einsamen Gebirgsbächen träumen. Faust ist hier zu Gast gleichsam bei Margarete im Wunderland, schön bunt und im Stil amerikanischer Musical-Animationen. Jedenfalls ziemlich weit weg von der Musik.
Marc Albrecht am Pult der Dresdner Staatskapelle gelingen denn auch eher die zarten Pastelltöne von Berlioz‘ Partitur. Das Holz, die Geigen singen sich schmeichelnd ins Ohr. Mit dem Weichzeichner modelliert er allerdings auch den Rákóczi-Marsch, eigentlich ja die Fanfare einer Freiheitsbewegung und von Berlioz zielsicher eingesetzt als Erinnerung an die eigene Revolution. Hier verschwimmt sie, wird unterlegt mit Dokumentarfilmen – wohl aus dem Ersten Weltkrieg. Aufrüttelndes hat das nicht. Eher skurril wirkt es, bestenfalls beliebig. Recht unscheinbar auch der Faust von Vinson Cole, allerdings war er als Einspringer spät ins Team geholt worden. Gegenüber dem schrankhohen Méphistophélès von Kristinn Sigmundsson wirkt er wie ein Mäuschen, gar nicht wie ein neuerungssüchtig die Welt Durchforschender. Sophie Koch als Marguerite hat man auch schon klangschöner singen hören. Ihre Stimme hat gewisse Schärfen. Darstellerisch allerdings ist sie durchaus präsent.
Gespielt wurde ohne Pause. Ansonsten wären danach wohl manche Plätze leer geblieben. Es gab am Ende viel Beifall, aber auch einige Buhs für die Sänger. Fürs Regieteam massive Buhs. Der Abend wirkt trotz der nur gut zwei Stunden überlang, zerdehnt, ohne innere Spannung. Für Berlioz, dem die Opernbühnen nie hold waren, keine besondere Empfehlung.
Das Meer ist verpackt in Flaschen. Die bei weitem „plastischste“ Idee. Zu Hunderten stehen die Pets gestapelt in Paletten auf der Bühne. Die Kleinstädter sitzen auf Flaschenkästen kreuzbrav aufgereiht zu Beginn wie in der Klippschule und halten Gericht über den Fischer Peter Grimes, dessen Junge auf mysteriöse Weise verschwunden ist. An Fisch-Filetier-Tischen mit Overhead-Projektor rascheln die Untersuchungs-Beamten in ihren Unterlagen und machen sich Notizen.
Keinen Naturalismus will der Regisseur Sebastian Baumgarten mit dieser ersten von Benjamin Britten am Ende des 2.Weltkriegs nach einer Vorlage von George Crabbe geschriebenen Oper. Die „Seebilder“, für die „Peter Grimes“ berühmt ist, sind gemeint als Seelenbilder. Und so will der durch Frank Castorf und Einar Schleef geprägte Baumgarten sie zeigen; für seine Umsetzung des Händelschen „Orest“ war er im Vorjahr zum Regisseur des Jahres gekürt worden. Optisch gefüllt werden diese Zwischenspiele hier mit teils sehr weit hergeholten Videoprojektionen: ein Stierkampf, eine Kriech-Prozession, aber auch Kriegsschiffe im Kampf, Unterwasserfauna, Planschen am Badestrand, ein Foto von einem misshandelten Kind werden eingespielt. Musiziert sind die Seebilder unter dem britischen Dirigenten Ivor Bolton mit der Sächsischen Staatskapelle in einer grandiosen Intensität. Selten hat man das Stück so gehört.
Baumgarten - zum zweiten Mal inszeniert er an der Semperoper - pflegt sehr eigenwillig umzugehen mit Texten. Beim Händelschen „Orest“ hatte das auch funktioniert. „Peter Grimes“ freilich ist eine durchkomponierte Oper, Eingriffe lässt sie kaum zu. Und es ist eine Choroper. Mit beidem tut sich Baumgarten schwer. Er führt den Chor fast durchweg als Gruppe, die kollektiv zwei riesige von Hartmut Meyer wie Krabben-Augen – kleiner Scherz in der ansonsten humorfreien Zone – hin geklotzte Tribünenteile anstreicht, umher schiebt, besetzt, beschriftet (mit SPES = Hoffnung). Ein Aufzug spuckt und schluckt ständig Leute. Bei einem herannahenden Seesturm dürfen die Kleinstädter auch schon mal kollektiv mit dem Wasser aus den Flaschen panschen. Individuelle Charaktere entstehen hier nie. Das macht das Zusehen auch eher mühsam und spannungslos. Stattdessen werden Texte projiziert, die man auch schon in einem wie eine Schulkladde aufgemachten Programmheft lesen kann und die nur auf sehr verschlungenen Umwegen was zum Verständnis des Stücks beitragen.
Eher überflüssig auch eine szenische Anspielung auf Brittens Homosexualität, dererwegen er im Krieg mit seinem Freund Peter Pears nach Amerika emigrierte. Da müssen die beiden Untersuchungsbeamten gerade noch ihre Hosen hochziehen, als man nach ihnen ruft wegen eines zweiten verschwundenen Jungen. Ein bisschen Zeit-Kolorit versucht Baumgarten auch mit einer Art Front-Kabarett, das er einbaut am Ende, das aber in seiner Groteskheit doch auch eher ein Fremdkörper ist. Aber gekünstelt wirkt der ganze Abend: Wie das Aufbereiten von Fisch, von dem man aber nicht einmal die Gräten serviert bekommt – daraus ließe sich ja noch eine herrliche Brühe gewinnen -, sondern nur die Schuppen. Und die fallen, auch wenn im Programmheft viel von Turbo-Kapitalismus und der entfremdeten Welt die Rede ist, einem hier nicht von den Augen. Der ganze monströse hohle Technizismus der Meyerschen Bühne mit den meist überflüssigen Videos von Chris Kondek ist ein zusätzliches Moment von Entfremdung, der einem die Figuren nicht näher bringt. Die „Flaschenpost“ bleibt unentkorkt.
Stephen Gould in der Titelpartie hat denn auch seine Mühe, Kontur zu gewinnen. Stimmlich bewältigt er die Partie mit seinem sowohl lyrischen wie dramatischen Tenor hervorragend. Soile Isokoski ist die dem Außenseiter Grimes einzig vertrauende Lehrerin Ellen Orford. Der Schlussapplaus für die musikalische Seite in Dresden war ausgesprochen herzlich, für das Inszenierungsteam reserviert. Ivor Bolton gewinnt der Partitur Brittens ganz unvermutete Farben ab, zeigt Verbindungslinien zu Alban Berg, zu Dmitri Schostakowitsch. Das eigentliche Ereignis.
Die Hexe ist die reine „Sünde“. Eine schöne schlanke Frau in Rot, die kleine Jungs in ihre Keks-Häuschen lockt, um sie zu verführen, und die deshalb auch warten muss, bis die Schwellkörperchen beim Neuankömmling Hänsel ordentlich funktionieren. Allerdings ist diese Dame nur mit Perücke toupiert, legt mit ihrer dicken Brille und Glatze ein eher abstoßendes Gebaren an den Tag, weswegen Hänsel und Gretel ihr auch lieber einen Tritt in den Feuerofen geben. Nur tot zu kriegen ist sie nicht. Als Lutschbonbon im Verhüterli fährt sie wieder hoch aus ihrer Grube. Und die fliegende Kollegin vom Blocksberg saust auf ihrem Besen kometengleich über die Szene, während Hänsel und Gretel wieder in ihrem Märchenwald verschwinden und dem lockenden Schneewittchen samt ihren sieben Zwergen Grüß Gott sagen.
Psychoanalytisch korrekt, aber doch, was den Humorfaktor anlangt, eher gequält ist, was die für ihre Slapstick-Komödiantik bekannte Katharina Thalbach an der Dresdner Semperoper mit Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel anstellt. Von der auf eine raffinierte Art naiven Musik her gedacht ist das wenig und wirkt darum so aufgesetzt, wie auch die überleitenden Schattenspiele. Die Geschwister figurieren im ersten Akt als Daumenlutscher, die in ihrer schuhschachtelschmalen Hütte auf einem Pferdchen aus Besenreisig reiten, leere Töpfe auslecken und schon mal Hand aneinander anlegen, um was zwischen die Zähne zu kriegen. Die Mutter ist eine gierige Vettel, der Vater ein Säufer. Kein Wunder, dass die Kinder sich lieber in ihren Zauberwald flüchten, wo Rotkäppchen die Weinflasche selber leert und Schneewittchen den vergifteten Apfel an den bösen Wolf weiter reicht und wo die Engelchen auf einer Schwimmbad-Rutsche in ihre Träume schwappen.
Aufwändig ist das alles ausgestattet von Ezio Toffolutti. Insbesondere das Sündenbabel der Hexe ist reich dekoriert mit Bonbons und Schnullern aller Art. Lakritze baumelt vom Himmel, Gummibärchen stehen stramm wie Schachfiguren, und ein Endloswurm kriecht aus der Hexen-Kekshöhle. Ob der vielen Kinder auf der Bühne (von Palucca Schule und Kinderchor) sitzen auch viele Kinder im Zuschauerraum. Und das ist vielleicht das Beste. In der Pause wird passend an der Theke Gefrorenes einer bekannten Schweizer Konfektmarke gereicht. Und am Ende gibt es tosenden Beifall für alle. Michael Hofstetter am Pult hat die Staatskapelle sehr sanftmütig dirigiert. Allerdings ähneln die Protagonisten in ihrer Stimmfarbe einander zu sehr. Dabei kann Antigone Papoulkas als (etwas kleinerer und agilerer) Hänsel mehr punkten als die mit zu viel Vibrato intonierende Anna Gabler als häkelnde Gretel im Pippi-Langstrumpf-Look. Überagierend Iris Vermillion als Hexe.
Zu einem eigenen Gesicht hat die Semperoper auch mit dieser Neuinszenierung nicht gefunden. Wie sehr man sich auch müht, immer den schicksten Trends hinter her zu laufen – man läuft eben nur hinter her. Dabei hätte dies Haus, ob seiner baulichen Hülle ein Touristenmagnet, doch wahrlich alle Möglichkeiten, profiliertes Musiktheater zu bieten. Man muss schon sehr weit, bis in die Anfänge der Wiedereröffnung vor über zwanzig Jahren in seinem Gedächtnis zurück kramen, um sich an Aufführungen zu erinnern, die einen wirklich gepackt haben. Bei dieser, mit ihrer krampfigen, nie von innen heraus kommenden Fröhlichkeit, bleibt’s in der Hexenküche eises-kalt.
In Dresden bereitet man sich auf die 800-Jahr-Feier der Stadt vor. Die Semperoper wollte dazu eine richtige „Dresdner“ Oper beisteuern. So wählte man die dort bisher erst zweimal inszenierte Euryanthe von Carl Maria von Weber, dem langjährigen Kapellmeister, der allerdings in Dresden wohlweislich nie eine eigene Oper uraufführen ließ. Mit der Euryanthe versuchte Weber nach dem Freischütz einen neuen Weg. Aber es blieb sein Sorgenkind, 1823 in Wien uraufgeführt, dann 1824 erstmals auch in Dresden. Für die Regie gewann man Vera Nemirova. Und sie verstand das gerade durch die verkorkste Rezeptionsgeschichte als eine besondere Herausforderung.
Am überzeugendsten gelungen ist ihr die Umsetzung der Ouvertüre. Nemirova zeigt da einleuchtend, wenn auch nicht gerade originell die Vorgeschichte, die Erfahrungen Carl Maria von Webers und seiner sozial engagierten Textdichterin Helmina von Chezy in Nach-Napoleonischer Zeit: Frauen erwarten ihre kriegsmüden Männer, kleiden sie neu ein. Und von Staats wegen gibt’s Orden, Gehhilfen und Würstel als Dank.
Im Bühnenbild von Gottfried Pilz wird da vorgeführt ein Ringkampf zweier Männer mit Fernsehübertragung, Zuschauertribüne und Psychiatrie-Endstation um die Reinheit einer aufs Podest erhobenen Braut, Euryanthe (etwas blass Camilla Nylund). Die eigentlichen Fäden zieht deren Rivalin, Eglantine (wie meist stimmlich überforcierend Evelyn Herlitzius), ein Ekelpaket auf dem Weg von der Wolfsschlucht nach Brabant, zur Ortrud im Lohengrin.
Man spielt die Euryanthe in Dresden fast strichlos. Durch die endlosen Dialogpartien, zudem ohne Übertitelung, doch eher mühsam. Jun Märkl am Pult gestaltet die Partitur sehr differenziert im Übergang von Klassik zu Romantik. Von den Sängern am eindrucksvollsten: Klaus Florian Vogt als der betrogene Bräutigam und abgehobene Poet Adolar und insbesondere Olaf Bär als der vom Bösen getriebene Lysiart. Vom Publikum gab’s am Ende viel Beifall aber auch Buhs fürs Inszenierungsteam. Interessant vor allem der musikhistorische Aspekt dieser Oper unterwegs zum durchkomponierten Gesamt-Kunstwerk Richard Wagners.
Loben darf man diese Aufführung vor allem musikalisch. Daniele Gatti am Pult setzt die Akzente sehr klar. Wie er aus druckvoll gesetzten Pausen die Steigerungen baut, wie er Verdis Musik Kraft und auch Süße verleiht, erlebt man nicht alle Tage. Und die sonst als etwas reserviert geltenden Musiker der Staatskapelle und der Chor folgen ihm mit Feuereifer.
Regisseur Philipp Himmelmann nimmt seine szenische Inspiration von der jüngsten Mutter aller Gräueltaten, den Geschehnissen in Abu Ghuraib. Als GIs kostümiert mit MP im Anschlag sieht man die anfangs noch Kumpane auf dem Wege zur Macht, Macbeth und Banco, durch ein Heerlager geschundener Frauenleiber streifen. Von den drei Hexen, blutüberströmt und nackt über die Wäschebündel torkelnd, lässt Macbeth sich schlängelnd zum weiteren Aufstieg begeilen. Die Lady zieht derweil die Strippen in einem nüchtern-düsteren Büro. Der Noch-Machthaber, König Duncan, muss bei einem Empfang dran glauben. Das Blut beginnt in den Sektkelchen zu rauschen.
So Regisseur Philipp Himmelmann im Gespräch. Von Johannes Leiacker hat er sich einen halbrunden Raum mit einer gefängnisartigen Flucht von Türen bauen lassen, der sich wie ein Schneckengang zum Bühnenportal hin öffnet. In diesem Einheitsraum platziert ist auch das Festbankett nach Macbeth’s Machtergreifung mit der Geister-Erscheinung des von Macbeth’s Bürohengsten erschlagenen Banco. Heerscharen von weißgeschürzten Serviererinnen säumen den Tisch, auf dem der in Stalinsche Paradeunifrom gewandete Macbeth und seine Lady am Ende des wieder blutigen Mahls einen gleichsam pas de deux zelebrieren. Was den Fluss der Aufführung erheblich hemmt, sind die ständigen Vorhänge bei jedem Bildwechsel. Den anschwellenden Blutrausch auch szenisch umzusetzen gelingt Himmelmann und Leiacker nicht. Das nimmt der Inszenierung Wesentliches an innerer Spannung. Man spielt Verdis späte für Paris umgearbeitete Fassung.
Nicht ganz einheitlich auch das sängerische Bild. Lucio Gallo gibt einen trotz einiger Schwächen gegen Ende so kraftvollen wie kindlich gierigen Macbeth, Georg Zeppenfeld ist der auch zögerliche Banco. Stämmig der auf seine Chance wartende Volksbefreier Macduff von Woo-Kyung Kim. Nicht ganz überzeugen kann Marquita Lister als Lady. Zu überdreht klingt ihre Stimme, zu flattrig ihr Vibrato. Das Publikum jubelte am Ende allen zu, den Sängern, den Ensembles von Chor und Orchester, dem Team. Ein durchwachsener aber insgesamt doch eher positiver Saisonauftakt an der mit Höhepunkten zuletzt nicht gerade gesegneten Dresdner Semperoper.
Zwei junge Leute, Jan und Jennifer, begegnen sich zufällig in New York. Er will eigentlich mit dem Schiff zurück nach Europa. Sie will nur bummeln, Sightseeing. Sie übernachten zusammen. Es wird eine amour fou. Ein Ordnungsfanatiker spürt sie auf, lässt sie hochgehen. Liebe ist tödlich, verkünden in einem eingelagerten Marionettenspiel zwei als blonde Polizistinnen drapierte Eichhörnchen, die die Bombe installieren.
So die Komponistin Adriana Hölszky. Das Hörspiel von Ingeborg Bachmann stammt aus dem Jahre 1958. Der Gute Gott von Manhattan ist dort angelegt als Gerichtsverhandlung mit Rückblenden aber ohne Urteil über den mörderischen Gott. Hölszkys Oper nach einem Libretto von Yona Kim, uraufgeführt bei den Schwetzinger Festspielen 2004, konzentriert sich ganz auf das Geschehen zwischen dem Paar selbst. Die „Zweit-Uraufführung“, wie die Premiere in der Semperoper jetzt etwas übertrieben bezeichnet wird, radikalisiert das Geschehen noch weiter.
Regisseur Stephan Kimmig und seine Ausstatterin Anja Rabes haben die Szene neu gestaltet. Zeigten sie das Stück im kleinen Schwetzinger Hoftheater in der drangvollen Enge einer eher realistischen Hotelabsteige, wird die Handlung hier auf eine Art Ringkampfpodest exponiert, das mit Schaumgummi-Matratzen ausgelegt ist. Das Paar watet anfangs unsicher wie auf schwankendem Boden, robbt aneinander heran, mustert sich zum Ring-, zum Liebeskampf und entfernt sich allmählich wieder. Als gleichsam Kampfrichter und anfeuerndes Publikum sitzen zu beiden Seiten in einer Art Telefonkabinen acht Choristen mit ihren Notenkladden, trappeln gelegentlich zu ihren rhythmischen Gesängen und Schreien mit den Füßen.
Hinten sitzen die beiden in aberwitzig hohen Koloraturen geführten Polizistinnen, eine zum Weissagen unfähige Zigeunerin und der im Falsett kreischend, fistelnd, schreiend sich überschlagende „Gute Gott“ mit ordensgeschmücktem himmelblauem Jackett, eine Art verkörpertes Gutes Gewissen einer moralinsauren „Neuen Welt“. Die wie ein Käfer sich windende Jennifer lässt er schließlich unter einer Plastikplane ersticken. Für das Protagonistenpaar hat Adriana Hölszky unterschiedliche Versionen geschrieben, eine „einfachere“, die in Schwetzingen zur Aufführung kam, und eine „geschärfte“, wie sie sagt.
Und die Jennifer in der neuen Dresdner Inszenierung singt diese „geschärfte“ Fassung. Die Amerikanerin Jennifer Arnold ist gleichsam eine Idealbesetzung für diese Jennifer. Stimmlich wie darstellerisch beherrscht sie über weite Strecken die Szene: Wie sie allmählich ihre Scheu abstreift, wie sie Jan herausreizt und ihn wieder abstößt – bis sie sich ihrem Schicksal, dem „Guten Gott“ in Gestalt des phänomenalen Counter Daniel Gloger, unterwerfen muss.
Ungleich stärker wäre die Wirkung, würde auch das Geschehen wie in einer Arena – und wie Gottfried Semper ja ursprünglich dies Theater bauen wollte – in den Mittelpunkt gerückt sein. Hölszky, die ihre Partitur in Schichten angelegt und die Instrumente im Raum verteilt hat – einige Blechblas- und Schlaginstrumente in den beiden oberen Rängen, Hölszky denkt in musikalischen, nicht unbedingt theatralischen Kategorien. Die Akustik des Hauses unterstützt die „Verräumlichung“ der Klänge geradezu ideal und fast ganz ohne technische Krücken. Aber die Guckkastenbühne rückt die Szene zugleich wieder in die Ferne, was möglicherweise auch ein vorzeitiges und kontinuierliches Abwandern des teils wohl verirrten Publikums aus dieser etwa 80minütgen Aufführung beförderte. Zeitgenössisches Musiktheater und Semperoper sind eben nicht unbedingt eine eingeführte Trademark.
Die Buhfraktion konzentrierte sich merkwürdigerweise vorrangig auf das Regieteam. Gefeiert wurden die Sänger, der Minichor und der Dirigent Jun Märkl, der ganz traditionell vom Graben aus den im Raum verteilten vielgliedrigen musikalischen Apparat präzis steuerte.
Ein Hubschrauber crasht. Nein, nicht irgendwo in der Wüste, sondern im kriegsverwüsteten Berlin. Die Flüchtigen-Gruppe – Leokadja Begbick, Willy der „Prokurist“ und „Dreieinigkeitsmoses“ beschließen hier zu bleiben und was ganz Neues zu gründen. Es soll die Stadt der Städte werden, ein Paradies-Las-Vegas-Gärtlein an der Spree.
Eine Art Zeitreise inszeniert Harry Kupfer mit Kurt Weills und Bert Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny an der Dresdner Semperoper. Noch nie hat Kupfer in seiner langen Laufbahn dies Stück „gemacht“. Und ursprünglich sollte es ja eine Inszenierung von Bernsteins West Side Story werden. Doch es gab Probleme mit den Lizenzgebern. Was er mit Mahagonny auf der Bühne zeigt, sind allerdings eher Assoziationen zu der 1930 unter tumultuösen Anfeindungen von NS-Störtrupps in Leipzig uraufgeführten Oper. Revueartig lässt er das Stück mit einem Bühnen-Brecht als eher trennendem denn verbindendem Conférencier und Erzähler passieren. Die Mädels, die zur Verkehrsregelung in die Netze-Stadt eingeflogen werden, fallen heuschreckenartig als Drachensegler vom Himmel. Den die innere Ruhe bedrohenden Taifun interpretiert Kupfer als Mauerbau, die neue Zeit des „Du darfst“ mit McDonaldisierung und Universal-Bordell als Mauer-Fall.
Liebesnest, Krematorium, Gerichtszirkus und Hinrichtungsstätte ist im allzu dominanten Bühnenbild von Hans Schavernoch der Crash-Helikopter. Angehalftert an einem der Rotorblätter wird der zahlungsunfähige Johann Ackermann wie ein Saddam-Widerständler von Lynndie England in Abu Ghraib beim Scherbengericht vorgeführt. Den Ausflug ins Nirwana von Benares machen die Netzestadt-Geschädigten in roten T-Shirts mit Che-Guevara- oder Rudi-Dutschke-Aufdrucken wie in ein Flowerpower am Hindukusch - oder ist es das Guantanamo für die Mudschaheddin-Krieger? Und nach der Hinrichtung des Zechprellers Johann Ackermann demonstrieren die Überlebenden für ein „Hartz V“ und für Anspruchsmentalität, für und gegen Schulreform. Und der Bühnen-BB führt seinen kleinen Sohn über den Laufsteg. Ende des Ausflugs ins versinkende Museum.
Die Frage ist, wie das alles in die Semperoper passt. Akustisch ist der Raum zu voluminös. Man muss, was auch sein Positives hat, alles übertiteln, um die Texte – sogar die gesprochenen – einigermaßen zu verstehen. Die Härte der Weillschen Tonsprache wird in diesem Raum geglättet. Da mag Sebastian Weigle am Pult der Staatskapelle noch so sehr sich um einen pfeffrig-abgebürsteten Klang bemühen. Allerdings hat er auch immer wieder Probleme mit der Koordination. Anspringen will der Motor auch im übertragenen Sinn nicht so recht. Das Publikum trägt das gesamte Ensemble und das Team dennoch auf Händen. Eine stimmlich wie darstellerisch überzeugende Witwe Begbick im Zebra-Look ist immerhin Leandra Overmann. Douglas Nasrawi als Johann Ackermann bringt seine gestische Lockerheit gut ins Spiel. Stimmlich etwas zu leichtgewichtig die Jenny der Birgitte Christensen.
Nicht ganz erfindlich bleibt, warum man beim Männerquartett auf die von den Autoren zwar freigegebene deutsche Namensgebung mit etwa Johann Ackermann statt Jim Mahoney zurückgreift. Mit der Umbenennung wollten Brecht und Weill ja vor allem der politischen Rechten Angriffspunkte entziehen. Klug fädelt sich Kupfer zwar in die aktuelle Kapitalismus-Kritik ein, aber greift doch etwas kurz. Das Poetische der Figuren wie im „Kranich“-Lied mit der für Weill so zentralen (jüdischen) Metapher des unsteten, sehnsuchtsvollen Getriebenseins, geht hier fast unter. Mahagonny ist mit der Kraft seiner Sprache wie seiner Musik mehr als eine Zeitrevue. Das wird in diesem eindimensionalen Clowns-Panoptikum nicht so recht plastisch.
Das eigentliche Drama spielt im Graben. Wie Kent Nagano dort die Schroffheiten dieser bald 100 Jahre alten Partitur schärft, wie er den Klang des Orchester aufraut und zerfasert, das hat man in Dresden sehr sehr lange nicht wenn überhaupt je gehört. Und auch der Rezensent erinnert sich kaum einer so fesselnden musikalischen Darstellung wie dieser, seit in den 80iger Jahren Giuseppe Sinopoli das Werk an der Deutschen Oper Berlin dirigierte – damals ebenfalls als Fernseh-Live-Übertragung und mit anschließender Einspielung auf CD. Sinopoli interpretierte die Partitur wie einen Filmmusik-Track. Nagano jetzt akzentuiert mehr das tödliche Drama – und erntete dafür am Schluss der Premiere gellende Buhs. Man schätzt in der Elbestadt noch immer mehr den schläfrigen Ton, den einst der Dirigent Karl Böhm um sich verbreitete, pflegt die Legende vom Wunderharfenklang aus Richard Wagners seligen Zeiten.
Hundert Jahre Salome in Dresden. Am 5.Dezember 1905 erlebte das damals bahnbrechende Werk von Richard Strauss nach dem Schauspiel von Oscar Wilde seine Uraufführung an der Semperoper. Eine Strauss-Uraufführungs-Serie mit zumal Elektra (1909) und Rosenkavalier knüpfte sich daran. Man ist stolz, auch wenn man viel der Bigotterie im kaiserlich-königlichen Wien verdankte. Gustav Mahler wollte das Werk an der Hofoper mit herausbringen. Aber die biblische Geschichte um die Prinzessin mit der „perversen Sinnlichkeit“, die „in das Gebiet der Sexualpathologie gehören“, wie die Zensurbehörde beschied, war dort nicht zu machen. Und Hugo von Hofmannsthal, Strauss’ späterer Partner als Librettist, schwärmte, als er erstmals eine Operette von Franz Lehár hörte, wie schön es gewesen wäre, wenn Lehár seinen Rosenkavalier vertont hätte und nicht Richard Strauss.
Für die Jubiläums-Inszenierung, die siebente in Dresden seit der Uraufführung, hat man Peter Mussbach gewonnen, im Hauptberuf Intendant der Berliner Staatsoper. In den 70iger Jahren hatten die Strauss-Erben über ihn mal ein Salome-Inszenierungsverbot verhängt, an das sie sich jetzt aber nicht mehr erinnerten. Warum auch? Mussbach, der auch das Bühnenbild selbst entworfen hat, lässt das Ganze auf einer spitz zulaufenden Schräge in einem gleichsam expressionistisch aufgerissenen Riesen-Mund, auf einer schmalen Terrasse mit Wasserzugang spielen. Jochanaan sitzt dort im weißen Overall an der Kante und stößt seine Prophezeiungen und Verwünschungen aus. Die Prinzessin im rosa Tüllkleidchen entdeckt ihn da und drängt sich an ihn. Und ganz so prüde, wie er redet, ist er nicht. Evelyn Herlitzius singt diese Salome mit ihrer sehr markanten Stimme. Ihr Vibrato mit der sehr weiten Amplitude mischt sich ins Strauss-Orchester problemlos. Ein Ausbund an frühlingserwachender Erotik ist sie nicht.
Da hat ihre Mutter Herodias, die sich ebenfalls in Sado-Maso-Manier an den seltsamen Schwarzhaarigen an der Kippe heranmacht, mehr zu bieten. Und Dagmar Peckova wirkt trotz ihrer Matronenaufmachung durch Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer eher wie Salomes schwarze Schwester, jedenfalls nicht wie ihre Mutter. Den Schleiertanz lässt Mussbach ausfallen. Seine Salome, ohnehin keine Bewegungskünstlerin, hat beim partikelweise Entkleiden des Stiefvaters Herodes (Wolfgang Schmidt) immer nur Jochanaan (Alan Titus) im Blick. Dessen Enthauptung verlegt Mussbach ebenfalls auf die Bühne hinter eine Mauer von Höflingen, die den Propheten in ein Leichentuch verpacken, unter das dann auch Salome kriecht. Wie ein Gespenst unter dem schleierähnlichen Tuch singt sie ihren Schlussmonolog. Herodes, eigenhändig mit Fallbeil zur Stelle, braucht gar nicht mehr zuzuschlagen.
Akustisch birgt Mussbachs Bühnenkonstrukt leider viele Nachteile. Es lässt wenig Raum zur spielerischen Entfaltung und schluckt die Stimmen. Die Balance zwischen Bühne und Orchester kommt nie ins Lot. Dazu versteht Nagano, durchaus zu Recht, die Partitur als losgelöste Symphonie. Er „begleitet“ die Sänger nicht. Das Textverständnis ist delegiert ans Mitlesen der Übertitel. Dass das Publikum am Ende auch das Inszenierungsteam mit harschen Buhs empfing, war zu erwarten. In Dresden hat es noch der leiseste Ansatz von Moderne schwer. Immerhin da ist man sich verwandt mit Wien. Dennoch ein Pluspunkt für die bisher eher trübe Bilanz des Hauses: schöne Bilder, packend musiziert.
Kein Urweib, keine femme fatale – eine „ganzheitliche“ Frau mit einem unbändigen Freiheitsdrang soll diese Carmen sein. So stellt sie sich Regisseurin Konstanze Lauterbach laut Programmheft vor. Was man auf der Bühne von Peter Schubert sieht, sind Genreszenen in einem faschistischen Land.
Das Eröffnungsbild schon zeigt einen Marktplatz, auf dem es vor lungernden Soldaten nur so wimmelt. Kinder sitzen in dem lindgrün-ockerfarbenen Geviert auf dem terrakotta-farbenen Steinfußboden für ihren Auftritt bereit. Gruppen von schwarz gekleideten Lorca-Frauen huschen über die Bühne. An den Wasser-Zapfstellen spülen die Fabrikarbeiterinnen sich den Schweiß von der Stirn. Sie strömen zur Pausenzigarette aus einem in der Mitte angeordneten Pilaster, der sich wie ein Garagentor öffnet. Alle Frauen sind in züchtiges Hellblau gekleidet. Nur Carmen trägt ein dunkelblaues Kleid. Der Soldat José wird von ihr mit der roten Rose eher provoziert als elektrisiert.
Die neue Dresdner Carmen ist das ziemlich genaue Kontrastprogramm zu der, die man vor zwei Wochen an der Berliner Staatsoper erlebte. Hier hatte Martin Kušej das Geschehen in die afrikanische Wüste südlich des originären Sevilla verpflanzt. Und trotz vieler Mängel in der Personenführung hatte diese Aufführung etwas Elektrisierend-Einprägsames. Zumal durch das detailversessene, präzis die Schroffheiten der Partitur ausleuchtende Dirigat Daniel Barenboims. In Dresden steht ein Routinier am Pult der Staatskapelle. Jacques Delacôte. Schon die Ouvertüre lässt er lediglich wie Marschmusik herunterrasseln. Auch ansonsten kümmert er sich wenig um Details.
Die größte Belastung dieser Dresdener Carmen freilich ist ihre Titel-Figur. Und dabei war sie wohl gedacht als besonderes Bonbon. Waltraud Meier, in vielen Wagner-Schlachten erfahren, singt sie. Ihr fehlt so ziemlich alles, was man von einer Carmen erwarten muss. Ihre Stimme hat mittlerweile ein beträchtliches Vibrato angesetzt, sie ist unbeweglich und starr, ohne sinnliche Ausstrahlung. Auch im Darstellerischen. Und auch ihre Briganten-Kumpaninnen Frasquita und Mercédès haben etwas eher Altjüngferliches. Musikalisch apart immerhin ihr Schmuggler-Quintett. Es zeigt sozusagen die Wurzeln Bizets in den Rouladen von Rossini und Auber. Aber was Nietzsche beispielsweise faszinierte an dieser Musik als Antipodin zu der Richard Wagners, ist doch etwas sehr anderes. An diesem Abend hört man es nicht.
Die Schwächen dieser Produktion potenzieren sich im vierten Akt, wenn die Corrida als faschistoide Massenveranstaltung mit drögem Hutballett ausgestellt wird und José seine Carmen, über der er kniet, zurecht rollen muss, um ihr den Todesstich zu applizieren. Buhs gab es am Ende lediglich fürs Regieteam. Der Misserfolg dieser Neuproduktion fügt sich freilich in eine Kette von mehr oder minder missglückten Neuproduktionen. Immer mehr werden sie zur Belastung des nunmehr seit Jahren schwächelnden Premieren-Angebots. Sie stellen ernste Fragen an das seit anderthalb Jahren amtierende neue Leitungsteam. Das Haus stützt sich freilich auf die Ströme von Touristen, die den Semperbau, den viele aus der Werbung mit einer Brauerei verwechseln, mal von innen erleben wollen.
Ob die Enttäuschungen sich mindern, wenn die überfällige Ernennung eines Generalmusikdirektors in drei Jahren mit Fabio Luisi realisiert wird, bleibt fraglich. Die von Luisi mitverantwortete letzte Semperopern-Premiere, Puccinis Turandot, war kein ermutigendes Zeichen. Ein Musiktheater muss sich profilieren auch durch eine dramaturgische Linie. Die ist im positiven Sinn in Dresden nicht zu erkennen.
Fragen, Fragen, nichts als Fragen. Die Turandot als Quizshow. Mit Live-Kamera beim Kandidaten-Einzug. Mit weißem Kandidaten-Sessel als kubischem Siegerpodest und Verlierer-Pranger. Mit bühnenfüllenden Vergrößerungen auf dem Backscreen. Dresdens Semperoper kommt einem derzeit vor wie die Schwitzende auf dem Heimtrainer. Man will „Anschluss“ halten an die Moderne, aufholen. Man strampelt und strampelt und kommt künstlerisch doch keinen Millimeter voran. Einige Weichen scheinen da falsch gestellt. Die Programmhefte zum Beispiel werden immer dicker, die szenischen Vorgänge immer dünner.
Diesmal sollte Andreas Homoki es richten. Der Intendant der Berliner Komischen Oper, der inzwischen volle Kassen erzielt mit Rückbesinnung auf die Wurzeln seines Hauses an der Behrenstrasse als ursprüngliche Vergnügungsstätte der menschlichsten Bedürfnisse, lässt die unvollendete Fassung des Puccinischen Spätwerks spielen. 95 Minuten ohne Pause, und das ist gewiss das Beste, was man über diese Aufführung sagen kann.
Ansonsten begegnen wir dort einer Welt, wie wir sie tagtäglich im Fernsehen „gezeigt bekommen“. Die Prinzessin ist eine Quizshow-Kandidatin und auch der Prinz ist ein Quizshow-Kandidat. Sie können zusammen nicht kommen, die Fragen sind viel zu banal. Und auch wenn der Kandidat zwischendurch weich geklopft werden soll durch ein paar Werbe-Einblendungen mit 0190-Nummern. Er hält dicht.
Für die Ping-Pang-Pong-Helfershelfer haben Regisseur Homoki und seine Ausstatter, Wolfgang Gussmann (Bühne) und Frauke Schernau (Kostüme), einen Götz-Alzheimer-Verschnitt als PiPaPo-Showmaster-Trio ersonnen mit Glitzer-Jackets in den PAL-Farben Blau-Grün-Zyan. Diese Unterhaltungs-Granaten platzen auch schon mal durch das Fragezeichen-Pünktchen des riesigen Fragzeichen-TV-Studio-Tors, das, raffiniert beleuchtet, die Bühne öffnet und verschließt, als Schlüsselloch öffnende Katzenklappe – fast so „lustig“ wie die mit China-Ballett-Spots aus dem „Fernseher-Ballett“ übermalten Kinderchöre. Man kennt Homokis „brennende“ Liebe zum Tanz.
Einzige menschliche Figur in dieser Versammlung von Knallchargen mit einer als lediglich Pausenclown szeneflutend flächig eingesetzten „Volksmenge“ ist Liù, die hoffnungslos in den „Prinzen“ Kalaf Verliebte. Annette Dasch singt und spielt sie mit anrührender Wärme. Die Turandot wird gegeben von Evelyn Herlitzius. Als durch die Fernseh-Scheinwelt geisterndes Fragezeichen im Cleopatra-Look erscheint sie, immer leicht gebückt nach vorn und mit einem Vibrato in der Stimme, bei dem man sich besorgt fragt, welcher Ton denn wohl gemeint sein könnte. Ein eher gemütlicher Kandidat Kalaf ist zwischen den beiden Frauen Carl Tanner.
Am Pult der Staatskapelle steht Fabio Luisi, ab 2007 GMD des Hauses. Den Riesen-Apparat leitet er mit Umsicht, aber auch mit einer gewissen Glätte. Immerhin ist die Aufführung genießbarer als der Manga-Handy-Kitsch, mit dem jüngst Doris Dörrie bei diesem Stück die Bühne der Berliner Staatsoper bevölkerte. Homoki, der sich einen Namen machte vor allem als Komprimierer großer Formate, wächst immer mehr in die Rolle des Ausdünners, Verflachers, Verkleinerers. Aber vielleicht „muss“ ja Oper heute so sein: quadratisch, platt, pflegeleicht. Wie auch der nicht gerade frenetische Beifall am Ende zeigte. Für den obersten Arbeitgeber Homokis, der, als Puccini-Liebhaber bekannt, mit an die Elbe geeilt war, sicher eine freudige Erfahrung.